eingSCHENKt: Ich bin meine Geschichtetun & lassen

Der Eintritt ein Gedicht. Der Zugang ein Lied. Der Türöffner eine Kurzgeschichte. Heute Abend wird zum Treff in die Wiener Notstelle s’Häferl geladen, dem Wirtshaus für Leute, die es eng haben und am Limit leben.Gekommen sind Anneliese, die mit ihrer Mindestpension mehr schlecht als recht durchkommt, da ist Kurt, den der Arbeitsmarkt ausgespuckt hat wie ein ungenießbares Stück Fleisch, gekommen ist Lisa, die mit Krankheit und dem Alltag kämpft. Für Essen und Trinken ist gesorgt. Anneliese liest ihre vor einigen Tagen verfasste Kurzgeschichte über eine verflossene Liebe vor, Kurt gibt Stanzln aus seiner früheren Arbeit zum Besten, Lisa traut sich über ein Gedicht, das ihr in der Straßenbahn eingefallen ist. Alle sind sie sonst als unbrauchbar abgestempelt worden, vom Arbeitsmarkt als chancenlos tituliert, in der Öffentlichkeit unsichtbar gemacht. Doch hier im Häferl wird das wie zu einer «Inventur der verborgenen Talente», all die ökonomisch entwerteten Fähigkeiten und Kenntnisse von Menschen werden gehoben, sichtbar und hörbar.

Anderer Schauplatz. Gespräche und Interviews mit angelernten Arbeitern, Facharbeitern sowie prekär beschäftigten Frauen in der Steiermark. Die Männer haben Entlassungen, Wiedereinstellungen und wieder Entlassungen erlebt. Die Frauen berichten von unsicheren, schlecht bezahlten Jobs, langen Phasen der Erwerbslosigkeit und der Schwierigkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren. Die schwierigen Arbeitsbedingungen nehmen die Männer in Kauf für soziale Sicherheit, einen bescheidenen Wohlstand und soziale Anerkennung. Die Frauen sind stolz, alles zu schaffen, ein eigenes Einkommen und auch Zeit für die Kinder zu haben. Das Versprechen aber, dass Leistung und Arbeitseifer soziale Sicherheit und Achtung garantieren, ist ins Wanken geraten. Sie alle haben sozialen Abstieg erlebt: beruflichen Abstieg vom Metallarbeiter zum Straßenreiniger, Lohnverlust, erzwungene Frühpensionierung. Sie fühlen sich um das versprochene Lebenskonzept betrogen, das einen Tausch von harter Arbeit gegen bescheidenen Wohlstand und einen anerkannten sozialen Status vorsieht. Die Frauen haben immer in prekären Jobs gearbeitet, aber auch immer wieder einen Job bekommen. Diese Arbeitsmarktchancen im unteren Lohnsegment sind jetzt im Schwinden. «Wer nimmt mich mit über fünfzig, es wird immer schwieriger.» Ausbildung, Fleiß, Entsagungen, Treue – all das schützt nicht vor Abstieg. Das nehmen die Betroffenen als eklatanten Verstoß gegen die Fairness wahr, als eine tiefe Verletzung und Kränkung. Dafür gibt es öffentlich keine Sprache. Ihre Situation wird he­runtergespielt oder mit leeren Durchhalteparolen zugedeckt. Die Debatte über Mindestsicherung beispielsweise findet seit zwei Jahren ohne die Betroffenen statt. Und niemandem scheint es aufzufallen.

Armut ist nicht nur ein Verlust an Einkommen. Armut ist stets verbunden mit einem Verlust an sozialem Status. Die Geschichte der Armutsdiskurse besteht seit hunderten Jahren in einem sich stets wiederholenden Prozess, bei dem die jeweilige Verlierergruppe eines grundlegenden sozialen Wandels für ihre verschlechterte ökonomische Lage selbst verantwortlich gemacht, beschimpft und herabgewürdigt wird. Es geht um die Gewalt, der jene ausgesetzt sind, deren Leben im Dunkeln bleibt, die nicht repräsentiert werden, die nicht sichtbar sind. Im Häferl stellen Anneliese, Kurt und Lisa ihre Geschichte(n) dagegen.