Erinnerung an Peter KreiskyDichter Innenteil

Herr Groll auf Reisen160.Folge

Sie standen auf einer Aussichtsplattform in Drobolach und schauten über den Faaker See. Steil ragte der Mittagskogel hinter dem Südufer empor. Groll erzählte dem Dozenten von einem Nachmittag im April des Jahres 2001.

«Ich war mit Freunden in der Casa Barbara, einer Pizzeria in Rosegg. Eva Brenner hatte eingeladen; Lore Heuermann, die Malerin, war da, ein Fürst Liechtenstein, einige Schauspieler und Ärzte und Peter Kreisky. Es war im Mai 2001, und es war die große Zeit Jörg Haiders. Der Landesfürst regierte unumschränkt, er war mit seiner FPÖ zur zweitstärksten Kraft geworden und hatte Wolfgang Schüssel zum Kanzler gemacht. Er, der sich stets beklagte, ausgegrenzt zu werden, zog die Fäden.»

Der Dozent lächelte wissend.Groll fuhr fort: «Der Landeshauptmann, der SSlern schmeichelte, antisemitische Witze riss und dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs Adamovich vor johlenden Parteifreunden die deutsche Nationszugehörigkeit aberkannte, wusste, dass er die treibende Kraft im Land war. In seinem Bestreben, die Zweite durch eine Dritte Republik autoritären Zuschnitts zu ersetzen, hatte er guten Progress gemacht. Kein Wunder, wurde er doch von Teilen des hohen Klerus, der Kronen Zeitung, wichtigen Repräsentanten der Industrie, dem Raiffeisensektor und dessen Medien unterstützt. Kein Nachrichtenmagazin, keine Fernsehdiskussion, die ohne Haider oder seine Trabanten auskam, und der Umstand, dass diese Leute sich später als unfähige Witzfiguren und raffgierige Kleptokraten entpuppten, ließ Haiders Sonne nur noch heller strahlen.»

Das Lächeln verschwand vom Antlitz des Dozenten.

«Haider war das Zentrum, er schuf das Kraftfeld, das die heimische Innenpolitik bis heute bestimmt. Die halbherzigen Sanktionen des Auslands verstärkten nur die Xenophobie im Inland. Die Fernsehübertragung des Schladminger Nachtslaloms führt der Welt die Realverfassung des Landes vor. Die Schifahrer sind nur Staffage, die Hauptrolle spielt eine grölende und aggressive Horde mit rotweißroten Fähnchen in den Klauen. Kein Bundeskanzler, kein Landesfürst, der dort nicht das Bad in der Menge sucht. Die einzige Kraft, die in der Lage gewesen wäre, dem schillernden Junker etwas entgegenzustellen, die Sozialdemokratie, sah sich vor einem Dilemma», setzte Groll fort. «Vor die Notwendigkeit gestellt, eine prinzipienfeste Oppositionspolitik zu betreiben, wählte die Kärntner SPÖ die prinzipienlose Unterwerfung. Gabi Schaunig, die sich Jahre später in einer erbitterten Auseinandersetzung gegen die Bezirksmachos durchsetzte, wurde von diesen an den gebräunten Junker mit dem Hang zu flotten Buben verraten. Eine intelligente, antifaschistische Frau und ein gerissener Halbfaschist, da fiel den Ortsparteichefs, Arbeiterkammerpräsidenten und Gewerkschaftsfunktionären die Entscheidung nicht schwer. Sogar die Freimaurer öffneten für den Herrn Landeshauptmann ihre Logen.»

Die Miene des Dozenten verzog sich zu einer Grimasse.

«Die Haider-Leute machten rücksichtslos von der Macht Gebrauch. In der Schul- und Verwaltungsbürokratie wurden unsichere Kantonisten oder Andersdenkende schikaniert und verleumdet, nicht wenige verloren ihren Job. Die wenigen verbliebenen Gegner verschanzten sich in der Universität oder flohen wie viele slowenische Studentinnen und Studenten über die Pack und die Tauern ins Exil. Über Kärnten senkte sich eine bleischwere braune Wolke.»

Der Dozent machte eine weit ausholende Bewegung mit der Hand, als wolle er den See verscheuchen.

«Wir erörterten die Lage, waren aber angesichts des distinguierten Adeligen zu höflich, am Tisch Tacheles zu reden. Dann kam mein großer Moment, ich musste auf die Toilette. Peter Kreisky zog mich mit dem Rollstuhl in den Halbstock, öffnete die Tür zur Toilette, sah, dass ich die Tür nicht schließen konnte und stellte sich als Wächter auf, während ich der Natur auf die Sprünge half. Die ganze Zeit über redeten wir über Haider, die verkommenen Kärntner Altsozi und Akte des Widerstands. Als ich wieder auf dem Rollstuhl saß, trat Peter einen Schritt vor und wollte mir aus dem Abteil helfen. Das war ein Fehler, den nun waren wir beide gefangen, keiner von uns konnte vor oder zurück, der Rollstuhl hatte sich verspreizt, dazwischen war Peters Bein und mein rechter Fuß.»

Der Dozent schaute Groll nachdenklich an.

«Wir machten das Beste aus der Lage und diskutierten weiter. In der einen oder anderen Frage kamen wir uns näher, aber als ich vorschlug, man müsse heutzutage als Linker für die Auflösung von Gewerkschaftsbund, Arbeiterkammer und Apothekerkammer eintreten und durch demokratische Vereine ersetzen, entzweiten wir uns wieder. Immer aber blieb der Ton zwischen uns sachlich in der Form und höflich im Inhalt. Mit einem Wort, es war eine gute Aussprache.»

Der Dozent räusperte sich.

«Irgendwann wurden wir von zwei Italienern befreit», fuhr Groll fort. «Peter kramte in seinem Jackett, reichte mir ein Flugblatt und lächelte sein breites Lächeln. In dem Flugblatt wurde zu einer geheimen Kundgebung aufgerufen. Näheres darf ich nicht sagen. So viel aber ist klar: Wären wir damals in der Toilette steckengeblieben unsere Debatte würde heute noch andauern.»

Der Dozent wandte den Blick vom See und seufzte.

INFO:

Lesung von Erwin Riess: «Herr Groll: Rede zur Lage der Nation», am

16. März um 18.30 Uhr im Bezirksmuseum Hietzing, Am Platzl 2, barrierefrei, freier Eintritt.

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