Elisabeth Scharang: Schiele nicht auf den Markt, sondern …Artistin

... erzähle Storys, für die du brennst

Elisabeth Scharang nimmt sich trotz einer intensiven Arbeitsphase Zeit für einen Minztee im Café Menta. Die Regisseurin steht zum Zeitpunkt des Augustin-Gesprächs mitten in der Fertigstellung ihres neuen Dokumentarfilms «Kick Out Your Boss». Ein konstruktiver Kontrapunkt zum Klagen über schlechte Arbeitsbedingungen. Der Film hatte auf der Diagonale in Graz Premiere, und rund um den 1. Mai ist Kinostart, wenn alles nach Plan läuft.

 

Foto: Pamela Russmann

Wie sind Sie zur Filmidee für Ihren aktuellsten Film «Kick Out Your Boss» gekommen?

Das entstand in der Zeit, als die Proteste der freien Mitarbeiterinnen beim ORF aufflammten. Als langjährige Moderatorin bei FM4 und bei Ö1 war das natürlich auch mein Thema. Ich habe begonnen, mich mit Unternehmensstrukturen zu beschäftigen und mit der Frage: Sind Konkurrenz- und Machtkämpfe, Geldsorgen und eine ständige Überarbeitung zwangsläufige Begleiter in einem Arbeitsalltag? Im Zuge der Dreharbeiten haben sich interessanterweise die Arbeitssituationen vieler um mich plötzlich verändert. Kaum wer aus dem Filmteam steht noch dort, wo er am Anfang der Produktion stand. Meine Produzentin hat zum Beispiel für drei Monate einen Job an einer Rezeption eines Hotels angenommen, das wollte sie schon immer ausprobieren.

Wieso der Titel «Kick Out Your Boss»?

Die Dokumentation hinterfragt unter anderem Hierarchien. Die Zuseher_innen erfahren, warum sich jeder Boss, jede Chefin regelmäßig von der Macht-Position hinausbewegen sollte – zum eigenen Wohl und jenem der Firma. Ricardo Semler, brasilianischer Visionär und Haupteigentümer des internationalen Maschinenherstellers SEMCO, hat sich schon lange selbst als CEO abgeschafft. Das Unternehmen Semco S/A ist seit dreißig Jahren mit einem demokratischen, auf Partizipation ausgerichteten Management erfolgreich. Der Film gibt Einblicke in zwei weitere alternative Betriebsstrukturen einer Kreativagentur in Graz und einer Pharmafabrik in Serbien. Die Bilder und Informationen sollen Lust machen, sich zu bewegen. Es sind manchmal kleine Schritte, die sehr viel verändern können.

Bleibt die Vermarktung an Ihnen hängen, weil die Produzentin nun Rezeptionistin ist?



Vermarktung mit zu übernehmen, das lässt sich als Regisseurin nicht vermeiden. Ich sehe den Film als Teil eines Dialoges mit dem Publikum, der mit der Premiere beginnt und den wir über die Internetplattform kickoutyourboss.com weiterführen, wenn der Film schon längst nicht mehr in den Kinos läuft. Er wird danach online zu sehen sein.

Sie knüpfen sich in Ihren Filmen immer wieder dunkle Gestalten und Mörder vor. Worin liegt der Reiz?

Es geht um Verstehen und Verständnis wie auch darum, mit monströsen Geschichten und deren Protagonisten einen besseren Umgang und Handlungsspielraum zu finden. Ich versuche erst dann ein Bild über einen Menschen zu entwerfen, wenn ich glaube, ihn in seinem Wesen erfasst zu haben.

Sie haben bisher viele Filme über harte Realitäten gedreht. Wie verdauen Sie diese Einblicke?

Das Hineingreifen mit beiden Händen in schreckliche Storys ist meistens mit tollen Persönlichkeiten verbunden. Ich habe mich u. a. lange mit dem Fall Heinrich Gross beschäftigt. Der von diesem Euthanasie-Arzt gepeinigte Friedrich Zawrel ist ein Mensch, mit dem ich mich sehr gerne austausche. Er ist wie ein Großvater für mich geworden.

