Elmar auf Dumpster-Tourtun & lassen

«Meine persönliche Methode des Konsum-Boykotts»

Es ist Freitagabend. Elmar, 32, setzt sich die Stirnlampe auf und zieht Plastik-Handschuhe über. Er bereitet sich auf eine Dumpster-Tour vor. Will heißen, er klappert die Mülltonnen bei Supermärkten ab, um sich fürs Wochenende mit Essbarem zu versorgen. Sein Revier ist Baden bei Wien und Umgebung. Auf der Fahrt zum ersten Supermarkt erzählt mir Elmar von seinem Werdegang und erläutert die Dumpster-Philosphie.

Was treibt einen studierten Physiker mit gutem Job dazu, sich überwiegend von dem zu ernähren, was in Mülltonnen landet?

Es ist meine persönliche Art von Konsumboykott. Ich finde es unerträglich, dass gute Ware, die tagsüber im Supermarkt nicht verkauft werden konnte, einfach weggeworfen wird. Wo es doch so viel Hunger auf der Welt gibt und auch bei uns sich viele Menschen nur das Notwendigste leisten können.

Diese Art von Lebensstil nennt sich «freegan». Was bedeutet dieses Wort?

Es ist eine Kombination aus «Freedom Freiheit» und «Vegan Verzicht auf tierische Produkte». Manche sprechen auch von «dumpster diving» oder «geobben». Letzteres trifft auf mich besonders zu, da ich als Veganer tatsächlich nur GEmüse und OBst aus den Mülltonnen «tauche».

Wie bist du auf diesen Lebensstil gekommen?

Ich bin während meiner Studienzeit mit Tierschützern in Kontakt gekommen und finde es unerträglich, dass Tiere wie Waren behandelt werden. Seither verzichte ich in meiner Ernährung komplett auf alle tierischen Produkte, auch auf tierische Bestandteile wie zum Beispiel Eier oder Milch. Als Student habe ich dann davon gehört, dass man sich aus den Mülltonnen der Supermärkte recht gut ernähren kann. Gleich mein erster Versuch, irgendwo am Land, war total erfolgreich. Ich habe unglaublich viele genießbare Sachen gefunden und war schockiert, was da alles weggeworfen wird. Und seither gehe ich regelmäßig dumpstern.

Ist es möglich sich durch Dumpstern oder Geobben vollständig zu ernähren?

Während meiner Studienzeit, als ich sehr wenig Geld hatte, habe ich das total durchgezogen. Es war sehr gut möglich, weil ich die Plätze mit gut zugänglichen und sehr ergiebigen Mülltonnen wusste. Zehn Minuten und ich hatte meine Tagesration beisammen. Manchmal hatte ich sogar zu viel, das habe ich dann einer Organisation zur Verfügung gestellt, die Obdachlosen hilft.

Wie oft gehst du heute noch «raus»? Du hast ja einen Job, bei dem du dir normale Einkäufe ja ohne weiteres leisten könntest?

Heute gehe ich durchschnittlich noch zwei- bis dreimal die Woche. Es macht mir auch immer noch Spaß. Aber ich kaufe inzwischen auch ganz normal ein und unterstütze bewusst Märkte, die eine große Bio- und FairTrade-Linie anbieten. Allerdings muss ich auch sagen, dass es mir immer in der Seele weh tut, so viel Geld auszugeben für Dinge, von denen ich weiß, dass ich sie ein paar Stunden später aus dem Müll fischen könnte.

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Inzwischen sind wir beim ersten Großmarkt angekommen. Ein hoher Gitterzaun versperrt uns den Weg zu den Mülltonnen. Elmar überlegt, ob er drüberklettern soll, lässt es dann aber bleiben. Es schüttet gerade in Strömen. Er meint, dass wir bei einem anderen Supermarkt sicher fündig werden. Also fahren wir weiter. Doch auch beim nächsten Markt, einem Diskonter, sehen wir keine Mülltonne weit und breit.

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Wo sind denn die Mülltonnen alle hin verschwunden?

