«Elendsquartier» abseits des Sensationellentun & lassen

Im Haus der Bettler_innen ist die Wohn-Realität normaler als es den Medien recht ist

Die Wohnungstür geht auf und ich muss gleich an die Wohnung meiner Oma denken: ein Marienbild an der Wand, die bestickten Decken über den Betten, alte gebrauchte Möbel, doch liebevoll gepflegt. Und es wird uns gleich Platz gemacht, ein Billa-Sackerl auf einen alten Stuhl gelegt und darauf Kaffee serviert. Auch die alte verschnörkelte Tasse vom Flohmarkt wirkt vertraut. Wir sind auf Besuch im „Elendsquartier“ nahe dem Westbahnhof, 15. Bezirk, das unlängst in den Schlagzeilen war – ein Besuch bei den so genannten „Bettelbanden.“Die zwei engagierten Mitarbeiterinnen der BettelLobby-Wien, mit denen ich das Haus besuche, kennen einige der Mieter_innen schon länger. Mit viel Hallo werden wir begrüßt. Die 500 Euro, die hier für etwa 60 Quadratmeter monatlich für Miete, Strom und Gas bezahlt werden müssen, könnte die Familie alleine nicht bezahlen. „Wo kriegt man eine günstige Wohnung, wo kriegt man Arbeit?“ fragt uns die Frau. Denn beides sucht sie schon lange. Erfolglos. Bislang sorgt ihr behinderter Mann für die Familie. 15 bis 20 Euro verdient er beim Betteln, es reicht gerade zum Überleben. Dann kramt die Frau in ihrer Tasche und zieht strahlend ein T-Shirt heraus. Sie hat es im Ausverkauf gekauft, für ihre Tochter, zum Schulbeginn, damit sie auch einmal etwas Neues hat. Die 7jährige scherzt indessen mit dem alten Mann, der müde am Bett sitzt: „Ich mach Fotos von dir, Opa“ ruft sie und tut, als würde sie ihn fotografieren, „und dann geb ich dich auf Facebook“. Der alte Mann lächelt, während seine Frau sich die schmerzende Schulter reibt. Müde sind sie, ja, sie haben den ganzen Tag gebettelt. Und sie würde gerne nach Griechenland, da wäre es zumindest wärmer, lacht die alte Frau.

„Wir sind hier alle in der Krise“ sagt später eine Bulgarin im Obergeschoss in gutem Deutsch. Sie ist schon seit Jahren in Wien und hat auch einen fixen Job. Doch der Lohn ist so gering, dass sie sich noch immer keine Wohnung alleine leisten kann. Deswegen wohnt sie hier, gemeinsam mit vielen anderen „Jeder versucht sich hier irgendwie über Wasser zu halten und ist froh, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben.“ sagt sie. „750 Euro kostet die Wohnung “ erkärt ein junger Mann, der sich einmischt. Diese Wohnung ist nicht klein: Altbau, drei große Zimmer, Küche, Bad – etwa 100 Quadratmeter. Ein Mietpreis, der am Wiener Wohnungsmarkt durchaus üblich ist – keine Rede also von „750 Euro für kleine Wohnungen“, wie es kürzlich im Falter stand, oder „Wuchermieten von 750 Euro für wenige Quadratmeter“, wie das dann der Standard kommentierte, ohne vor Ort gewesen zu sein. „Die meisten Männer arbeiten am Bau oder sammeln Eisen“, erzählt der junge Mann. Dass das Haus im Fokus der Medien steht und dass die Bewohner_innen vielleicht ausziehen müssen, hat schon längst die Runde gemacht. „Wir haben zwar einen Mietvertrag bis 2015“ sagt er, „aber wenn man uns trotzdem rauswirft, müssen wir uns was Neues suchen und hoffen, dass es besser wird.“

Manchmal funktioniert es: ein Haus bleibt länger unauffällig, weil die Hausverwaltung sich bemüht, es trotz der vielen Bewohner_innen gut in Schuss zu halten. Trotzdem kommt es oft zu Protesten seitens der Anrainer_innen, etwa weil es laut ist, die Leute als „fremd“ wahrgenommen werden und die Kommunikation aufgrund der Sprachbarriere schwierig ist. Hier könnte die schätzenswerte Arbeit der Gebietsbetreuung durchaus Vertrauen auf- und Ängste abbauen.

Elendshausberichterstattungstrend

Doch wenn eine Hausverwaltung ein Haus ganz bewusst verkommen lässt, weil die Mieter_innen lediglich der „Entmietung“ dienen sollen, sind Konflikte mit den Anrainer_innen ohnehin vorprogrammiert. Reißerische Schlagzeilen heizen die Stimmung zusätzlich an, wie etwa der „Elendshausberichterstattungstrend“ des heurigen Sommers. Medien skizzieren eine regelrechte „Bedrohung“ die von diesen Häusern ausgehen soll. Eine einzige Forderung scheint über dieser Art der Berichterstattung zu schweben: Wie wird man diese Leute wieder los? Doch hätte Qualitätsjournalismus heute nicht andere Aufgaben, als einem Spekulanten in die Hände zu arbeiten? Nämlich Fragen zu stellen, Hintergründe zu beleuchten, eine differenzierte Debatte auszulösen? Auch wenn es schwierig ist zu begreifen, was die Verelendung ganzer Landstriche in Rumänien oder Bulgarien für die Menschen bedeutet, wie Perspektivenlosigkeit auch zu Phänomenen wie Diebstahl, Kriminalität führen kann.

Der gemeinsame Wirtschaftsraum, zu dem wir uns längst bekannt haben, produziert Armut. Armut, die eben auch bei uns in Mitteleuropa immer sichtbarer wird. Wir sind längst gefordert, dieser Armut in die Augen zu sehen, mit ihr umzugehen, die Menschen z.B. mit leistbarem Wohnraum zu unterstützen.

Medizinische Hilfe gibt es zwar bei AmberMed, der Arztpraxis Neunerhaus, der Caritas oder den Barmherzigen Brüdern und ein sehr menschliches Zeichen setzte z.B. eine fb-Gruppe, die ganz konkrete Hilfe leistet: https://www.facebook.com/groups/hilfefuerivan/?fref=ts Doch es braucht Unterstützung bei Arztbesuchen, bei Behördengängen, etwa der Einschulung der Kinder oder eben im Umgang mit VermieterInnen. Weiters fehlt die wichtige Schnittstelle zwischen Armutsbetroffenen, NGOs, Behörden, AnrainerInnen und auch Vertrauenspersonen innerhalb der Polizei.

In Anbetracht der jüngsten Entwicklungen in Salzburg, wo es zu gewalttätigen Übergriffen gegen Roma, Brandanschlägen und Nazischmierereien kam, sind Politik, Behörden und Medien umso mehr dazu aufgerufen, die Hetze gegen Armutsbetroffene einzustellen und die Armutsproblematik endlich auf einer sachlichen Basis zu diskutieren.

Denn die Menschen sind da. Nebenan. Sie werden nicht aufgeben, sie werden um ihr Überleben kämpfen, genauso wie Sie und ich das machen würden.

Birgit Hebein

Die Autorin ist Sozialsprecherin der Wiener Grünen