Was haben Sie von Friedrich Zawrel gelernt?

Ich musste Verschwommenes auseinanderklauben. Menschen haben das Recht, Unsagbares zu vergessen. Manche Lücken in der Erzählung muss man stehen lassen können. Ich bin lange nicht dahinter gekommen, wie viele Monate und Jahre es genau waren, in denen Herr Zawrel nach dem Krieg im Gefängnis war, auch wenn er sich sonst an alles genau erinnert. Aber er spricht nicht gerne über seine Haft, denn er hat sich lange dafür geschämt.

Viennalechef Hans Hurch hat Sie trotz der wuchtigen Themenvielfalt als «brave Regisseurin» bezeichnet.

Hans Hurch sieht sich gerne als Provokateur und vergisst darüber hinaus manchmal die Argumentation. Aber ich bin selten um eine Antwort verlegen. Ich sehe das als Spiel, solche Aussagen nehme ich nicht persönlich.

Wie macht man in Österreich als Frau Filme?

Gegenfrage: Glauben Sie, dass die Herausforderung, Filme zu machen, darin besteht, dass man eine Frau ist, oder darin, dass Filmen generell ein hartes Metier ist?

Ich frage mich, wie fordernd man als Frau am Set sein sollte. Was ist Ihr Stil?



Ich bin nie laut, und ich erwarte mir von allen gegenseitigen Respekt. Das ist wichtig für die Konzentration und Wärme, wodurch die Darsteller_innen die Möglichkeit haben, sich vor der Kamera selbst zu vergessen. Das hat viel mit Liebe zu tun – für den Beruf und für Menschen. Wenn Mitwirkende das nicht aufbringen, funktioniert das Team nicht.

Wie verhalten Sie sich in extremen Situationen am Set?

Filmen ist eine einzige Extremsituation. Erst nach langer Finanzierungs- und Vorbereitungszeit folgt der erste Drehtag. Das Schwierigste ist, täglich unzählige Entscheidungen zu treffen, von denen viele nicht mehr rückgängig zu machen sind.

Gibt es ein Regie-Vorbild für Sie?

Nein. Ich gehe viel ins Kino, nicht als Regisseurin, sondern als Zuschauerin. Da sehe ich mir meistens Filme an, die ich selbst nie machen würde oder könnte. Das nehme ich an wie ein tolles Buch.

Sie sind frühberufen. Wie war das, so jung so viel Verantwortung zu übernehmen?

Ich wurde eher gerufen. Als ich mich 1987 für Politikwissenschaften, Soziologie und Philosophie inskribiert habe, begann mein Studienjahr mit der Besetzung des Audimax. Gleichzeitig wurden für die Jugendsendung «Zick Zack» junge Radiomoderator_innen gesucht. Zwei ehemalige Schulfreunde überredeten mich dazu, mich vorzustellen. Ich hatte damals weder den Wunsch, beim Radio zu arbeiten noch Filme zu drehen. Ich bin in dieser Phase auch nicht viel ins Kino gegangen, sondern habe mich als politische Aktivistin gesehen. Ich bin aber beim Radio unweigerlich in die Welt des Geschichtenerzählens eingetaucht, später habe ich das Bild dazugeholt.

Was würden Sie einem Independent-Filmemacher raten?

Schiele nicht auf den Markt, der in Österreich ohnedies nicht sehr groß ist, sondern erzähle die Geschichten, für die du brennst. Das ist die einzige Chance, sich abzuheben. Wenn du versuchst, es allen recht zu machen, gehst du im Mittelmaß unter. Leidenschaft hat große Überzeugungskraft.

1997 haben Sie als freie Regisseurin zu arbeiten begonnen. Warum?

