Einsamkeittun & lassen

Illustration: Thomas Kriebaum

Eing'Schenkt (11. September 2024)

700.000 Menschen in Österreich, knapp acht Prozent der Bevöl­kerung, sind in den letzten vier Wochen meistens oder immer einsam gewesen. Hier geht es nicht um die ­selbstgewählte Einsamkeit in der Askese oder beim Wellness-Fasten. Den Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein macht die Freiheit. Im Englischen weiß man die unfreiwillige «loneliness», unter der man leidet, zu trennen von «solitude», nach der man sich bisweilen sehnt. Hannah Arendt fasst das so zusammen: «Ich nenne diesen existentiellen Zustand, in dem ich mit mir selbst umgehe, ‹Alleinsein›, im Unterschied zur ‹Einsamkeit›, in der man auch allein ist, aber nicht nur der Gesellschaft anderer Menschen entbehrt, sondern auch der möglichen eigenen.» Fremd zu mir selbst.
Einsamkeit bedeutet, sich von der Welt getrennt fühlen. Spricht man mit Betroffenen, dann äußern sie in der Tiefe: Wir sind hier verlassen worden. Ich bin verlassen. Vergessen und abgelegt. Einsam und isoliert. Die Welt gibt es da draußen, aber ich bin nicht mehr mittendrin. Die Welt mag tönend, farbig, warm und frisch sein. Meine Welt ist es nicht (mehr). Die Welt ist fremd geworden zu einem selbst. Wer sich von allen guten Geistern verlassen fühlt, verliert auch das Vertrauen in die Welt rundum, in seine Umgebung, in die Gesellschaft, in die Demokratie. Je einsamer, desto geringer die Wahlbeteiligung und das Vertrauen in demokratische Institutionen.
Einsamkeit ist kein individuelles Schicksal, sondern geht uns alle an und verursacht Kosten für die gesamte Gesellschaft. Ein Maßnahmenpaket gegen Einsamkeit ist gut für sozialen Zusammenhalt, Gesundheit und Demokratie. Vereinsamte werden anfälliger für Krankheiten, schlittern öfters in eine Depression, verlieren an Mut. Je einsamer sich die Befragten fühlen, desto schlechter schlafen sie. Der Schlaf ist ein guter Indikator für Stress und Belastung, ein Brückenkopf zwischen innen und außen. Soziale Isolation geht unter die Haut, verändert unsere Beziehung zur Welt. Sie schwächt das Immunsystem der Einzelnen und der Gesellschaft. Einsamkeit wird schlimmer mit Armut, bedrohlicher mit sozialen Krisen und belastender mit schlechter sozialer Infrastruktur.
Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstren­gung in Bund, Ländern und Gemeinden, um die sozioökonomischen Ursachen anzugehen und gleichzeitig Einsamkeit vor Ort zu verringern. Wir könnten ein koordiniertes Maßnahmenpaket entwickeln, das Grätzelinitiativen, sozialraum­orientierte Projekte, Nachbar:innenschaftshilfe und Community-Arbeit gezielt fördert und finanziert. Dabei geht es auch darum, Menschen zusammenzubringen, die sich gegenseitig unterstützen. Im Mittelpunkt muss die Stärkung und Teilhabe der Bewohner:innen stehen: Tue alles dafür, dass Menschen können, was sie (gemeinsam) tun wollen.
Aus einem Interview mit armutsgefährdeten und sozial prekären Personen: «Bei Freunden, die wohlhabend sind, da rede ich nicht über meine Probleme, weil ich möchte mich nicht klein fühlen, sagen wir so.» Zu viele Situationen der Einsamkeit, der Ohnmacht und der Beschämung machen die Welt fremd zu einem selbst. «Da ist eine große Sorge, eine große Angst in mir drinnen. Manchmal lasse ich das raus, ich spreche darüber mit meinem Mann und mit Ihnen jetzt. (…) Ich finde auch, es ist peinlich. (…) Meistens behalte ich das bei mir.»

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