Es gibt etwas in unserem Leben, das einfach wichtig ist. Bestimmte Bedürfnisse, die gestillt werden müssen. Dazu gehören auch Lebensmittel, die man nicht essen kann, aber trotzdem zum Leben braucht.
Fünf Mängel zählt Psychologe Abraham Maslow auf, die uns bei Nichtbefriedigung empfänglich für Hetze aller Art machen: Hunger & Durst, Gewalt & Arbeitslosigkeit, Isolation & Einsamkeit, fehlende Achtung & Wertschätzung, Brachliegen der eigenen Potenziale. «Wer dauernd hungert, wird jenen folgen, die Brot versprechen. Jene, die Sicherheit garantieren, werden bei Verängstigten und Traumatisierten einen Zuhörer finden», analysiert dazu der Netzwerkforscher Harald Katzmair. «Jene, die Teilhabe anbieten, werden beim Einsamen Resonanz erzeugen. Jene, die sagen: So wie du bist, bist du ein wertvoller Mensch, werden bei denen, die nie im Licht der Anerkennung stehen, Anklang finden. Die in Hierarchien Eingepferchten werden jene, die neue Spielräume ermöglichen, als Befreier sehen.» Wer diese Grundbedürfnisse nicht mehr auf dem Radar hat, wird auch nichts ausrichten gegen Ideologien der sozialen Ausgrenzung. Vor allem das Bedürfnis nach Wertschätzung, Würde und Integrität von all jenen, die sich nicht täglich im Lichte des Erfolgs sonnen können, ist aus dem Blick geraten.
Lehrlinge werden beispielsweise nur im Hinblick auf ihre Funktionalität für den Arbeitsmarkt gesehen, es kommt nur die «halbe Persönlichkeit» der sich in der dualen Ausbildung befindlichen jungen Menschen in den Fokus der öffentlichen Diskussion, kritisiert der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier: «Der Mensch außerhalb der Arbeit, der politische Mensch, der Freizeitmensch, der Beziehungs- und Familienmensch ist den Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft offensichtlich völlig egal. Die Rechnung bekommt die etablierte Politik dafür bei jeder Wahl präsentiert. Die Lehrlinge, die sich von den etablierten Schichten nicht genügend anerkannt und wertgeschätzt fühlen, sind zur passiven Rebellion gegen das System angetreten.»
Eine weitere Beobachtung liefert der Soziologe Didier Eribon, der in seine Geburtsstadt Reims zurückkehrt und sich auf die Spuren seiner Familie begibt. Die Fabriksarbeiter_innen seiner Verwandtschaft wählen alle die Rechtsextremen. Eribon schreibt, «dass man die Zustimmung zum Front National zumindest teilweise als eine Art politische Notwehr der unteren Schichten interpretieren muss. Sie versuchen, ihre kollektive Identität zu verteidigen, oder jedenfalls eine Würde, die seit je mit Füßen getreten worden ist und nun sogar von denen missachtet wurde, die sie zuvor repräsentiert und verteidigt hatten.» Aus Arbeiter_innen wurden «sozial Schwache», aus Proletarierer_innen «bildungsferne Schichten». Aus Akteur_innen, die Rechte einforderten, wurde ein Sammelsurium von Opfern und Hilfsbedürftigen gemacht. Die einen verwandeln sie in Objekte sozialmoralischer Pädagogik, in defizitäre Unterschichtsdeppen, die nichts können. Die anderen betrachten sie als Objekte erobernder Fürsorge, als immerwährende Opfer, die alles brauchen. Aber nie als Akteur_innen, als Handelnde, als Subjekte. Es gibt eben Lebensmittel, die man nicht essen kann, aber trotzdem zum Leben braucht. Wer nicht im Licht steht, wird jenen vertrauen, die anbieten, was in ihrem Alltag verloren zu gehen droht: Achtung und Würde.