Musikarbeiter unterwegs … von der Genreenge ins weit offene Freie
Als Farce macht die Wahlwienerin Veronika König wunderbar freie Popmusik, die weder Füllung noch Posse ist. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto).
Sommer ist, wenn der Sohn in Wien Ottakring in die Beach Boys reinkippt, via einer TV-Serie über eine Patchwork-Familie. Songs of choice: Barbara Ann und – ausgerechnet! – Kokomo (was sagt der Bruder/Onkel dazu, philosophischer Beach-Boys-Aficionado?). Vom Eissalon kommend singt der Bub «Aruba, Jamaica, oh I want to take ya, Bermuda, Bahama, come on pretty mama, Key Largo, Montego, baby why don´t we go, Jamaica …» «Warum singen die pretty mama?» «Erklär´ ich später, lass uns nochmal ‹Barbara Ann› machen!» Schön singt er, ich kann ihn weder tonal noch rhythmisch irritieren. Zuhause negiert er die geschickt platzierte CD mit Pet-Sounds, immer mit dabei bei den «Bestes-Album-aller-Zeiten»-Listen der seriösen Kultur- und Musikkritik dieses Planeten, und forscht selbst im Netz. «Good Vibrations ist aber ein Scheißlied.» «Ähem!» Pop im Jahr 2018.
Die Aufnahmetaste Gedrückt. Es mag daran liegen, dass sich die Welt sehr oft anfühlt wie «this is the worst trip I´ve ever been on» (Sloop John B, Beach Boys). Daran, dass ich mehr durchs Leben taumle, als es bewusst wahrzunehmen, zu leben, aber das Interview mit Farce ist weg (vom Aufnahmegerät). Die Vorfreude, die klugen Dinge, die die aus Deutschland stammende junge Künstlerin, sie ist Anfang 20, im Rüdigerhof gesagt hat, noch einmal und genauer zu hören, weicht Ärger und Scham (zumal ich gerade Balzacs Vernichtung des Journalist_innenstandes in Verlorene Illusionen lese). Der sprachliche Trost – «sich bei Farce zu entschuldigen» – ist ein Satz ganz nach meinen Geschmack, und stößt dann die Erkenntnis an, dass ich das Interview nicht brauche, um zu erzählen, was ich erzählen will. Farce ist super! Farce zu hören und kennenzulernen ist eines der spannendsten Popabenteuer, das Wien derzeit bietet. Was diesen Reiz, den Kick, die Faszination genau ausmacht, können Worte schwer erklären. Es bleibt doch immer ein Umrunden der Musik, ein Herantasten an das, was diese ist, sein kann oder will. Farce/Veronika hat sich, so gut funktioniert die Erinnerung, bei allem Reflexionsvermögen und aller Lust, das unvermeidliche Verbalisierspiel des Pop auf ihre Art zu spielen, doch gehütet, ihre Kunst zu Tode zu erklären, deren letztes Geheimnis zu hell auszuleuchten. Hören. Sehen.
Authentizitätskrampf und Heavy Listening. Nach einer EP mit dem Titel Ich Sehe Im Vorbeifahrenden Auto Den Unfall Mitvorbeifahren In Zeitlupe Und Rueckwaerts (2017, Meta Matter Records), veröffentlichte Farce bei Futuresfuture unlängst die Videosingle Die Angst, nach I Hate Berlin der zweite Vorbote des im Oktober ebendort erscheinenden Albums Heavy Listening. Auf Meta Matter findet sich auch eine einseitig bespielte LP der Stuttgarter Band Boden, bei der Veronika König bis zu ihrem Umzug nach Wien Gitarre spielte. Boden machten eine Musik, die König als Post-Black-Metal/Shoegaze beschreibt. Wohnt dieser Beschreibung eine ungenaue Weitläufigkeit inne, die solchem Musiksprech oft eigen ist, empfand die Musikerin selbst diese Musik doch als einengend, zu vorhersehbar. Sie setzte sich, eigentlich ausschließlich, um sich selbst wieder musikalisch zu überraschen, zu verblüffen, an den Rechner und begann für sich Musik zu machen, die grundsätzlich alles durfte. Dieser Gedanke, eine Musik machen zu wollen, die einen selber wieder überrascht, den ich im Zusammenhang mit Farce aufgeschnappt habe, war es, der mich als Schreiber neugierig machte, den Instinkt kitzelte, der einen interessante Musik aufspüren lässt. Wow, yeah, amen! Let´s do this, einfach rein in die Diskomfortzone, ins anfängliche Nichtskönnen, Ausprobieren, ins Machen und sag’ der Authentizität, sie soll einen Kaffee vorbeibringen, ich habe gerade mein Farce-Kostüm an und keine Hände frei. Dass dabei parallel in der Hinwendung zu Pop die queer-feministischen Inhalte, die Farce und Veronika gleichermaßen wichtig sind, einen womöglich tauglicheren Ausdruck fanden und finden als zuvor in der vermeintlich emanzipationspolitisch «gefestigten», klar definierten Subkultur, ist ein weiterer bedenkenswerter Aspekt. Dass Farce nicht in der, zumal in der Popmusik, die immer von Wiederholung und Reproduzieren handelt, nicht aufrechtzuerhaltenden «Unschuld» des Erstmaligen, des Neuen verharrt, spricht für ihre künstlerische Intelligenz, und, dare I write this, Vision. Ihr elektronisches Instrumentarium hat sie ausgebaut, das Livesetting und die Liveumsetzung durchdacht und geübt (diese Frau stellt sich nicht einfach nur auf eine Bühne! Inszenierung, Babies!), mit dem Wiener Musiker und Produzenten Nikolaus Abit gibt es einen künstlerischen Partner, der mit Veronika König die Farce Musik weiter wuchern lässt. Eine schöne Farce!