Entlarvung. Lila Schwarzenbergs Film über ihren VaterDichter Innenteil

Der britische prominente Drehbuchautor Peter Morgan (The Queen, The Crown, u. a.), Ex-Partner von Lila Schwarzenberg, die – sofern man sie googelt, von Medien wie heute völlig irrational mit Prinzessin tituliert wird – sagte in einem Interview vor einigen Jahren auf News.at: «Die Royals erlauben uns, Politiker mit größerer Geringschätzung zu behandeln, und wir lieben dieses Theater. Es dient dazu, uns einzuschüchtern und zu verunsichern, und es verschleiert die Unlogik der Monarchie.» Eine bemerkenswerte Aussage über die politische Situation in England, inmitten einer Monarchie, die Milliarden verschlingt an Pomp, Kostümierung, Limousinen und Juwelen. Einschüchterung und Geringschätzung waren seit jeher Methode der räuberischen Gutsherren (oder zumindest derer Vorfahren). Lila Schwarzenberg, deren Film ich im Votivkino sah, nimmt da viel mehr Blatt, nein Blätter vor den Mund. Dennoch kommt vieles zum Vorschein.

Wie kenne ich alle diese Situationen!

 

Ja aber, wie fing denn wieder alles an? Das ist ein hartes, schmerzliches Kapitel, das ich hier aufschlage. In der Annahme einen weiteren Einblick in zutiefst veraltete streng konservative Strukturen einer sogenannten aristokratischen Familie zu erhalten, sah ich den Trailer des Films Mein Vater, der Fürst. Unerwartet und unmittelbar wurde ich in meine eigene Vergangenheit katapultiert, in das Wien einer patriarchal-elitären Gesellschaft der 70er- und 80er-Jahre. Und genau das ist das Sensationelle an diesem Film, der lange nachher seine Wirkung immer noch zeigt, jeder Moment kommt mir bekannt vor, jede abwehrende Geste des Vaters erinnert mich an meinen Vater, jedes ängstliche Mundzucken Lilas ihres Vaters gegenüber spiegelt mich wider, ja mich. Wie kenne ich alle diese Situationen! Lila Schwarzenberg und Lukas Sturm haben einen Film, mit einer Herstellungsdauer von etwa fünf Jahren gedreht, geschnitten und herausgebracht, über ihren Vater, Karl Schwarzenberg, ehemals tschechischer Außenminister, Oberhaupt einer in Böhmen, Deutschland und Österreich verzweigten Adelsfamilie, die in Wien das Palais Schwarzenberg, ein Barockgebäude unter dem Belvedere, besitzt und andere Güter in Tschechien, Österreich und Deutschland.

Oberhaupt einer bis nach Böhmen verzweigten österreichisch-ungarischen Familie, die in Wien das Palais Schwarzenberg, ein Barockgebäude unter dem Belvedere, besitzt und andere Güter in Tschechien. Die immer noch gängige Diktion und politische Kategorie von Adel, den Magnaten des Hochadels oder des geringschätzig titulierten Kleinadels, führt uns die geschmacklose Absurdität eines gesellschaftlichen Spektakels vor Augen, besonders jene grausame Geschichte von Unterdrückung, Leibeigenschaft und einer Erziehung, die die Entfremdung der Kinder von ihren Eltern und die eigene Entfremdung glühend und destruktiv vorantrieb, nein -treibt. Der durchaus genial geschnittene Film spricht nur wenig deutlich aus und niemand von uns kann wissen wie es in den Personen aussieht. Aber sukzessive rutschen Impressionen voran, stellen Verbindungen zum eigenen gesellschaftlichen und familiären Trauma her, von den unerfüllbar erwiderten Zuneigungen und einer Liebe nach der wir Mädchen schrien, lautstark und mit vielen Drogen. Wir Mädchen (und auch Buben) wurden nicht gehört. Aber die Familien bezahlten unsere privaten Therapien. So war’s bei mir. So war’s bei Lila Schwarzenberg. Wir Frauen haben alle dieselbe Geschichte, sagte schon Franca Rame, Autorin, Schauspielerin und Feministin.

 

Beim Schreiben kommen mir die Tränen

 

«Der Krieg ist der Vater aller Dinge.» Das Sprichwort geht auf Platon zurück. In seinen Nomoi (Gesetzen) heißt es: «Die vornehmste Grundlage eines glücklichen Lebens aber ist dies, dass man weder Unrecht tut, noch von Anderen Unrecht erleidet. Und ebenso ergeht es einem Staate, ist er tüchtig, so wird ihm ein friedliches Leben zuteil, ist er es nicht, so bedrängt ihn Fehde von innen und außen.» Hat sich in den tausenden Jahren etwas geändert? Zu wenig. Die emotionale Kälte der Generation(-en) unserer Väter und Großväter entwickelte sich aus ererbtem hohem Status, durch Militarisierung und damit einhergehend aus einer körperfeindlichen, gefühlsverarmten Disziplinierung (siehe den Film Das Weiße Band von Haneke), insbesondere eines Überlegenheitsgefühls innerhalb der Nazischinderei. Die Erziehung ihrer Kinder entsprach ganz dieser Linie. Das und der lange blutige Kriegsdienst unserer Väter ist das ausschlaggebende Prinzip unseres Leidens – der Töchter dieser Väter. Ich mache hier eine Pause. Beim Schreiben kommen mir die Tränen.