Ich habe in den Jahren zwischen 20 und Anfang 30 Fernsehreportagen und TV-Dokus gemacht, FM4 mitaufgebaut und viele Strukturjobs ausgeübt, wie zum Beispiel Chefin vom Dienst. Irgendwann war für mich klar, dass ich nicht zugleich den Überbau betreuen und eigene Projekte umsetzen kann. Daher bin ich aus einer relativen finanziellen Sicherheit ausgestiegen. Ich habe mich mit 30 nicht lange gefragt, was im freien Feld auf mich wartet.

Sie haben Österreich als Filmemacherin noch nicht verlassen. Ein Zeichen von Widerstand?

Das hat weniger mit Widerstand als mit den Richtlinien europäischer Filmförderung zu tun. Als österreichische Regisseurin und Drehbuchautorin beispielsweise in Dänemark oder Portugal eine Filmförderung für einen kleinen Arthousefilm zu bekommen, ist nicht einfach. Dafür gibt es natürlich Gegenbeispiele. Es ist natürlich auch die Sprache, in der ich arbeite und schreibe, die mich bleiben lässt. Deutschland ist für mich keine Alternative. Durch das Filmen reise ich ohnehin über Grenzen.

Sie machen einen Spagat zwischen dem Filmen und dem Journalismus. Eine Schnittstelle?

Ich bin keine Journalistin, dafür ist meine Arbeit – zum Beispiel fürs Radio – zu subjektiv angelegt. Von guten Journalist_innen erwarte ich mir den Versuch einer ausgewogenen Beobachtung. In meinen Gesprächssendungen geht es hingegen um den Austausch von Ansichten und Positionen und um Menschen, die mir ihre Geschichten erzählen. Für Sendungen wie das FM4-Doppelzimmer bereite ich mich sehr ausführlich vor. Wenn ich Künstlern wie Wim Wenders oder Maria Lassnig gegenüber sitze, sind es nicht journalistische Fragen, die solche Gespräche besonders machen.

Warum Radio?

Ich liebe Radio als Medium. Es ist unmittelbar und schnell. Man braucht keinen großen Apparat. Und ich habe viele tolle Menschen über meine Sendungen kennengelernt – nicht zuletzt Alex Jürgen, mit dem ich nach seinem Besuch im FM4-Studio fünf Jahre lang gefilmt habe. Das Ergebnis, der Dokumentarfilm «Tintenfischalarm», hatte 2006 Premiere auf der Berlinale.



Wo steht der heimische Journalismus?

Journalist_innen haben zu wenig Zeit für Recherchen, oder genauer gesagt: Die Zeit, die man braucht, wird selten bezahlt. Übrig bleiben die Idealist_innen, von denen es zu wenige gibt. Guter Journalismus braucht eine realistische finanzielle Basis, auch in Hinsicht auf Unbestechlichkeit.



Sie schreiben gerade an einem Drehbuch für einen Spielfilm über Jack Unterweger.

Schwere Kost …

Rund zehn Autor_innen und Produzent_innen haben sich im Lauf der Jahre an dem Stoff bereits die Zähne ausgebissen. Die reale Geschichte ist so stark, sie nachzuerzählen ist immer ein lauer Abklatsch gewesen. Mir ist es nach zwei Jahren Tüfteln am Drehbuch nicht anders ergangen. Es hat weitere 24 Monate gebraucht, bis ich die Geschichte in den Griff bekommen habe und meine eigene Übersetzung – auch jene der Figur – geschaffen habe. Es ist nicht bewiesen, dass Unterweger die zwölf Frauen umgebracht hat. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, und der Prozess wäre in eine nächste Instanz gegangen. Ich bin keine Juristin. Umso mehr hat es mich erstaunt, wie viele unschlüssige Details sich rund um den Fall Unterweger häufen. Wie in meinem Film über Franz Fuchs lohnt sich ein zweiter scharfer Blick – wie eben auch auf den Aufstieg und Fall von Jack Unterweger, weil das alles viel über unsere Gesellschaft verrät.

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