Entjubelung mit JelinekArtistin

Arbeitsjournal eines Theaterexperiments. Teil 1.

Am 4. 2. dieses Jahres war es zehn Jahre her, dass Erwin Horvath, Karl Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon in Oberwart ermordet wurden. Vor fünf Jahren erhängte sich der Täter Franz Fuchs in seiner Zelle. Für die Öffentlichkeit war der Fall damit erledigt. Nicht aber für diejenigen, die auch heute noch Entwürdigung per rassistischem und antiziganistischem Zeitungs- und Alltagsjargon erleben. Tina Leisch inszeniert aus diesem Anlass Elfriede Jelineks „“Stecken, Stab und Stangl““ und gibt Augustin-LeserInnen in den kommenden Ausgaben Einblick in eine neue Form von Theaterarbeit.Sie wussten ja bereits zu Lebzeiten: Bei Ihnen, liebe Herren Tote, würde man zu allererst nachschauen kommen, ob Sie die Knochen Ihrer Väter und Brüder vielleicht in die eigenen Taschen gesteckt haben. Das ist ja angeblich so Brauch bei Ihnen, dass Sie alles einstecken, ich meine, dass Sie, wie unter einem Zwang, von uns alles einstecken müssen!“ Elfriede Jelineks „“Stecken, Stab und Stangl““ webt einen Textteppich aus Verdrängung und Vorurteil, aus der Hunde liebenden Unmenschlichkeit der Kronenzeitung und Zitaten des Oberösterreichers Franz Stangl, dem Kommandanten von Sobibor und Treblinka. Ein Teppich, zwischen dessen Maschen das immer Daruntergekehrte sichtbar wird.

Ein passender Theatertext also für das Jubiläumsjahr.

Eine Gefahr einer Inszenierung könnte allerdings darin liegen, das Staberl- und Stammtischgerede als Ewiggestriges und damit eben ewiges, unveränderliches, immer schon Dagewesenes, immer da sein werdendes Ewigösterreichisches hinzustellen und darüber zu vergessen, dass es doch eine Erziehungsleistung der Gestrigen ist, wenn heute und übermorgen weiter so gesprochen wird. Was läge näher, als diese Erziehung zur „Verlederhosung“ mit denen theatralisch zu untersuchen, die einerseits selbst immer wieder von der Niedertracht dieses Geredes getroffen werden, von denen andererseits aber verlangt wird, diese Sprache zu erlernen, sich in diese Unkultur zu integrieren. Also mit Migrantinnen.

Ein Großteil der Laiendarstellerinnen in unserer Produktion im November werden Frauen sein, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.

Zum Beispiel Madalena Forton aus Arad

„Warum können Sie das nicht menschlicher sehen? Oder es zumindest menschlicher sagen, sodass wir es alle verstehen können? Warum sagen Sie beispielsweise nichts über die wunderschöne Messe, die von unserem Herrn Bischof und ein paar weiteren Bischöfen, jenen promovierten Lieblingsgeschöpfen Gottes, persönlich zelebriert wurde, in Anwesenheit hoher und höchster weltlicher Würdenträger? Es war ursuper! Einfach gemütlich!“

Magdalena Forton hört sich ihren Text auf CD an und übt sprechen. Geboren als Angehörige der ungarischen Minderheit in Arad, Rumänien, musste sie die Ausbildung in Tanz, Ballett und Gesang mit 16 Jahren abbrechen, um arbeiten zu gehen. Sie war Textilarbeiterin, Laborantin, Dreherin und Galvaniseurin. Seit 15 Jahren lebt und arbeitet sie in Österreich im Gastgewerbe. Seit einem Monat ist sie in Pension. Sie geht gerne ins Theater, allerdings nur, wenn der SeniorInnenklub Gratiseintritte organisiert. Sonst kann sie es sich nicht leisten. „Der Text ist schwer, aber ich verstehe immer mehr, worum es geht. In Arad gab es Zigeuner. Aber ich wusste nicht viel von ihnen. Ich habe immer gearbeitet und drei Kinder gehabt. Da war keine Zeit, etwas zu erfahren. Auch von den Nazis weiß ich nur, was man im Fernsehen sieht.“

Zum Beispiel Cigdem Gülcehre aus Istanbul

Cigdem Gülcehre ist Türkin, die in Wien Politikwissenschaft und Ethnologie studiert. Sie spielte fünf Jahre in Istanbul in freien Theatergruppen und stand auch in Wien schon mehrmals auf der Bühne. „Ich habe bei einem Besuch in Mauthausen erfahren, dass so viele Roma und Sinti während des Nationalsozialismus ermordet wurden, davon hatte ich nie etwas gehört. Ich bin aufgewachsen neben einer Romasiedlung und auch in der Türkei gibt es eine sehr starke Diskriminierung. Ich war sehr überrascht, als ich erfuhr, dass die Roma auch in Österreich, obwohl sie österreichische StaatsbürgerInnen sind, so rassistisch behandelt werden.“ Das Thema „Verdrängen und Vergessen“ beschäftigt Cigdem Gülcehre nicht nur im Studium. „Ich betrachte den Holocaust als eine Schande für die ganze Menschheit. Und die Arbeit an diesem Projekt bringt mich auch dazu, wieder mehr über die türkische Geschichte nachzudenken. Denn in der Türkei wird vom Völkermord an den ArmenierInnen bis heute nicht gesprochen. Das Stück von Elfriede Jelinek ist sehr stark. Es ist ein harter Text. Jedes Mal, wenn ich ihn wieder lese, rege ich mich auf. Unter jedem Satz liegt etwas Erschreckendes. Großartig ist der ironische Tonfall, mit dem Elfriede Jelinek sich über grausame Menschen lustig macht.“

„Unsre Betten ächzen schon darunter, dass sie nicht ganz ausgelastet sind. Was tun, wenn diese Leute, die heuer alle nicht gekommen sind, anstatt in unsere Wirtshäuser, in unsere Vergessenheit eintreten wollen, bis unsere Türen auffliegen und wir mit ihnen? Ja, was machen wir, wenn wir einmal auffliegen? Manchmal schwärmen wir so lang für jemanden, bis wir selber ein Schwarm werden. Aber danach werden wir wieder fünfzig Jahre nichts von uns hören wollen. Einmal muss Schluss sein.“

Premiere von „“Stecken, Stab und Stangl““ im November. Informationen unter [link]http://www.steckenstabundstangl.info,www.steckenstabundstangl.info[/link]

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