eingSCHENKt: Extremismus der Mittetun & lassen

Die sozialen Probleme steigen, obwohl die Gesellschaft insgesamt immer reicher wird, besonders ganz oben. Schuld sind aber immer die da unten. «Die Unterschichtler», «die Mindestsicherungsbezieher» und «die Asylanten». Das ist eine Methode, um die Verteilungs- und Gerechtigkeitsdebatte nur «ganz unten» zu führen. Die zehn Prozent der Bevölkerung mit den geringsten Einkommen und Chancen dürfen einander dann die Augen auskratzen. Wie in einem römischen Stadion werden sie aufeinander losgelassen. Der Rest darf zuschauen und sich ein bisschen fürchten – oder daran erfreuen, nicht zu «denen» zu gehören.In Griechenland ist ein großer Teil der Bevölkerung nicht mehr krankenversichert, die Säuglingssterblichkeit ist massiv gestiegen, die Selbsttötungen nehmen zu. Alles bedauerlich, aber normal, sagt die wirtschaftliche und politische Mitte in Europa. In der Steiermark hat die Landesregierung mit drastischen Kürzungen die Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen und bei Kindern verschlechtert. Dafür wurde sie von der journalistischen Mitte als «Reformpartner» bezeichnet. Alles kein Problem. Gleichzeitig wird wegen Kriegsflüchtlingen aus Syrien der Staatsnotstand ausgerufen, in der Steiermark Top-Thema der Landtagswahl, bei 1,2 Millionen Einwohner_innen leben 4000 Flüchtlinge, das sind 0,4 % der Bevölkerung. Hilfsorganisationen und karitative Einrichtungen, die humanitäre Hilfe anbieten, gelten mittlerweile als «extrem» bzw. «radikal». Das ist noch vor einigen Jahren unter bravem und gutbürgerlichem Engagement gelaufen. Da sieht man, wie sich die Mitte verschoben hat. Die FPÖ kommt in der Mitte an und versenkt 4 Milliarden Euro in der Hypo, das sind 4,4 % des Bruttoinlandsprodukts, findet aber, dass Mindestsicherungsbezieher_innen, Flüchtlinge und Bettler das Problem Nummer eins des Landes sind. Hassprediger allerorts: minderheitenfeindlich, menschenrechtsfeindlich, frauenfeindlich, europafeindlich. In Viktor Orbáns Ungarn ist das Ganze noch um einen Tick stärker aufgedreht; da gibt es Gefängnisse für Obdachlose und Jagden auf der Straße gegen Minderheiten. Auch alles normal.

Eine gespenstische Normalität hat sich da ausgebreitet. Mit der Propaganda der letzten Jahre haben sich die Schwellen in den Köpfen des Publikums wie im behördlichen Handeln immer mehr gesenkt. Dass die Hetze weniger wird, wenn die politische Mitte die Ziele der Hetze übernimmt, ist nicht wirklich zu erwarten. Die aktuelle Strategie, «Ausländerfeindlichkeit» mittels Ausländerdiskriminierung zu bekämpfen, ist ähnlich genial wie Antisemitismus mittels Judendiskriminierung Einhalt gebieten zu wollen. Wir haben es hier mit einem ausgewachsenen Extremismus der Mitte zu tun.

All die Ideologien der Ausgrenzung und des Sündenbocks wirken wie Drogen. Um dieselbe Wirkung wie vorher zu erzielen, muss die Dosis erhöht werden. Das hat die politische Mitte noch nicht begriffen. Wenn sie die Inhalte der Hetze übernimmt, wird auf Seiten der Hetzer stets die Dosis erhöht. Die Hetze bestätigen, heißt sie anzufeuern. Diese Wechselwirkung war in den letzten zwei Jahrzehnten gut beobachtbar. Gefährlich ist nicht der völkische und sozial-hetzerische Rand, gefährlich ist sein Einbruch in die politisch-gesellschaftliche Mitte.