Ende eines WehrsprechersDichter Innenteil

Herr Groll auf Reisen 163. Folge

Der Dozent eilte auf die Straßenüberführung zum Linzer Hauptbahnhof zu. Während er auf das Grün-Signal wartete, hatte er eine Vision. Sein Freund Groll stand vor einem Würstelstand und tat sich an einer Wurst gütlich. Dazu trank er Bier aus einem Plastikbecher. Er sei wohl überarbeitet, dachte der Dozent und rieb sich die Augen. Groll war immer noch da. Auch er hatte den Dozenten jetzt gesehen. Er hob eine Bierflasche zum Gruß. Mit wenigen Schritten war der Dozent bei seinem Freund.

«Was machen Sie in Linz, Freund Groll?» Er streckte Groll die Hand hin, der aber konnte nur mit der Schulter zucken, da er in einer Hand den Becher mit dem Bier und in der anderen ein Stück Wurst hielt.«Ich komme von einem Symposion im Wissensturm dort drüben, Sie kennen ja das Gebäude», fuhr der Dozent fort.

Groll schüttelte den Kopf, trank vom Bier und stellte den Becher ab.

«Ich dachte, Sie verlassen Floridsdorf nur in Notfällen?» Vom Geruch der Debreziner angezogen, kam der Dozent noch näher.

«Es war auch einer», sagte Groll.

Der Dozent sah auf die Uhr. «Das Gleiche», sagte er zum Würstelmann. «In Linz hoaßt des: dös söibe», erwiderte jener und machte sich an die Arbeit.

Währenddessen erzählte Groll die Geschichte des Notfalls.

«Der Mann heißt sinnigerweise Kapeller, saß bis gestern als Wehrsprecher der ÖVP im Nationalrat und ist im Zivilberuf hoher Polizeibeamter und wichtiger Mitarbeiter der Innenministerin.»

Der Dozent bekam Debreziner, Bier, einen Pfefferoni und Brot gereicht.

«Polizisten entdeckten, dass Kapellers Mercedes immer wieder in der Behindertenzone des Bahnhofs parkt, und sie fanden heraus, dass der Behindertenausweis auf einen vor zehn Jahren verstorbenen Mann ausgestellt war. Nun steht auf der Website des ÖVP-Parlamentsklubs, die Eckpfeiler des Herrn Kapeller seien die Förderung der Wirtschaft und der Militärkommanden, darüber hinaus sage er ein Ja zum Ehrenamt und zur Bürgersolidarität.

«Was zu beweisen war», murmelte der Dozent zwischen zwei Bissen.

«Des Weiteren ist der Kriminalbeamte auch Vertriebenensprecher der ÖVP; er fordert die Aufhebung der Bene-Dekrete. Das gebiete die Bürgersolidarität oder, wie der Herr Abgeordnete, der auch im Hilfswerk Funktionen ausübt, sein Leitbild definiert. Zitat Kapeller: Unser christlich-soziales Gedankengut verpflichtet uns zu sozialem Engagement. Das Schöne ist: Der Mann lügt nicht. Er engagiert sich eben für tote Behinderte und sorgt dafür, dass auch diese Minderheit weiterhin auf den Straßen unterwegs ist und auf diese Weise ein bisschen Licht ins dunkle Grab bekommt.»

Der Dozent biss in seinen Pfefferoni, Marinade spritzte auf den Boden.

«Zehn Jahre ist es gut gegangen, zehn Jahre mit dem Ausweis eines Toten. War das Kroppzeug doch zu etwas gut», schloss Groll.

«Ein christlich-soziales Vorbild von echtem Schrot und Korn», bekräftigte der Dozent.

Groll nickte. «Es kommt noch besser: Der Mann hatte eine geniale Ausrede. Seine Frau sei schuld. Sie habe aber die Strafe bereits bezahlt und der zuständige Bezirksanwalt habe die Ermittlungen mittlerweile »

« an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet? An die Ethikkommission des Parlaments? An die Disziplinarkommission der Bundespolizei?», rätselte der Dozent.

Groll schüttelte den Kopf. »Falsch. Der Satz, auch als Erster Hauptsatz der heimischen Justiz bekannt, lautet: Der zuständige Bezirksanwalt hat die Ermittlungen mittlerweile eingestellt.

Der Dozent nahm einen großen Schluck vom Bier.

Letztlich wurde der politische Druck aber doch zu groß», fuhr Groll fort, «das hält ein kleiner Wehrsprecher nicht aus. Er tritt auf Befehl des Landeshauptmannes zurück. Aber wie tut er das? «Mit einer geheuchelten Entschuldigung? Einer Spende für Licht ins Dunkel?»

Der Dozent brach ein Stück Brot ab.

«Die Wirklichkeit ist jämmerlicher. Er habe die dunkelsten Stunden seines Lebens durchstehen müssen, klagte der arme Wehrsprecher,

die Vorwürfe seien Menschenhatz und Trommelfeuer gewesen und hätten ihn an die Grenze des Belastbaren und darüber hinaus geführt, eine weitere Ausübung seines politischen Mandates sei ihm daher nicht mehr möglich. Damit war die Sache erledigt. Keine Schuldeinsicht. Die Böse war ja die Frau, da muss der treue Mann sie opfern, und wenn das nichts nützt, sich selber auch, flennt der Herr Wehrsprecher und lässt gleichsam im Subtext durchklingen, dass er nicht Unrecht getan hat, wenn es gerecht herginge, müssten die anderen zurücktreten, die den Herren im Nadelstreif die Parkplätze stehlen, die Rollenden und Torkelnden und Hinkenden, das Licht-ins-Dunkel-Gesocks. Die sollen gefälligst zurücktreten, und wenn sie das nicht können, weil sie selbst dazu nicht in der Lage sind, dann sollen sie verschwinden auf die Eferdinger Kartoffeläcker oder zur finalen Rehabilitation nach Hartheim.

«Das hat er gesagt?»

«Er hätte es gern gesagt. Aber auch dazu war er zu feig, der Herr Wehrsprecher.»

«Und deswegen sind Sie hier!»

Groll nickte. «Einen Sieg muss man feiern, und es gibt keinen besseren Ort dafür als den legendären Würstelstand Seeber im Angesicht des Hauptbahnhofs. Was trieb Sie denn in den Wissenssilo, verehrter Freund?»

«Ein Symposion zu den Fallen der Political Correctness», sagte der Dozent und setzte ein schmales Lächeln auf. «Veranstaltet von der Polizeiakademie und dem Innenministerium.»

«Respekt», sagte Groll und prostete seinem Freund zu.