Seit Monaten versucht das ÖVP-geführte Finanzministerium gemeinsam mit Minister Kurz Möglichkeiten auszuloten, wie sie nach den Mindestsicherungskürzungen auch in der Arbeitslosenversicherung Einschnitte vornehmen können. Jetzt ist eine Studie des Finanzministeriums publik geworden, die die Einführung von Hartz IV in Österreich andenkt.Was heißt das für uns? Die weitere Durchlöcherung des unteren sozialen Netzes führt zu einer Abwärtsspirale, welche die schwierige soziale Situationen verschärft und verlängert. Besonders für die untere Mittelschicht. Zudem würde es die Zahl der Personen im letzten Netz massiv erhöhen: Um circa 160.000 Menschen erhöhte sich die Einkommensarmut. Die Abschaffung der Notstandshilfe würde auch eine massive Schlechterstellung für Arbeitslose bedeuten und einen Anstieg der Altersarmut – keine Pensionsversicherung mehr – mit sich bringen.
Deutschland hatte in den letzten zehn Jahren den raschest wachsenden Niedriglohnsektor Europas. Der durch Hartz IV geschaffene Niedriglohnsektor übte starken Druck auf die gesamte Lohnentwicklung aus. Die Konsequenz: Die Löhne stiegen nicht angemessen und bleiben weit unter Produktivität wie Inflation. Das hat dazu geführt, dass sich immer weniger Menschen das Leben leisten können. Die Mehrzahl der Leute im Niedriglohnsektor in Deutschland verfügt übrigens entgegen aller Vorurteile über eine abgeschlossene Berufsausbildung.
Prekäre Beschäftigung ist kein Sprungbrett in den sogenannten «ersten Arbeitsmarkt». Nur 12 Prozent steigen in bessere Arbeitsverhältnisse um. Man fällt schnell hinein und kommt umso schwerer wieder heraus. Es entstehen vielmehr Drehtüreffekte vom schlechten Job zum schlechteren Job. Hartz IV hat keine neue Arbeit geschaffen. Das Arbeitsvolumen bezahlter Arbeit ist in Deutschland gesunken. Dieser Rückgang ist aber nicht gleich verteilt. Ein sinkendes Arbeitsvolumen wird durch atypische Beschäftigungsverhältnisse auf immer mehr Schultern verbreitert – Teilzeitbeschäftigung, Geringfügigkeit, Leiharbeit. Zehn bis fünfzehn Prozent der im globalen Norden lebenden Menschen werden somit aus dem Umfeld halbwegs gesicherter Erwerbsarbeit ausgeschlossen.
Der renommierte Sozialforscher Klaus Dörre weist auf ein zentrales Problem hin: «Wer rund um Hartz IV verdient, ist gesellschaftlich nicht mehr respektiert.» Prekarität hat «die Schwelle der Respektabilität verändert» und «den Druck auf die Leute erhöht». Hartz IV ist die Verschiebung der Schwelle der Respektabilität nach unten. Die Betroffenen werden gesellschaftlich missachtet. Dörre zitiert aus seinen Befragungen. Die Prekaritäts-Logik «verlangt, jene qualitativen Ansprüche an Arbeit und Leben aufzugeben, die besonderes Engagement motivieren. Das Leitbild von Hartz IV klagt etwas ein, was in der Praxis zertrümmert wird: Eigenverantwortung und Initiative», so Dörre.
Alle diese Vorschläge führen dazu, dass soziale Unsicherheit bis weit in die unteren Mittelschichten hochgetrieben wird – und Gegenwart und Zukunft für Hunderttausende verbaut. Reformen wären sinnvoll, wenn sie versuchen würden, die Existenz und Chancen zu sichern, aber nicht Leute weiter in den Abgrund zu treiben. Wenn jetzt von Minister Kurz und Schelling beschwichtigt wird, dann nicht weil sie Hartz IV für Österreich ablehnen, sondern weil sie ertappt wurden.