Siehst du die Käfige dort an der Fassade? Sie sind versperrt, und dahinter befinden sich die Mülltonnen.

Was glaubst du, warum der Müll so sorgfältig weggesperrt wird?

Ich glaube, dass die Märkte sogar ihren Müll absichtlich wegsperren, damit niemand Zugriff darauf hat und alle gezwungen sind, sich als zahlende Kunden mit Lebensmitteln einzudecken. Es hat ja auch schon Fälle gegeben, wo der Biomüll extra vernichtet wurde, indem Reinigungsmittel drübergeschüttet wurden oder Rattengift darübergestreut wurde. Der ganze Abfall ist dann vergiftet. Und das trifft natürlich auch Menschen, die wirklich vom Weggeworfenen leben müssen, weil sie sich was anderes fast nicht leisten können.

Triffst du beim Dumpstern viele solche Leute?

Hier am Land nicht. Aber in der Großstadt Wien gibt es mehr politische FreeganerInnen, aber auch sozial Schwache, die nicht freiwillig ihr Essen aus Mülltonnen holen.

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Beim nächsten Markt werden wir fündig. Ein siegessicheres Lächeln huscht über Elmars Gesicht. Er entdeckt mit kundigem Blick frei stehende Biotonnen und eine Restmülltonne. Jetzt wirds für mich spannend. Was findet sich wirklich in diesen Tonnen? Elmar beugt seinen Kopf über die Biotonne und leuchtet mit der Stirnlampe hinein. Ich schaue ihm vorsichtig über die Schulter. Ein paar Handgriffe und schon hält Elmar frische Bananen, einen Apfel, eine Packung Ringlotten und verpackten Salat in den Händen. Und noch einen Salat, und noch einen. «Offenbar war hier heute Salat-Tag», schmunzelt Elmar und lässt die Beute in einem mitgebrachten Stoffsackerl verschwinden. Und dann der erstaunliche Blick in die Restmülltonne …

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Das soll Restmüll sein???

Das ist auch etwas, was mich immer wieder ärgert. Privatleute werden dazu angehalten, ihren Müll penibel zu trennen. Aber die großen Märkte scheren sich darum nicht. Man sieht hier Bio-Abfälle, Plastik, Dosen alles auf einem Haufen. Fleisch ist auch oft dabei.

Was waren denn deine spannendsten Funde?

Erst vorige Woche, Dutzende Packungen Schwedenbomben, die ich als Veganer allerdings nicht esse. Ein anderes Mal mehrere Packungen Soja-Milch, das war schon besser. Und Brot gibt es meistens in rauen Mengen.

Warum wird eigentlich so unglaublich viel weggeworfen?

Es wird einfach viel zu viel produziert. Die einfachste Möglichkeit, das alles wieder loszuwerden, ist, es in die Mülltonne zu schmeißen. Ausverkaufte Artikel gegen Ladenschluss sind bei der Kundschaft nicht beliebt …, daher werden die Regale sicherheitshalber übervoll gehalten.

Dabei könnten gemeinnützige Einrichtungen diese Sachen doch gut brauchen, oder?

Ja, aber es müsste wahrscheinlich jemand mit dem Aussortieren beschäftigt werden. Mit einer Arbeit, die keinen Profit fürs Unternehmen bringt …

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Wir sind am Ende unserer Tour. Elmar hat zwei Säcke voll Essbarem gesammelt. Sein kulinarisches Wochenende ist gesichert.

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Was machst du jetzt damit?

Ich schlichte das alles bei mir zuhause in der Küche auf, reinige es gründlich und prüfe, ob die Waren wirklich so gut sind, wie sie hier bei schlechtem Licht aussehen. Und dann lasse ich es mir schmecken.

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Elmar «schenkt» mir eine Packung Ringlotten, die ich zuhause extrem kritisch beäuge. Ein Makel lässt sich nicht finden. Es sind Ringlotten aus Spanien, wie das Etikett verrät. Ich denke: Was haben diese Früchte auf ihrem Weg zu uns wohl schon alles erlebt, um schlussendlich hier noch einwandfrei im Müll zu landen?