Musikarbeiter unterwegs … Live is Life!
The Crispies heißt eine neue, junge, aufregende Wiener Band. Von der noch viel zu hören sein wird. Von Rainer Krispel.
Foto: Mario Lang
Verkaterter Sonntag. Sinnieren über den guten alten Tod. Angekickt vom Ableben von Lemmy von Motörhead. Schon grundsätzlich mit einer gewissen Neigung zum Gefühlsvoyeur (die Großen!) «gesegnet», fällt mir in der post-exzessiven Nichts-Wirkliches-anfangen-Können-Falle gefangen nichts Besseres ein, als mir im Netz das Memorial Service und danach die Dokumentation «Lemmy» anzusehen. Am nächsten Tag Webcheck. Riesenscheck! David Bowie tot. What the ****ing hell? Fassungslosigkeit, Tränen, ja, Tränen. Zum Musikspuckerl geschleppt. «Modern Love», «Ashes To Ashes», «Heroes» … Die letzten Songs gecheckt, die Bowie gemacht hat, diese unpackbaren Videos. Im Laufe des Tages: Schubumkehr. Ich will raus! Ich muss raus! In der Wirkungsstätte Arena kein Konzert, im Chelsea gleich ein doppeltes. Voodoo Jürgens, von dem manche in den sozialen Medien – die übrigens genau so viel, wenn nicht mehr lügen wie die traditionellen – gerne hätten, dass er der nächste hiesige Hype ist. Das hat sich bis in die Wirklichkeit noch nicht herumgesprochen, also bevölkert ein eher schütteres, aber sympathisches Publikum den Konzertraum der heuer 30 werdenden Gürtellocation. Jack Daniels ist aus, also kann ich keinen echten «Lemmy» trinken, grummel.
Voodoo Jürgens erschließt sich mir heute nicht, überbetonte Dialekttexte zu geschickt zusammengefladerten Gitarrenmotiven aus der Wühlkiste der Musikgeschichte. Hmm. (facebook.com/Krachmandlorchester). Mehr meins dann Sir Tralala, bewährte Kraft der schrägen, genau richtigen Alleinunterhaltung, mit tiefen und erhabenen Momenten, yeah!
(www.sirtralala.net). Dannach entere ich das DJ-Pult und spiele Bowie. Sadly beautiful.
Ich habe die Zukunft des Rock ´n´ Roll gesehen, ihr Name ist The Crispies!
Dienstag erneute Verkaterung. Im B72 wären Reverend Backflash, stellen ihre Vinyl-Single «Holy Shit» vor (www.reverendbackflash.com). Ich steuere das Fluc am Praterstern an, weil The Crispies, die dort im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Delta Punk» (die Schnittmengen von weit gefasstem Blues und Punk als Haltungen und Musiken die Programmatik des Clubs) spielen, schon lange auf meiner To-see-and-hear-Liste stehen.
Mit The Ghost And The Machine konzertiert, als ich ankomme, schon ein Duo, das mit seinen beseelten und atmosphärischen Americana-Songs in reduzierter Besetzung (Heidi Fial, Kontrabass, Stimme, Drums und Andi Lechner, Stimme, National Steel Guitar) sofort meine Zustimmung, ja, Begeisterung findet (the-ghost-and-the-machine.com). Erfreulich kurzer Umbau, und dann sind The Crispies auf der Bühne, ein Quartett: Tino Romana – Stimme, Rob Wolfe – Gitarre, Bruno – Bass und Peter Ferdinand – Drums. Im Publikum, ohne Sonnenbrillen, dafür mit Spesenkonto die A & R-Mitarbeiter von Wohnzimmer Records, eine Popfest-Kuratorin, diverse andere Auskenner_innen (Hans Hurch hat noch niemand ausgerichtet, dass dieser Termin vielleicht einmal kulturhistorisch bedeutend gewesen sein wird), aber vor allem junge Menschen allerlei Geschlechts, die da sind, weil sie diese Band sehen und feiern wollen. Jung ist auch die Band und zu feiern gibt es viel.
The Crispies spielen mit instrumentaler Autorität und Souveränität, stehen mit der genau richtigen Mischung aus Selbstsicherheit und beiläufiger Konzentration auf der Bühne, die ihnen rasch gehört, so wie mit zunehmender Konzertdauer die Tanzmuskeln der Zuschauer_innen, there’s some serious shaking going on. Sänger Tino hat eine Stimme, eine eigene Art, sie einzusetzen, und das vielbeschworene Charisma, eine Ausstrahlung, die nicht auf Macho-Posen angewiesen ist. Der derrische Musikarbeiter bildet sich gar ein, dass er bei einer Ansage das Publikum mit «Sie» angesprochen hat – was der Sänger beim Post-Gig-Talk von sich weist. Auch schön – eine junge Frau zündet dem Sänger eine Zigarette an, die er sich on stage gönnt, und er nennt im Gespräch die Doors und Led Zeppelin als Referenzen. Kennengelernt muss sich diese Band in einer fiktiven «School Of Rock» haben, so viel machen sie schon richtig. Kurze, knackige Songs, ein kurzer, knackiger Set, bei dem mensch automatisch mehr will, mehr braucht!
Wenn die Referenzen nach «retro» klingen, trifft das auf ihren Sound – exzellent an diesem Abend im Fluc! – nicht zu, der ist so heutig, so jetzt, so dringend, wie mensch sich nur wünschen kann, und das Konzert ist in seiner Gesamtheit umwerfend, auch ohne einen, bewusst außen vorgelassenen «Tearjerker» im Gepäck. Schon scharrt die Band in den Startlöchern für ihr Debütalbum, das sie mit Alexander Lausch (Lausch, Freischwimma) einspielen werden. Vor lauter Glück steht nach dem Konzert euphorische Vollberauschung an, morgens lalle ich peinlicherweise den Taxifahrer an: «Ich habe die Zukunft des österreichischen Rock’n’ Roll gesehen und sie heißt The Crispies.»