Endlich wieder Unbotmäßigestun & lassen

Enzyklopädisches Meisterstück ohne alphabetische Reihung

Mladen Savić, 38-jährig, aus Jugoslawien stammend, 1985 mit seinen Eltern nach Österreich ausgewandert, in Kanada zu einem Philosophen der Linken gereift, seit 2007 wieder in Wien lebend, hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben.Es ist bemerkenswert, weil sich der Autor nicht der neuen linken Mode unterwirft, einen neuen Berührungspunkt von Rechten und Linken zu konstruieren: nämlich die nahezu schon stammtischfähig gewordene, einvernehmliche Rede von der Überholtheit der Kategorien rechts und links.

«Feuer am Dach», seine beim Drava-Verlag erschienene Sammlung von Essays, Reflexionen und Polemiken, kann ich jeder und jedem empfehlen, die oder der den real existierenden Kapitalismus und dessen Resistenz gegen die Summe unbotmäßigen Denkens und unbotmäßigen Handels verstehen will und trotz allem Verständnis (das leicht in eine Zustimmung hinüberwachsen kann) nicht aufhört, das Utopische durchzusetzen. Im Grunde ist das 335 Seiten starke Buch ein enzyklopädisches Meisterstück, und mir als struktursüchtigen Menschen hätte der Autor ohne Anstrengung die Freude machen können, dem Buch auch wirklich die enzyklopädische Form zu geben, die alphabetische Reihung der Themen. So zum Beispiel: Über den Atheismus. Über Gott. Über Hesselstein, den kämpferischsten Greis der Erde. Über die Kunst. Über den Planeten Erde (das Kapitel übrigens, in dem ich keine originelle Idee des Autors fand, nur geballte Lexikalität bzw. Wiki-Pädagogik). Über Macht. Über rechts und links. Über das Volk. Über Wohlstand und Armut. Über die westlichen Werte. Über den Wettbewerb.

Bis ich «Feuer am Dach» durchblätterte, dachte ich voller Selbstmitleid, ich sei weit und breit das einzige Mitglied des Ausschusses zur Rettung des Wortes «unbotmäßig». Was habe ich mich in meiner 45-jährigen journalistischen Unkarriere bemüht, diesem Wort durch inflationäre Verwendung in meinen Texten zu einem neuen Charisma zu verhelfen! Aber nein, kein Schwein ahmte mich sprachlich nach. Und so kam es, dass, wenn wir uns aus dem Internet die Synonyme von «unbotmäßig» holen, fast nur auf negativ besetzte Begriffe stoßen: dickschädelig, dogmatisch, sperrig, finster, abweisend, rechthaberisch, impertinent …

«Der unbotmäßige Mensch», schreibt mein Freund Mladen, den ich hiermit in den Ausschuss einlade, «(…) stellt die Rangordnung als solche, das aufgezwungene Regelwerk als Angestammtheit, die Hierarchie schon als Idee und Institution, die gesamte Tradition der Autorität infrage. Seine größte Kraft erreicht er im organisierten Zusammenschluss. Dort, an einem Ort ohne Örtlichkeit, (…) findet er Rettung.»

Mladen Savić: Feuer am Dach

Drava-Verlag 2017

335 Seiten

17,80 Euro