Erinnern Sie sich an das Schneechaos?tun & lassen

Schneechaos.jpgOsteuropäer verursachen Schneechaos, diese Botschaft macht im vergangenen November die Runde, verbreitet von Klatschmedien und Politikern aller Coleurs. Kronen Zeitungs-Ostfrontberichterstatter Gregor Brandl läuft zu seiner Hochform auf:

Tausende Lenker stundenlang im Schneesturm gefangen, weinende Kinder und Kälte der Schrecken rund um das Schneechaos vorletzte Woche auf der Außenringautobahn in Niederösterreich steckt auch heute noch vielen Lenkern in den Knochen.“

Schuld an der Sperre waren vor allem Lkw aus Osteuropa, die ohne Ketten unterwegs waren und dann die Fahrbahn blockierten … Jetzt lässt Verkehrsminister Werner Faymann mit einem neuen Vorschlag aufhorchen. Die ASFINAG soll in Zukunft Schadenersatzforderungen gegen Frächter unterstützen, die bei Schnee die Autobahnen blockieren, so seine Sprecherin. Auch Sammelklagen seien möglich. Doch steckt die Polizei mit den osteuropäischen Frächtern unter einer Decke? Die Kronen Zeitung beschwert sich, dass die Kieberei nicht die nötigen Beweise geliefert habe, dass die Verkehrssünder aus Osteuropa kamen. Das Kleinformat ist die bessere Polizei: In diesem Fall könnten aber die Krone-Fotografen aushelfen, die auf der Autobahn unterwegs waren und die Lastwagen (samt Nummerntafeln) abgelichtet haben, rät Gregor Brandl der Exekutive.

Der ÖAMTC stößt sofort ins selbe Horn. „Es sind großteils ausländische Lkw, die auf der Außenringautobahn hängen geblieben sind“, sagt laut www.wirtschaftsblatt.at ein Sprecher der Lobbyorganisation der (inländischen) Autofahrer. Er beklagt das mangelnde Verantwortungsbewusstsein der ausländischen Lkw-Fahrer. Leider seien die österreichischen Frächter, die vorschriftsmäßig unterwegs sind, dann automatisch mitgehangen und mitgefangen, weil derzeit gar nichts mehr geht.

Angenommen, es gäbe einen linkspopulistischen Journalismus in diesem Lande. Der könnte für Schlagzeilen wie Kapitalismus verursacht Schneechaos ebenso leicht Begründungen finden wie die Osteuropa-Basher von der rechten Seite. Ohne weiteres wäre zu beweisen, dass der kapitalistische Konkurrenzkampf der Transportunternehmungen die Straßen unsicher macht, insbesondere bei extremen Bedingungen wie Wintereinbruch. Ohne weiteres könnte z. B. eine Studie der österreichischen Arbeiterkammer dafür herangezogen werden. Die Studie zeigt: Im Straßengütertransport sparen sich Unternehmer durch die Nicht-Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften im Arbeits- und Verkehrsrecht (Geschwindigkeit, Überladung) einen wesentlichen Anteil der Kosten. Die Preise müssten nämlich um zumindest 50 Prozent höher sein, würden die Gesetze annähernd eingehalten. Dabei sei der illegale Einsatz von Nicht-EU-Arbeitskräften als Fahrer in diesen Zahlen noch gar nicht berücksichtigt!, so die AK.

Der Wiener als Osteuropäer


Als Konsequenz fordert sie die Abschaffung und strenge Sanktionierung von illegalen, unfallfördernden Entlohnsystemen auf Kilometer- oder

Tourenbasis und stattdessen die stärkere Ausrichtung an einem Zeitlohnsystem. Derzeit würden durch geringe Fixlohnbestandteile die Lenker dazu verleitet, auf Kilometer- oder Tourenbasis zu arbeiten. Die Folgen seien aber, dass Fahrer über die Grenzen ihrer Belastbarkeit unterwegs sind. Diese zwar verbotenen, in der Praxis aber üblichen Entlohnungsformen müssen zu Sanktionen für die Unternehmer führen (Ausschluss von Auftragsvergaben, Konzessionsentziehung), heißt es in einer AK-Studie zum Konkurrenzkampf im Lkw-Verkehr.

