Einzementierte GeschichtsbilderArtistin

Sind Denkmäler für immer? Oder dürfen, ja müssen sie verändert werden, wenn als Zeichen einer lebhaften Demokratie Geschichte neu debattiert wird? Ein Gespräch mit dem Wiener Künstler Eduard Freudmann.

Text & Interview: Kerstin Kellermann
Fotos: Carolina Frank

Die kürzlich verstorbene Ruth Klüger beschrieb in einem Buch sehr früh die vielfache Ehrung, die dem antisemitischen Wiener Bürgermeister Lueger zuteil wurde: Er erhielt Straßen, einen Platz, ein Denkmal und einen Teil der Ringstraße. Vor 25 Jahren machte der Bildhauer und Maler Bernd Fasching bereits ein Projekt zur Umgestaltung des Denkmals beim Stubentor. Der Wettbewerb der Universität für angewandte Kunst – Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal – ist mittlerweile auch schon zehn Jahre her. «Im Rahmen der Plattform Geschichtspolitik machten wir für den damaligen Wettbewerb ein paar Einreichungen, die alle utopischen Charakter hatten, weil wir davon ausgingen, dass es eh nicht realisiert wird», erzählt der Wiener Künstler Eduard Freudmann im covidbedingten Telefoninterview. «Dass eine Riesentafel mit der Aufschrift ‹Wer ein Antisemit ist, bestimme ich› von einem Helikopter abgeworfen wird und das Denkmal zerstört; oder dass es gesprengt wird und die Teile bis in den Loiblpass-Tunnel, den französische KZ-Häftlinge in der Nazizeit erbauen mussten, fliegen; oder eingraben, und nur die Schädelkuppe soll herausschauen.» Im Juli 2020 wurde das Lueger-Denkmal von unbekannten Autor_innen mehrmals durch Graffiti mit den Worten «Schande» markiert. Die Verwunderung war groß, dass im Zusammenhang mit den Denkmalstürzen in den USA die Diskussion keine «konzentrischen Kreise» zog. Eine weitere Markierung des Denkmals mit goldenen Buchstaben Anfang Oktober wurde durch einen plötzlichen Angriff der Identitären zerstört. «Ich habe schon damit gerechnet, dass irgendwelche Faschisten auftauchen werden», resümiert Eduard Freudmann rückblickend, «denn die reklamieren das Denkmal mittlerweile für sich. Nicht mehr die Christlichsozialen, sondern die Neofaschisten. Sie verwenden es für ihre Propaganda. Die Polizisten haben die Angreifer einfach machen lassen, als sie mit Hammer und Meißel aufkreuzten. Nicht einmal deren Identität wurde festgestellt.» Nun warten viele Künstler_innen auf eine neue oder alte Wiener Kulturstadträtin – die jetzige wünscht sich eine Umgestaltung. Eduard Freudmann hofft auf eine aussagekräftige Intervention: «Die Ehrung von Lueger soll verunmöglicht werden. Eine Wischi-Waschi-Veränderung reicht nicht.»

Du forderst als Künstler schon jahrzehntelang mehr Mut zum Denkmalsturz ein. In den USA gab es davon gerade sehr viel. Warum entlud sich der Zorn über ermordete Afroamerikaner_innen an Denkmälern?
Eduard Freudmann: Der über Generationen angestaute Zorn über die rassistische Diskriminierung, die viele Menschen in den USA erfahren, und den Mangel an Bewusstsein ist extrem groß. Diese Wut entlädt sich dann an Denkmälern, weil sie oft der Ort der öffentlichen Auseinandersetzung mit Geschichtspolitik sind. Der Schutz der Denkmäler vor Umgestaltung ist im Prinzip auch ein gewalttätiger Akt. Es ist unter Androhung von Konsequenzen wie Geldstrafen und Gefängnis verboten, Denkmäler auf eigene Faust umzugestalten. Insofern staut sich dann natürlich ein Frust auf, weil es sehr schwer ist, von der bewahrenden Fraktion Zugeständnisse zu erwirken. Es gibt eine sehr regressive Grundhaltung zur Politik im öffentlichen Raum. Es fehlt eben der Mut, diese Manifestationen im öffentlichen Raum als Orte der produktiven Auseinandersetzung mit Geschichte zu begreifen. Es braucht dringend einen neuen Umgang, einen Paradigmenwechsel, weg von diesem bewahrenden Grundsatz. Unsere Geschichtsbilder wandeln sich im Lauf der Zeit, das sollte sich auch in der Veränderung von Geschichts- und Erinnerungsorten abbilden.

