Papas Herz ist kaputt. Die beiden Buben sehen, dass Papa ins Krankenhaus muss. Sie sehen Mama weinen. Papa leidet an einer schweren Herzkrankheit. Ob er all das überleben wird, weiß niemand. Mama weiß es auch nicht.
Sie sagt Sätze wie: «Die Engelchen sitzen auf Papas Schultern und überlegen, ob sie ihn mit in den Himmel nehmen sollen.» Maja Roedenbeck erzählt auf dem Podium der Wiener Hauptbücherei von ihrer Familie und dem Ringen ihrer beiden Kinder in den Tagen von Papas Herztransplantation – und vom Alltag davor und danach.
Ein Mann im Saal hebt die Hand und meldet sich zu Wort. «Ich kann nicht ruhig bleiben. Vieles aus meiner Kindheit kommt gerade hoch. All das, was ich mit meinem alkoholkranken Vater erlebt habe.» In der Reihe schräg vor ihm nimmt eine junge Frau ihren Mut zusammen und das Mikrofon in die Hand. «Meine Mutter war schwer depressiv, so bin ich aufgewachsen, ich war als Tochter oft stark und dann wieder verzweifelt. Bin ich schuld? Was kann ich machen, damit es Mama wieder besser geht?» Viele quälende Fragen haben das kleine Mädchen umgetrieben. Bis jetzt.
Maja Roedenbeck nimmt ihr Buch und liest eine weitere Geschichte vor. Sie erzählt von einem Mädchen, das seine an Mulitple Sklerose erkrankte Mama pflegt. Titel der Story: Das Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir ist wie das zwischen Patient und Pfleger. Schwach und stark zugleich mussten sie sein, erzählen die jetzt erwachsenen Kinder. Bis jetzt dauert das Ringen um einen versöhnten Rückblick an: Wie all das, was war, selbstverständlicher Teil meiner Geschichte werden kann – ohne die Gegenwart zu vergiften und die Zukunft zu verbauen.
43.000 Kinder und Jugendliche erledigen in Österreich tagtäglich pflegerische Aufgaben, für die sie weder psychisch noch körperlich in der Lage sind. Das Durchschnittsalter der Kinder liegt bei 12 Jahren, 70 % sind Mädchen. Vielfach sind die Kinder allein gelassen. Warum gibt es da so wenig Unterstützung? Ein Symptom für das dahinterliegende Problem ist die Verengung der Debatte auf stationäre Pflege im Heim oder 24-Stunden-Betreuung. In Österreich hat man den Eindruck, als solle es nur das eine oder das andere geben. Das sind aber die falschen Alternativen. Die Kinder brauchen das, was dazwischen liegt. Leistbare mobile Dienste für ein paar Stunden, die nach Hause kommen, eine «Family Health Nurse», die die ganze Familie im Blick hat, auch sozialpädagogisch kompetent ist, Anbindung an die lokale Community oder ans Grätzel, Sozialnetzkonferenzen, die die Ressourcen in der Umgebung des Kindes heben.
Was all die Betroffenen in der Hauptbücherei klarmachen: Ein wichtiger Faktor für ein Kind kranker Eltern, mit seiner Situation klarzukommen, ist eine feste Bezugsperson, die Stabilität ins Leben bringt und hilfreiche Wege des Umgangs mit der Lebenskrise vorlebt. Das kann ein Verwandter wie Großelternteile oder eine Tante sein, ein Lehrer, eine Nachbarin, eine Sporttrainerin oder auch ein ehrenamtlicher Pate. Maja Roedenbeck spricht aus eigener Erfahrung. Es sei nicht richtig, dass Kinder ihre kranken Eltern pflegen, betreuen oder durch Lügengeschichten decken, damit niemand etwas mitbekommt: «Wenn du das erlebst oder erlebt hast, darfst du dir Hilfe suchen.»