Vor allem österreichische Transportunternehmer wurden von der AK unter die Lupe genommen. Ein Politiker, der demonstrativ antipopulistische Akzente setzen wollte, hätte eine elegante Verlagerung der Debatte ins Rationale vormachen können: Die Verkehrssicherheit ist nicht von dem Fremden aus dem Osten bedroht, sondern von Faktoren, die im Wirtschaftssystem liegen. Entschieden höhere Quoten bringt es aber, neben den Heulern gegen die Sündenböcke mitzuheulen, gell, Herr Landeshauptmann? Nach dem Chaos, das Lkws aus Osteuropa nach dem Schnee-Chaos auf der A21 ausgelöst haben, kündigt Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll gegenüber ÖSTERREICH jetzt scharfe Maßnahmen an: Gemeinsam mit dem Bund haben wir beschlossen, ab Montag spezielle Planquadrate durchzuführen, so Pröll-Sprecher Peter Kirchweger. Besonderes Augenmerk soll dabei auf die Wintertauglichkeit und Ausrüstung von Ost-Lkws gelegt werden. (www.oe24.at/).

Verstünden sich unsere politischen Vorbilder in der Tradition der Aufklärung, würden sie Vorreiter des Abbaus von Schwarz-Weiß-Denken sein; sie könnten öffentlich eine vorbildhafte Neugier, Zusammenhänge in ihrer Komplexität zu erfassen, an den Tag legen. Stattdessen huldigen sie dem Kult der einfachen Schuldzuweisungen und der einfachen Lösungen, an die das Wählervolk durch die Sensationsmedien gewöhnt ist: Weil das so ist, ist dort, wo dieses Sündenbockangebot weniger angenommen wird, nicht die Aufgeklärtheit an seine Stelle getreten, sondern ein anderer Sündenbock. Das kann, aus der Sicht des Tirolers, der Wiener sein (also doch wieder eine Art Osteuropäer). Ein Kommentar im Forum des oben zitierten Internetmediums:

Wir im Westen lachen uns krumm, dass bei euch in Wien wegen 10 cm Schnee die Autobahn für 14 Stunden gesperrt werden muss. Ihr Wiener seid scheinbar wirklich zu allem zu blöd. Zum Autofahren und zum Schneeschaufeln. Wenn auf der Tauernautobahn 10 cm Schnee fallen, regt sich niemand auf. Das ist normal. In Wien steht alles.

Der Osten in den Charts


Zu den üblichen Verdächtigen sind auf alle Fälle die Sozialschmarotzer zu nennen. Ist das Schneechaos nicht ihrer Arbeitsunwilligkeit zuzuschreiben? Eine Stimme aus demselben Internet-Forum: Jedem Arbeitslosen eine Schneeschaufel in die Hand und los … Und wenn sie nicht wollen, dann sofort Arbeitslosengeld und andere Sachen streichen!!! Das findet postwendend Anklang. Ein Befürworter ist mit Rat und Tat zur Stelle: Die Schneeschaufler sollte man aber gleich von daheim abholen, denn die meisten arbeiten schwarz und der andere Teil vergnügt sich im Wirtshaus. Unsere Großeltern holte man auch auf die Straße, und wer zu faul war, bekam keine Unterstützung, aber die vom AMS pfeifen sich doch um gar nichts mehr, möchte sehen, wie es wäre, wenn jeder Tag für Tag aufs AMS gehen müsste, ob es da noch so viele Arbeitslose geben würde.

Analog zu dem Bonmot Wer nicht an Gott glaubt, glaubt nicht etwa an nichts, vielmehr an alles  könnte die These aufgestellt werden: Wer das vorherrschende Feindbild nicht teilt, lebt nicht etwa feindbildfrei, sondern pflegt eklektizistisch Feindbilder im weiten Spektrum zwischen Trinkern und Trübsinnigen, Transvestiten und Triebtätern, Träumern und Troglodyten, Trotzkisten und Trampern oder eben zwischen Westafrikanern und Osteuropäern, die ein Unsicherheitsgefühl in die heilste Ecke der Welt tragen. Warum die Osteuropäer in der Sündenbockliste des meistgelesenen österreichischen Printmediums schon längere Zeit an der Spitze stehen (Ostbettlermafia, Ostprostituierte, Ostkriminelle, Ostneureiche etc.), das wäre einer Spezialüberlegung wert. “

Ich weiß nicht, ob diese Nachricht in der Kronen Zeitung zu lesen war (vielleicht nur in der Vorarlberg-Ausgabe): Wilhelm Nachbaur von der Verkehrsabteilung des Landes Vorarlberg zog eine erfreuliche Bilanz. Die Verkehrs-Kontrollen greifen, die berüchtigten defekten Lkw aus Osteuropa gibt es nicht mehr. Hier ist offenbar massiv nachgerüstet worden, sagt Nachbaur.

Auf der Wiener Außenringautobahn sind sie noch berüchtigt defekt und lebensgefährlich, aber an irgendeinem geheimnisvollen Ort an der weiteren Strecke nach Vorarlberg werden sie massiv nachgerüstet?! Man sollte hier den Ostfrontberichterstatter Gregor Brandl zum Einsatz bringen. Die Sache stinkt nach Ostpfusch.