Wurde dir als Künstler, der gerne Denkmäler umgestaltet oder selber entwirft, schon einmal eine Strafe angedroht?
Für eine künstlerische Arbeit entfernte ich 2011 eine Tafel im Bezirksamt des zweiten Wiener Gemeindebezirks, die antisemitische Geschichtsschreibung beinhaltete. In einer künstlerischen Aktion entführte ich sie in eine Galerie zwei Häuserblocks weiter. Der Bezirksamt-Portier verständigte die Polizei und ging uns nach. Die Polizei kam sehr schnell, um den Sachverhalt festzustellen, brachte die Tafel wieder zurück und nahm mich zur Einvernahme aufs Kommissariat in der Tempelgasse mit. Dort gab ich zu Protokoll, was ich getan hatte und warum. Dann veranlasste SPÖ-Bezirksvorsteher Gerhard Kubik, dass die Tafel wieder an Ort und Stelle gehängt wird. Mir wurde zugetragen, dass der Bezirksvorsteher geplant hatte, mich anzuzeigen und den Vorgang vor Gericht zu bringen. Doch die Magistratsdirektion Wien als verlängerter Arm des Bürgermeisters erwirkte, dass die Tafel ersetzt wurde und dass der Bezirksvorsteher davon Abstand nahm, mich anzuzeigen. Die Tafel hatte ich erst kurz zuvor bei der Passverlängerung am Bezirksamt entdeckt.

In Graz hast du im Auftrag des Steirischen Herbsts ein Denkmal umgestaltet.
Die Umgestaltung beruhte auf einer Initiative des Vereins Clio – es ging um verschiedene Denkmäler in Graz. Clio macht schon sehr lange fundierte Arbeit in Graz zu Geschichtskultur und wählte meinen Entwurf aus. Wichtig für das Gelingen ist, dass unterschiedliches Wissen zusammenkommt. Historisches Wissen, aber auch die Auseinandersetzung von unten, von der Stadtgeschichtsschreibung her, etwa im Sinne eines «Forsche und grabe, wo du stehst». Die künstlerische Expertise des Steirischen Herbsts ist sehr up to date, was Denkmäler betrifft. Mein Projekt handelte ganz speziell von der Selbstviktimisierung, vom österreichischen Opfermythos. Es ging um diese historische Position, dass Österreich das erste Opfer der Nazis sei, dann um Österreich als angebliches Opfer der Alliierten, aber auch um das Besondere dieser rechtspopulistischen Haltung, bei der es so einen heldenhaften Umgang mit der eigenen Opferrolle gibt. Es ging um diverse Rechtfertigungsstrategien, sich nicht mit der eigenen Verantwortung auseinandersetzen zu müssen.

Welche Rolle spielt die Farbe Rosa in deiner künstlerischen Umsetzung?
Die Arbeit beschäftigt sich mit dem sogenannten «Befreiungsdenkmal» und seiner temporären Umgestaltung. Der Titel dieses Denkmals bezieht sich auf die Befreiung Österreichs von den Alliierten – also nicht durch die Alliierten, sondern von den Alliierten. Ersichtlich durch das Datum, das dem Denkmal eingeschrieben ist – nämlich dem 26. Oktober 1955, an dem, wie fälschlicherweise in Österreichs Schulen gelehrt wird, der letzte russische Soldat Österreich verlassen haben soll. Das Denkmal stellt im Sockel einen stilisierten Käfig dar. Die Figur ist ein Adler, der aus dem Käfig entsteigt, seine Schwingen ausbreitet und zum Abflug ansetzt. Das Ganze thront im Burggarten über dem Stadtpark. Der Sockel wurde in einen rosa Obelisken mit der Aufschrift «Ö du Opfer» eingekleidet. Die Farbe Rosa hat in den letzten 15 bis 20 Jahren die Farbe Rot in unzähligen Denkmalinterventionen ersetzt. Rosa ist eine Referenz auf die Queerung, Entmilitarisierung und Antimaskulinisierung des antifaschistischen Aktionismus. Seit Mitte der 90er Jahre gibt es eine queere Antifa-Bewegung, die das sehr stark maskulin geprägte Bild des Antifaschismus und der Autonomen Antifa hinterfragt.
Interventionen sind sehr oft die Voraussetzung für eine offizielle Umgestaltung von Denkmälern. Im Verlauf wird oft eine künstliche Trennung zwischen den Aktivist_innen und weiteren Protagonist_innen eingezogen, die sich von den Aktionen, die vorher stattgefunden haben, distanzieren. Mit der Farbe Rosa wird der Zusammenhang zu den ersten Interventionen betont.

In Klagenfurt stehen zwei weiße Statuen zu dem NS-Massenmörder und späteren Tanzcaféinhaber Ernst Lerch, die völlig naiv und unschuldig ausschauen. Sie stellen Lerch und seine Frau in Tanzpose dar. Diese Statuen entdeckte eine Wiener Tanzpädagogin gerade erst bei einer offiziellen Klagenfurter Stadtführung. Dieser NS-Massenmörder wird anscheinend nur über sein Tanzcafé erinnert. Was könnte man tun?
Wie man eine Auseinandersetzung mit dem Thema startet? Man müsste sich anschauen, wer die Opferverbände sind oder Gruppen, die sich mit den Opfern dieses Mörders identifizieren. Mit regionaler Verankerung in Klagenfurt, denn es wird in den USA Überlebende geben, die das sicher furchtbar fänden, aber keine Ahnung haben, wo Klagenfurt überhaupt ist. Diese Lerch-Figur könnte aus den 50er- oder 60er-Jahren stammen. Was ist der Entstehungskontext? Wie wird die Figur interpretiert? Je mehr von dem politischen Kampf schon gekämpft ist, desto leichter fällt der Prozess einer etwaigen künstlerischen Umgestaltung.

Translate »