Engagement mit unguten Folgentun & lassen

Der Fall Ursula N.

Die Aktivistin Ursula Napravnik wurde verurteilt. Sie soll einen Polizeibeamten während einer Amtshandlung an der Schulter verletzt haben. Ruth Weismann hat sie erzählt, warum sie das ungerecht findet.

«Ich bin ja nicht unbekannt als politisch Aktive. Es hat immer geheißen, wenn man bei Drahdiwaberl war, ist man sowieso bei der Staatspolizei registriert», sagt Ursula Napravnik. Die Wienerin setzte sich fast ihr ganzes bisheriges Leben für eine besser Welt ein. Bei der Band Drahdiwaberl, bei der Volxtheaterkarawane, bei Demonstrationen gegen den Opernball, als Organisatorin von Demos gegen die schwarz-blaue Regierung und beim Refugee Protest Camp im Sigmund Freud Park. Letzteres nahm seinen Anfang Ende 2012, als Refugees nach einem Marsch aus dem Flüchtlingslager Traiskirchen nach Wien in der Votivkirche Quartier bezogen. Dort trug sich das Ereignis zu, das ihr nun eine zivilrechtliche Verurteilung einbrachte. 13.000 Euro soll sie zahlen – 4.000 Euro Schmerzensgeld an einen Polizisten, den sie an der Schulter verletzt haben soll, während er eine «Amtshandlung» an einer Person durchführte. Der Rest setzt sich aus dem Verdienstentgang des Beamten während seines Krankenstandes, dem Preis für eine kaputte Jacke und Prozesskosten zusammen. Dass die Existenz der krankheitsbedingten Frühpensionistin dadurch gefährdet ist, scheint keine Rolle zu spielen.

Dem Zivilverfahren voran ging ein Strafverfahren, in dem die Angeklagte Ursula Napravnik freigesprochen wurde. Dass es parallel zu oder nach einem Strafverfahren noch ein Zivilverfahren gibt, ist laut Aussage des Wiener Richters Oliver Scheiber üblich, aber, so der Experte auf Anfrage via Mail: «Grundsätzlich ist es nach meiner Erfahrung extrem selten, dass ein Polizeibeamter oder überhaupt Beamter mit einer Zivilklage gegen eine Bürgerin/einen Bürger in Folge einer Amtshandlung vorgeht.» Über das nun vorliegende Urteil ist Napravnik entsetzt. Dass die lange Zeit der Verfahren sie mitgenommen haben, merkt man, wenn man mit ihr spricht. Sie erzählt, dass sie unter Depressionen litt, weil sie sich nicht erklären konnte, wie es zu der Anklage kam. Sie sei stets gegen Gewalt an Menschen aufgetreten und habe sich immer für Gerechtigkeit eingesetzt. Einmal wöchentlich unterrichtet sie eine Gruppe von Asylwerber_innen im Schwimmen – ein Sport, der ihren Bandscheiben guttut. Die Arbeit mit ihrer Gruppe ist ein Lichtblick in der aktuellen Situation, sagt sie. Im Café des Floridsdorfer Bads erzählt sie vom Vorfall, der zur Verurteilung führte, und zeigt den ausgedruckten Urteilsspruch des Bezirksgericht Josefstadt sowie Prozessprotokolle.

Ich habe geschrien, dass er mit der Gewalt aufhören soll

Gerechtes Verfahren? Es war im Feburar 2013, als sie mit einem der Refugeeaktivisten in Richtung Votivkirche unterwegs war. Beide hörten, dass hinter ihnen jemand lief. Der Aktivist lief zum Seiteneingang der Kirche, die Person hinter ihnen lief ihm nach und schlug ihn zu Boden, erzählt Napravnik. Dann sah sie, dass der Mann den Aktivisten am Schal hochgezogen hat, den dieser um den Hals trug. «Er hat ihn gewürgt», sagt sie, und zeigt die Geste. Die Erinnerung daran verstört sie sichtlich. «Ich habe dann irrsinnig laut geschrien, dass er mit der Gewalt aufhören soll, und was er da macht.» Dann gab es einen Tumult, aber an Einzelheiten kann sie sich nicht mehr erinnern. Der überwältigte Aktivist wurde abgeführt, sie ging in die Kirche hinein. Später, so sagt sie, wurde sie eingekesselt, es gab eine Identitätsfeststellung. «Als ich nach dem Grund fragte, sagten sie mir, ich hätte einem Polizisten die Schulter gebrochen.» So erfuhr sie, dass der Mann, der den Aktivisten zu Boden gebracht hatte, ein Polizeibeamter in Zivil war. Im darauffolgenden Strafprozess wurde sie freigesprochen. «Mein Glück war, dass es eine Tonaufnahme gab», sagt sie. Denn der Aktivist war zufällig verkabelt, da gerade ein Dokumentarfilm gedreht wurde. Auf der Aufnahme ist zu hören, wie sie schreit, dass der Mann mit der Gewalt aufhören soll, und ihn fragt, was er da macht. Es ist aber nicht zu hören, dass er vorher «Stopp, stehenbleiben, Ausweiskontrolle» gesagt hat, was dieser allerdings behauptet. Im Zivilprozess spielte das dann offensichtlich keine Rolle mehr, genauso wenig wie ihre ärztlichen Atteste, die chronischen Bandscheibenvorfall und ihre Herzoperation dokumentieren. Napravnik sagt, sie sei gar nicht in der Lage, einen, wie sie schätzt, rund 100 Kilo schweren Mann derart fest an der Schulter zu ziehen.

Denn das gab der Kläger an: Sie hätte ihn an der Schulter zurückgezogen, als er versucht habe, den Verfolgten festzuhalten. Er habe dann den Verfolgten mit der rechten Hand am Schal festgehalten und mit der linken versucht, die Angreiferin abzuwehren. Sie habe ihm dabei seine Jacke zerrissen und eine Zerrung der Schulter- und Nackenmuskulatur zugefügt. Der Beamte befand sich daraufhin fünf Wochen in Krankenstand. Allerdings war eine leichte Vorschädigung der Schulter gegeben.

Nicht aufgeben. «Ich habe den Eindruck bekommen, dass die Richterin im Zivilprozess nicht objektiv war», meint Napravnik. Auch, dass ein Polizist, ein Zeuge, zweimal unentschuldigt fernblieb, erscheint ihr komisch, und was sie wirklich erbost: dass eine Frage des Kläger-Anwalts nicht unterbunden wurde: «Er hat mich gefragt, warum ich überhaupt Flüchtlingen helfe, wenn ich krank bin.» Für sie ist es selbstverständlich, Menschen in Not zu helfen und gegen Rassismus aufzutreten. Gewalt hingegen lehnt sie ab. «Ich habe bis jetzt noch ein Trauma davon, für mich war das ein so furchtbarer Anblick, wie er ihn am Schal hochzieht und dabei würgt», erzählt sie.

Obwohl die Prozesse an ihre psychische Substanz gehen, will sie nicht aufgeben und mit ihrem Pflichtverteidiger Harald Karl in Berufung gehen. Was ihr hilft, ist die Unterstützung vieler Freund_innen und die Hoffnung, dass es doch noch Gerechtigkeit gibt.