 

[Illustration: Jella Jost]

Meine Tränen werden zu Geistern des Waldes

 

Es treten bei der Rezeption des Films die Projektionsflächen und Phantasien, die mit der Welt der Aristokratie, mit Reichtum und Besitz märchengleich verbunden sind, in den Hintergrund. Man geht in den Film hinein und erlebt. Lukas Sturm: «Wir haben die Rohschnitte Männern wie Frauen gezeigt und alle zeigten sich berührt, Söhne wie Töchter. Die Geschichte zwischen einem Kind und einem Elternteil ist interessanterweise so viel stärker als die Assoziation des Materiellen rund um diesen Familiennamen.» Lila Schwarzenberg: «Es gibt manche Aussagen, wo diese Fremdheit, obwohl man blutsverwandt ist, angesprochen wird und die gibt es, denke ich, in vielen Familien.» Dieses Portrait von einem Vater – das eben nicht nur das, sondern durch die Interaktion auch das Portrait seiner Tochter – ist, über das Persönliche hinaus, auch das Portrait einer Generation. Es ist eine bestimmte Generation von Töchtern und eine bestimmte Generation von Vätern. Es ist das Abbild einer Epoche, einer jahrhundertlangen Epoche, in der Mütter nichts zu sagen hatten, die in erzkatholisch-aristokratischen Clans verheiratet wurden. Es waren und sind immer noch diese Mütter, die möglichst viele Kinder zu gebären hatten, denn Gott hat es ja gut mit uns gemeint. Die Ehefrauen und Mütter hatten im Hintergrund zu agieren. Auch Lila Schwarzenbergs Mutter fungiert in dieser Rolle im Film. Unsichtbar. Sie kommt nicht ein einziges Mal zu Wort. Die konstruierte Unbedeutsamkeit dieser Frau sticht mir ins Herz. Es ist eine sanfte Entwürdigung, wenn man das so sagen kann, man merkt es sukzessive, indem man den Film auf sich wirken lässt. In einer Szene in einer schlossparkähnlichen Anlage, kommentiert der durchaus sympathisch wirkende alte Herr Schwarzenberg seinen Seitensprung und die Trennung von seiner Frau damit, dass die andere seine große Liebe war; er sich der Kinder wegen mit seiner Frau neuerlich verehelicht hat (das geht im Katholizismus nur mit dem gespielten Augenzwinkern des dazugehörigen Bischofs). Ich sehe in diesem filmisch äußerst interessanten Werk die Fortführung einer Festschreibung jener Frauen, die, festgemauert in Kategorien, ihr Schicksal verinnerlicht haben. Auch eine Art von Schutzfunktion. Für mich zeichnet der Film die Prolongierung der Unsichtbarkeit von Frauen deutlich nach. Sei es Lila Schwarzenbergs Mutter, sei es sie selbst. Wir Frauen dieser Generation und Klassen spielen das Theaterstück szenisch weiter. Mit schneidend lauter Färbung einer «distinguierten» Sprache. Aber wir haben die Möglichkeit, uns davon zu distanzieren, zu emanzipieren, von unseren Vorstellungen von Größe und Society, von Rang und Namen, von Bediensteten, die unseren Dreck wegräumen, von Blitzlicht und Einsamkeit, von Schall und Rauch. Auch die Verwobenheit von Aristokratie und Politik sitzt uns nach wie vor im Nacken. Einschlägige Posten waren und werden mit bekannten Familiennamen besetzt. Es ist bekannt, dass im Außenministerium Beamte von ehemaligem aristokratischem «Geblüt» hohe Posten einnehmen. Conclusio: Es fehlt eine ernsthafte Auseinandersetzung damit. Manche Adelige glauben (nach wie vor), dass ihre Vorfahren Großartiges geleistet haben. Diesen Irrtum sollte man endgültig aus der Welt schaffen. Die Aristokratie besitzt fast die Hälfte der österreichischen Wälder und mehr als ein Viertel der 1.700 Burgen und Schlösser sind nach wie vor in ihrem Besitz. Die aktuelle gesellschaftliche Situation ist besorgniserregend. Zu viele lässt die Politik in einer Sackgasse zurück. Extremismus entwickelt sich aus Ungleichheit. Wann wird das endlich verstanden.