eingSCHENKt: Der Unterschied zwischen Hungern und Fastentun & lassen

«Meine Mutter mag keine Trinkpäckchen.» Undine Zimmer erzählt von ihrer Kindheit, aufgewachsen in einer Berliner Familie, die von Hartz IV leben musste: «Weil Trinkpäckchen arme Mütter demütigen können.» So sagt sie. «Wenn eine befreundete Mutter die kleinen Dinger aus ihrer Tasche holte, um sie ihren Kindern und vielleicht auch mir eins anzubieten, dann bekam meine Mutter noch einmal vorgeführt, dass sie solche Sachen nicht kaufen konnte, die Kinder so viel Spaß machen.»

Für Familien unter der Armutsgrenze sind Wohnen, Energie und Ernährung die drei Hauptposten im Haushaltsbudget, die zusammen bereits über zwei Drittel der Gesamtausgaben ausmachen. Je weniger Einkommen, desto höher wird dieser Anteil. In Deutschland ist bei Hartz IV 143 Euro für das Essen vorgesehen,  in der österreichischen Mindestsicherung liegt Essen in einem Topf mit anderen Ausgaben für das tägliche Leben, nach der Konsumstatistik kommt man auf eine durchschnittliche Summe von 180 Euro im Monat. Die Schuldenberatungen rechnen sogenannte Referenzbudgets aus, in denen der notwendige Bedarf eines Haushaltes ermittelt wird. Für Ernährung sehen diese Haushaltsbudgets 340 Euro/Monat vor. Also deutlich mehr als Hartz IV oder Mindestsicherung zugestehen.

In Armutshaushalten werden besonders bei länger andauernden Einkommenseinbußen anteilige Ausgaben für Bildung, Kultur, Erholung zugunsten der Ausgaben für Ernährung und Wohnung/Energie verringert. Am Ende des Geldes ist zu viel Monat übrig. Zahle ich die Krankenversicherung oder die Miete oder die Hefte zum Schulanfang für die Kinder? Wenn es eng wird, dann gibt es nur einen Posten, der verfügbar ist: Essen. Sparen geht nur dort. «Dann hat es nur mehr Nudeln gegeben», erzählt Maria Nowotny aus Wien. Jetzt geht es ihr und ihren drei Kindern wieder besser, rückblickend sagt sie: «Das Essen macht jetzt wieder Freude, kann wieder etwas Schönes sein.» An Einkaufengehen im Supermarkt denkt sie besonders ungern zurück. «Ich bin da blind durchgegangen, damit ich nur das Billigste und Notwendigste mitnehme.» Einkaufen bedeutete «Zwang und schlechte Stimmung».

 «Heute redet alles über Hartz IV. Die Menschen glauben dank Supernanny das Leben am Existenzminimum zu kennen – und haben doch keine Ahnung», sagt Undine Zimmer. «So wie der Entwicklungshelfer nur zu Gast in der Dritten Welt ist, so haben auch sie das Rückfahrticket immer in der Tasche.» Das mit dem Rückfahrtticket ist wohl die zentrale Sache. Es gibt die freiwillig gewählte Armut, wie sie zum Beispiel von Mönchen oder Asketen praktiziert wird. Es gibt aber auch die Armut als Leben, mit dem niemand tauschen will. Freiwillig gewählte Armut braucht einen Status, der den Verzicht zur Entscheidung erhebt. Unfreiwillige Armut sieht anders aus. Fasten ist nur dann Fasten, wenn die Möglichkeit, etwas zu essen, offen steht, sonst sind wir beim Hungern. Der Zustand der Unterernährung mag der gleiche sein, aber die Möglichkeiten, die die Personen haben, unterscheiden sich. Den Unterschied zwischen Hungern und Fasten macht die Freiheit. Undine erinnert sich an die Trinkpäckchen, die sie gerne als Jause in die Schule mit gehabt hätte: «Es ist ein Unterschied, ob man sich aus verschiedenen Gründen dafür entscheidet, gewisse Dinge nicht zu kaufen, wenn man weiß, man könnte es, oder etwas nicht kauft, weil man es nicht kann.»

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