Alte Menschen pflegen, Flüchtlinge betreuen oder Kinder unterrichten: «soziale Innovation» ist mittlerweile unabdingbar – zumindest am Etikett. Liest man die Begründungen für Sozialpreise, vertieft man sich in die Managementliteratur, glaubt man den Karriereseiten in den Zeitungen, dann kann man gar nicht anders als zum Schluss kommen: Das Alte ist schlecht, das Neue ist gut.Das eine ist von gestern, das andere weist ins Morgen. Alles super neu und innovativ. Natürlich braucht es gute Ideen, bedarfsgerechte Angebote, respektvolle Unterstützung und Mut zur Veränderung. Aber ist das entscheidende Kriterium, dass es neu ist? Und was steckt hinter der Innovation?
Mir scheint, dahinter verbirgt sich auch ein gerüttelt Maß an Ideologie. Was unter der Fahne der «Innovation» segelt, bietet bei näherer Betrachtung oft nichts Neues unter der Sonne. Es tut so, als wäre es – abgeschnitten von allem Vorhergegangen – original neu, obwohl es aus dem Alten schöpft. Das «Neue» ist gar nicht neu, sondern peppig aufgemascherltes ALTbekanntes. Da schießen die Marketing- und Vernebelungsmaschinen aus dem Boden. Die Unschärfe der Worthülse erlaubt, sie mit allem zu befüllen und für sich zu vereinnahmen. Ein Containerbegriff. Dieser Hype um den Begriff und dessen zunehmende Institutionalisierung hat eine Geschichte: Erstmals erwähnt in den 1970er Jahren war das Wort bis etwa ins Jahr 2000 nicht sonderlich bekannt. Erst mit der Finanzkrise waren die sozialen Verwerfungen in Europa Wegbereiter für den Höhenflug des Konzepts. Die Idee, sozial zu sein, ohne Verteilungs- und Machtfragen zu stellen, das Ansinnen, sozial zu sein, ohne die Kürzungen des Sozialstaats stoppen zu müssen, das Vorhaben, sozial zu sein, ohne Austerität in Frage zu stellen – all das machte das Konzept attraktiv. Die Vagheit und Unbestimmtheit des Begriffs ermöglichte gleichzeitig mit sozialer Tarnkappe in Dienstleistungsbereiche wie Pflege oder Sozialarbeit vorzudringen, in denen Profit und Kommerzialisierung bislang – mit guten Gründen – nicht Platz gegriffen hat. Die trügerische Zauberformel lautet: Es soll mehr mit weniger gemacht werden. Damit ist auch klar gesagt, dass nach billigeren Lösungen gesucht wird, oder genauer: nach weniger Mitteln solidarischer Finanzierung, nach weniger res publica basierend auf sozialen Rechten.
Alles super neu und innovativ. «In diesem Neuigkeitswahn werden Gegenwartskrisen nicht aus begangenen Irrtümern, Fehlentwicklungen oder Fehlentscheidungen erklärt», argumentiert der Philosoph K. P. Liessmann. «Krisen sind in einer solchen Lesart immer und ausschließlich Resultate eines Neuigkeitsmankos.» Es war zu wenig neu. Die Frage nach dem Neuen hat hier die alten Fragen nach der Wirklichkeit und die Fragen nach dem guten Leben abgelöst. Was nicht neu ist oder nicht als neu präsentiert werden kann, hat keinen Wert – und sei es auch noch so gut oder noch so funktional. Das Einzige, was es gegenüber dem Alten in die Waagschale zu werfen hat, ist nicht unbedingt das Bessere, sondern eben: Es ist etwas Neues. Für Obdachlosenbetreuung, Flüchtlingsarbeit, Pflege oder Bildung sollte aber gelten: Es geht um das Bessere.
Tipp:
Katharina Meichenitsch, Michaela Neumayr, Martin Schenk: Neu! Besser! Billiger! Soziale Innovation als leeres Versprechen? Mandelbaum Verlag