Entschieden lächelndArtistin

Musikarbeiter unterwegs … Siebenbrunnenplatz, Landungssteg Ebensee

Bipolar Feminin gelten nach ihrer ersten Single als «heißer Scheiß» des Musikjahres 2022. Das Quartett trifft mit direkten Texten und ebensolchem Sound einen Nerv.

TEXT: RAINER KRISPEL
FOTO: MARIO LANG

Süß lächelnd, die erste Single von Bipolar Feminin, hat es in sich. Klare Musik zwischen unverstellt punkiger Rohheit und poppiger Eingängigkeit, gespielt von Jakob Brejcha (Gitarre/Tasten), Max Ulrich (Bass) und Samu(el) Reisenbichler (Drums), Leni Ulrich legt singend und gitarrenspielend gezielt lästige Finger in eitrige Wunden. Wunden, die das Land mit dem A lange vor Corona zum Ort eines gebrochenen, stets bedrohten Lebensgefühls für so viele Menschen machte und macht, die nicht zu den sich normativ fühlenden Vielen gehören, nicht nach deren engen Selbstverständnissen leben wollen. «Mit euren Bärten seid ihr die Experten für alles/mit euren Schwänzen überschreitet ihr all meine Grenzen», findet Leni die deutlichen Worte für offensichtlich Unerträgliches, die hiesiger Pop in Eh-irgendwie-trotzdem-ok-Befindlichkeitsseligkeit oft so schmerzlich vermissen lässt. «Durch eure Lebensweisheit bin ich verpflichtet zu ewiger Dankbarkeit», fährt sie fort, streift «euren Reichtum» ebenso, wie sie dem ewig intransparenten, auf den eigenen Vorteil bedachten österreichischen Durchwurschteln eine Absage erteilt: «Ihr könnt da was drehen, ich soll nur vertrauen, ich werd’ euch gern eins – in die Fresse hauen.» Dass im wunderbaren Refrain Tötungsarten verhandelt werden, lässt das Herz dieses Hörers noch frohgemuter schlagen. Es verwundert zugleich, dass es keine journalistische Empörung gab. Wie einst, als Frau Kapital-Kurier Salomon meinte, den armen Mateschitz vor den bösen, bösen Schapka schützen zu müssen.

Bombenalarm in Budapest.

«Wir sind alle aus Ebensee. Max ist mein Bruder, mit Jakob bin ich in die Schule gegangen, Samu ist der kleine Bruder eines anderen Schulkollegen», erklärt Leni die (wahl)familiären Verhältnisse. Mit am Tisch mit Bipolar Feminin und den Musikarbeitern nicht nur Bier und Falafel, sondern auch ein Pullover des Kinos Ebensee. Ein nicht nur für die vier von Bipolar Feminin immens wichtiger Ort; Max war Obmann des betreibenden Kulturvereins. Obwohl Jakob, Max und Samu schon in Ebensee, «so 2012/2013» mit anderen Freunden jammten, nahm die gemeinsame Musik erst in Wien richtig Fahrt auf. Bei einer Freundin bei Kaffee und Kuchen wurde von einem Ausflug nach Budapest erzählt, samt Bombenalarm. Leni hörte den Songtitel in der Erzählung – Bombenalarm in Budapest –, und so hieß dann tatsächlich das erste Lied der im Entstehen begriffenen Band. «1:20 lang, 2 Akkorde und gscheit gradaus.»

Wos hoid wird, des wirds daun.

Im Sommer 2019 wurde nach Keller- und Garagenprobearbeit ab Ende 2018 ein erstes Konzert gespielt. Das Auftauchen in der musikinteressierten (Halb-)Öffentlichkeit in der Folge durch Corona immer wieder gebremst. Andererseits, wenn sie spielten, blieben sie in guter, nachhaltiger Erinnerung. Was ihnen wohl mit die Nennungen als potenzielle Newcomer des noch jungen Jahres im Standard oder bei FM4 eintrug. Von ihnen selbst erfreut, aber recht gelassen reflektiert. Präsentieren sich Bipolar Feminin im Gespräch als echte Band – alle vier sind auf ihre Art voll dabei –, die musikalisch zwischen Punk, Pop und Rock beim Spielen die Musik erarbeitet, ist das Textliche ganz klar Lenis Sache, die drei anderen stehen dabei hinter ihr. Lenis nicht tatsächlich diagnostizierte Bipolarität, ihr emotionales Pendeln zwischen «super Hochgefühlen und super Tiefgefühlen» erlebt sie als künstlerischen Motor. Erfahrungen, die sie via Musik und Texten – gesungen wird auf Hochdeutsch – nach außen trägt. Dabei ist das ein Prozess, den sie mit den Kollegen und für sich vielschichtig und, mit Verlaub, diskursiv gestaltet, nicht nur auf den Begriff der Bipolarität bezogen. «Feminin? Wie stehe ich dazu als Frau? Das ist oft sehr schwierig für mich, ich passe da in viel gar nicht hinein, von mir aus, von außen werde ich klar als Frau wahrgenommen, und gleichzeitig bringt das Unsicherheit mit sich, was in meinem Kopf als ‹feminin› wahrgenommen wird. Manchmal feiere ich das voll, dass ich eine Frau bin und so tolle Frauen um mich hab’, oder tolle Flinta-Personen. Und dann hasse ich es wieder, in solche gesellschaftliche Maßstäbe teilweise auch reinpassen zu wollen.» Die bleiben sicher spannend, die erste EP schon jetzt ein Sehnsuchts-Tonträger.

Live: 16. 4., Kramladen, EP-Präsentation
www.facebook.com/bipolarfeminin