Einladung zum TanzArtistin

Manfred Pernice in der Secession: Ein große Schau des Schauens

Betritt man die Ausstellungshalle der Secession, kann man leicht das Gefühl von Überforderung bekommen. Eine Menge rätselhafter Objekte. Sie scheinen lapidar zusammengewürfelt aus Versatzstücken privater Lebensgeschichte, gewöhnlichen kleinbürgerlichen Gebrauchsgegenständen und skulpturalen Konstruktionen.

An manchen Stellen sind die Wände des Raumes mit Linien bemalt und beklebt. Andere, kaschierende Beklebungen wurden entfernt und so neue Felder abgesteckt. Hie und da stehen rostige Absperrstangen herum. Einzelne Arbeiten erscheinen unfertig. Die Sockeln meist tonnenförmig, kubistisch verschobene Würfel aus Pressspanplatten, Fliesen-Optik. Rechts wird auf einem grauen Teppich die Situation einer Ausstellung ausgestellt: Auf rondellartigen Sockeln ist altes Geschirr präsentiert und mit Beschriftungsschildchen aus irgendeiner französischen Ausstellung musealisiert.

«Skulpturama» heißt Manfred Pernices aktuelle Ausstellung. Wie der Name schon anklingen lässt, arrangiert er eine große Schau des Schauens, ein Kompendium seines Skulpturen- oder Kunstbegriffs. Ein Park der Blickwinkel, in dem der Betrachter in größtmöglicher Eigenwilligkeit seine Zugänge zu den skulpturalen Angeboten finden kann. Mittels einer lapidar an einen Flakturm erinnernden Empore ermöglicht der Künstler dem Betrachter den vollen Rundum-Blick auf die Ausstellung und ihre Elemente. Es geht um Veränderung der Position, um die eigene Bewegung. Und es kann leicht sein, dass das Herumstreifen durch die unzähligen Formverweise, Spuren und Chiffren, zu einer ungezwungenen Schnitzeljagd wird, bei der man Pernice durch Hinweise auf seine persönliche Geschichte ganz schön nahe kommt freilich ohne dass dies irgendein Ziel des Spiels darstellen würde.

So verweisen einige größere Keramiken aus der perniceschen Werkstatt wohl selbstironisch auf das eigene Rollenverständnis als Professor an der Akademie in Wien: Zwischen den (Sacher-)Torten steht ein großer Käse, die wotrubaeske Tonplastik erinnert an den Vor-Vorgänger. Und man denkt unweigerlich an Claes Oldenburgs Gips-Kuchentheken aus den frühen Sechzigern: «Also tue ich so, als hätte ich eine Rolle: Indem ich den Konditor oder den Fleischer imitiere, spiele ich Arbeiter.» Und dann sind da noch die sieben Socken am Wäscheständer. Eine Hommage an die Diplomarbeit seines Schülers Roman Britschgi, «Das Geheimnis der fehlenden Socke»? Und manchmal denkt man: Da könnte man doch irgendwie dahinter kommen! Aber eben darum geht es ja gar nicht.

Die formalen Angefangenheiten und die eigene Unsicherheit gegenüber eventuellen Bedeutungen der Arbeiten werden einem bei weiterer Betrachtung zur Freiheit der selbstständigen Lösungsfindung. Der Zugang ist das Begehen, das eigene Drehen und Wenden. Das Ganze ist wie der Zauberwürfel, der mit anderem Zeugs am Drehgestell einer der beiden motorisierten Skulpturen seine Kreise zieht. Die Kunst von Manfred Pernice ist ein Angebot, keine Lösung.

Er zeigt die Welt in einem neuen Realismus

Manfred Pernice hat sich auf dem schrillen Kunstmarkt als Meister des Lauen einen Namen gemacht, als Kartograph des einst Alltäglichen, des Banalen und Unscharfen.

Akribisch sucht er Welt-Orientierung durch absurde Peilungen, verbindet scheinbar zufällige geographisch-historische Informationen und Relikte, welche die Achse seiner Aufmerksamkeit treffen. Sein persönlicher Blick und Winkel als Kurator der subjektiven Welt-Ausstellung. Er sammelt, arrangiert, chiffriert und bietet sie mit musealer Geste manchmal lapidar ironisch an. Doch die ironischen Einlagen wollen uns bloß ein wenig über die tiefe Melancholie hinwegtäuschen, mit der das Werk im Bewusstsein der Vergänglichkeit aller Alltagswirklichkeiten, wie auch auf die Ruinen und Scherben von Weltanschauungen und Wahrheiten blickt.

In Pernices Fokus steht oft Alltägliches aus der Nachkriegszeit und besonders der DDR als vermeintlich sicher eingedostes Wahrheitssystem: romantisch wie ein orientalischer Garten und doppelt wahr, nämlich real und existierend. Keramik spielt immer schon eine große Rolle, vor allem Kacheln und Geschirr: Deren Metamorphose von der amorphen, haltlosen Monade zum harten, dichten Gefäß, zur Raum ordnenden, Struktur gebenden Fliese mit der Glasur, welche die saubere Oberfläche bildet. Es sind Selbstverständlichkeiten, welche die Überzeugungen ihrer Zeit tragen. Dann findet man sie am Flohmarkt der Unwichtigkeiten, teils in Scherben.

Pernice zeigt die Welt in einem neuen Realismus: immer noch unfertig, zerfallend, andeutend und unsicher. Doch nun lädt er uns mit seinen sich fast kess drehenden Objekten, mit dem Tanz der Achsen, zum Spiel der Möglichkeiten ein. Das Grundgefühl der Unsicherheit und Verlorenheit tritt zugunsten eines anderen, aktiven Skulpturenbegriffs zurück.