Ein von den Medien kaum wahrgenommener Machtfaktor: die Raiffeisengruppe (Teil 2)
Wer hätte das gedacht: 1,7 Millionen Österreicher sind Bankiers. Und wer jetzt glaubt, diese 1,7 Millionen lebten in unermesslichem Reichtum und mit den Annehmlichkeiten, die gemeinhin Bankiers zugerechnet werden, muss enttäuscht werden. Sie sind Bankkunden des Bankensektors der Raiffeisengruppe, Mitglieder der größten Genossenschaftsgruppe des Landes und dadurch weiters Eigentümer der Geldhäuser. Klingt nach einer gehörigen Portion Demokratie und einer ordentlichen Machtfülle der Kunden und Eigentümer. Ist aber nicht so. Der Reihe nach:Die Bankorganisation der Raiffeisengruppe ist dreistufig aufgebaut: im Dorf die örtliche Raiffeisenkasse, in den Landeshauptstädten die Raiffeisenlandesbanken und in der Bundeshauptstadt die Raiffeisenzentralbank RZB, vor kurzem fusioniert mit der Raiffeisenbank International. Die 545 selbständigen lokalen Raiffeisenbanken verfügen über 2234 Bankstellen und sind flächendeckend über die gesamte Republik verstreut, Österreich verfügt über 2357 Gemeinden. Die Eigentumsverhältnisse sind vertikal organisiert: Die lokalen Raiffeisenbanken in den Gemeinden halten Anteile an den Landesbanken, die Landesbanken wiederum besitzen gemeinsam die RZB, und die RZB verfügt über eine Reihe von Tochtergesellschaften, die in den Bereichen Versicherung, Leasing, Bausparkasse oder Wertpapierfonds tätig sind. Also ist beispielsweise der Kunde/Genossenschafter einer lokalen Raiffeisenbank über den Umweg Landesbank und RZB Miteigentümer all der Spezialgesellschaften der Gruppe. Raiffeisen selbst sagt, dass mehr als 40 Prozent aller Österreicher Kunden einer Raiffeisenbank sind.
Entscheidet sich ein Kunde, «Mitglied» (das Wort «Genossenschafter» kommt im Sprachgebrauch der Bankengruppe nicht vor weshalb, ist eine andere Geschichte) zu werden, so ist ein Anteilsschein zu zeichnen, d. h. Kapital auf den Tisch zu legen. Das Mitglied wird jährlich zur Generalversammlung seiner lokalen Raiffeisenbank eingeladen und darf, so die Verlautbarung der Bank, über wichtige Fragen abstimmen und Funktionäre wählen. Was hier besonders demokratisch klingt, bedeutet jedoch, dass Mehrheiten bei der Mehrzahl der lokalen Raiffeisenbanken nötig sind, um auf Landesebene Mehrheiten zu erreichen. Rein formal ist dies selbstredend demokratisch, in der Praxis spielt die Musik natürlich bei den Landesbanken und in der RZB.
Bescheidener Beginn: im Zimmer der Dorfschule
Es geht um viel Kohle: Beispiel Raiffeisenlandesbank Oberösterreich: Die Bilanz 2009 nennt die Summe der Aktiva mit 29.360.177.123,77 Euronen. (29 Milliarden und 360 Millionen und 177 Tausend und 123 Euro und 77 Cent). Der gesamte Konzern der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich nennt übrigens 2009 stolze 35 Milliarden Euro als Aktiva. Die Summen klingen weniger abstrakt, wenn sie mit dem Landesbudget Oberösterreichs verglichen werden: 2009 betrug die Gesamtsumme der Einnahmen des Bundeslandes 4,2 Milliarden Euro. Nun lassen sich Bilanzsummen von Banken und Landesbudgets nicht unmittelbar vergleichen, aber die beiden Ziffern geben eine Ahnung, wo die Macht zu Hause ist.
Ein weiterer Aspekt ist bemerkenswert: Die Eigentümer der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich, die lokalen Raiffeisenbanken, agierten noch vor wenigen Jahren für die heutige Bankenwelt höchst unorthodox. Nicht in teuer gebauten Banklokalen mit täglichen Öffnungszeiten wurde gearbeitet, sondern in vielen Ortschaften wurde am Sonntagvormittag ein Klassenzimmer der Volksschule im Dorf angemietet und für zwei Stunden gab es die Möglichkeit für Ein- und Auszahlungen. Die heutige Situation mit einer Raiffeisenbank in nahezu jeder Gemeinde zeigt die ungeheure Dynamik der Entwicklung von der Darlehenskasse zum Allfinanzkonzern. Zur Erinnerung: Wir sprechen hier lediglich über die Bilanzsumme der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich und haben die Ziffern der anderen Raiffeisensektoren in Oberösterreich wie den Agrar-, Industrie-, Versicherungs- oder den Immobilienbereich noch nicht erörtert.
Auch das Spitzeninstitut der Raiffeisengruppe, die Raiffeisen Zentralbank Österreich AG, kann sich mit seiner Bilanzsumme sehen lassen: 2008 schreibt der ehemalige Selbsthilfeverein die Bilanzsumme von 156,9 Milliarden Euro in seine Bücher. Auch hier seien die Ziffern des Budgets der Republik Österreich genannt: 2008 standen rund 66,9 Milliarden Einnahmen rund 69,9 Milliarden Ausgaben gegenüber. Auch hier das ähnliche Bild die Macht liegt dort, wo die Kohle ist.
Wichtiger Player im Raiffeisensektor ist die Raiffeisen International. Diese Bank war bis vor kurzem eine 70 Prozent Tochter der RZB, der Rest war Streubesitz und wurde an der Börse gehandelt. Das Geldhaus ist vornehmlich in Osteuropa tätig und hat die Krise 2008 stark zu spüren bekommen. Dies zeigt sich auch an den Bilanzziffern: Wurden 2008 noch 85,3 Milliarden notiert, so reduzierte sich dieser Betrag 2009 auf 76,2 Milliarden Euro. Jetzt wurden Teile der RZB mit der Raiffeisen International zusammengeführt, die Eigentümer sind weiters die Raiffeisenlandesbanken sowie jene Aktionäre, die sich per Börse (Streubesitz) Aktien kaufen.
Wo viel Geld, da viele Interessen. Wo viel Geld, da können auch die Interessen umgesetzt werden. Lobbying wird das dann genannt. Im Parlament, im Landtag, in den Kammern, in Brüssel. Wer wie wann sehen wir uns in einer weiteren Folge an.