Ein Roman über gemeinsame Utopien und individuelle Zweifel
Mit «wollen schon» erscheint am Wiener Buchmarkt ein Roman, der nicht nur vom kollektiven Schaffen handelt, sondern selbst im Kollektiv geschrieben wurde. Thomas Wallerberger hat ihn gelesen und mit drei der Autor_innen über die Utopien des Gemeinsam-Seins gesprochen.
Fotocollage: Kollektiv Roman
Der Plot des von einem Autor_innenkollektiv (und Freundeskreis) verfassten Romans «wollen schon» ist im Grunde schnell erzählt: Elf Autor_innen lassen zehn Protagonist_innen zu einem in Wien neu gegründeten «Freien Institut» anreisen. Diese sollen dort drei Jahre – großzügig finanziert durch das Erbe eines verstorbenen Uni-Professors – ihren Forschungen nachgehen. Keine Projektanträge, Eigenmittelnachweise, Impact-Factor-Vorweise, peer-reviewed Forschungsdesigns oder festgelegte Hierarchien stehen zwischen ihnen und der «gewollten» Umsetzung einer Utopie des freien Forschens. Nur eine Entscheidung dafür und die Anreise trennen sie davon. Die meisten von ihnen «wollen schon», denken den Roman hindurch jedoch auch über das «Aber» nach.
Von der Utopie zur Wirklichkeit
Es gibt manche Utopie, in der zu leben sich als das Gegenteil von paradiesisch herausstellen kann. Thomas Morus’ Vorstellung davon (er prägte den Begriff mit seinem Buch «Utopia» im 16. Jahrhundert) würde uns heute wohl eher dystopisch erscheinen: Ältere bestimmen über Jüngere, Zwangsarbeit für Delinquent_innen, ein Herrscher auf Lebenszeit … Und so tragen auch die ausgewählten Protagonist_innen ihre Zweifel mit sich herum. Werden die drei Jahre einfach nur verschwendete Zeit sein, eine Lücke im Lebenslauf? Werden die Ergebnisse wertvoll sein? Oder wird jede_r nur den eigenen Wegen nachgehen, nicht kollektiv, sondern genauso vereinzelt wie in ihren oft prekären Forscher_innenexistenzen vor der Einladung?
Heide Hammer, eine der Autor_innen, meint dazu, dass die vorgestellten Charaktere fluide gedacht werden müssten: Die selbstbewusste Politologin Hannah verbindet mit dem gemächlichen und vor allem mit Kochen beschäftigten Achim eine romanlange Auseinandersetzung mit dem Ungewissen. Denn es steht nicht nur, wie in Francis Bacons «Nova Atlantis», die wissenschaftlich-technische Vision des Forschens zur Diskussion, sondern auch eine soziale. Im Buch heißt es dazu: «Das ‹kurze 20. Jahrhundert› hatte einerseits das Warten am Zauberberg beendet und ist andererseits mit dem Sieg des Kapitalismus zu Ende gegangen.»
Es sei schwer, so Eva Schörkhuber, ebenfalls Autorin des Kollektivs, unter kapitalistischen Bedingungen Alternativen und Utopien zu Ende zu denken, und ohnehin würden diese erst über aktives Handeln Wirklichkeit werden. In gewisser Weise ist der Roman «wollen schon» hier auch janusköpfig: Während das Forschen für die Romanfiguren auf drei Jahre beschränkt ist, dauerte das Verfassen des Textes nur unwesentlich länger. Nicht nur die Romanfiguren denken über Erfahrungen kollektiven Arbeitens nach, sondern auch die Autor_innen wuchsen über Schreibklausuren, regelmäßige Treffen, Skype-Dates, lange Mail-Korrespondenzen und gegenseitiges Vorlesen zu einem Kollektiv zusammen. Es sei eine schöne Erfahrung, solch einen Schreibprozess miteinander zu erleben und sich ohne Scham Rückmeldung geben zu können. Das Gegenprogramm zum vereinzelten, atomisierten Autor in der Schreibklause, so Schörkhuber.
«Wir sind nicht klüger als zuvor!»
Der Polyphonie der von unterschiedlichen Autor_innen erschaffenen verschiedenen Charaktere, wurde auch unter formalen Gesichtspunkten Rechnung getragen. Eine Namensleiste macht es den Leser_innen leichter, den jeweiligen Figuren auf ihrer Anreise zu folgen. Zwischen den einzelnen Kapiteln sind es Textverschnitte aus bereits, noch nicht oder niemals direkt Gesagtem. Diese Zwischentexte dienen als Art Medleys, als Intensivierungen oder Refrains, die die Protagonist_innen in Verbindung bringen, so die Mitautorin Natalie Deewan. Mit fortschreitendem Storyverlauf wird immer deutlicher, dass die Entscheidung für oder gegen das Forschen am «Freien Institut» kein simpler Tigersprung ist. Niemandem ist so recht klar, ob er oder sie sich vor allem gegen oder für etwas entscheidet. Auch die größtenteils über Bekannt- und Freundschaften funktionierende Einladungspolitik wird von einigen in Frage gestellt. Die eine oder andere Figur sei bei solchen Überlegungen eventuell schon zu stark reflektierend, äußern sich die Autor_innen selbstkritisch.
Dass eine Utopie nicht am Reißbrett geplant werden kann, wird im Schlussteil des Romans, wenn die Auswirkungen der gegenwärtigen Migrationsbewegung der Einladungspolitik des Instituts nochmal einen neuen Dreh geben werden, klarer. Eine der Autor_innen meint zwar: «Wir sind nicht klüger als zuvor!» Sicherlich hat sich aber eine Gruppe gefunden, die weiterarbeiten wird: an neuen Ideen und – vielleicht – auch an neuen Kollektiven.
kollektiv roman: wollen schon
Zaglossus, 26 Seiten, 17,95 Euro