Erlebniswelt Puddingfabrikvorstadt

Dr. Oetker geizt mit Informationen

Das neue Lieblings-Backbuch schreibt fürs Pistazienkekserl ein Packerl Pistazien-Puddingpulver vor. Wo genau dieses herzukriegen ist, verraten die burgenländischen

Hochzeitsbäckerinnen allerdings nicht. Christa Neubauer (Text) machte sich auf die Suche.

Foto: Irmgard Derschmidt

Weil der geplante Deutschland-Urlaub ohnehin ins Münsterland führt, wird kurzerhand das haushaltszugehörige Kind vorgeschoben und ein Besuch in der Puddingfabrik in Bielefeld eingeplant. Eigentlich sind die Termine fürs sogenannte Familienprogramm bereits ausgebucht, aber das Dr.-Oetker-Kundenservice reagiert professionell auf die Anfrage aus Wien und schiebt uns beide gerne hinein. Ich löhne zehn Euro, und schon sind wir dabei.

Im Zuge des beinahe dreistündigen Events kommt nicht nur das Kind mehrmals zum Staunen, sondern auch die begleitende Erwachsene. Darüber nämlich, dass in einem so langen Zeitraum derart wenig Information geboten werden kann. Da verwundert es dann auch nicht weiter, dass es uns erlaubt wird zu fotografieren (alles außer Mitarbeiter_innen). Wir kriegen eh so gut wie nichts zu Gesicht.

Zu Beginn sehen wir das Modell einer Greißlerei von vor hundert Jahren, historische Kochbücher und Rezepthefte des Unternehmens – mit einem von denen arbeite ich heute noch – und dürfen die Anzahl von Zuckerln in einem Glas schätzen. Produktionsräume oder die Räumlichkeiten der Qualitätssicherung sehen wir nur in kurzen Filmsequenzen. Die Leiterin derselben erzählt uns vom Bildschirm, dass mit einer Stichprobe von jeder Kakao-Lieferung erst ein Kuchen gebacken wird, bevor die Entladung des LKW beginnen kann. Ich frage mich: Was macht der Fahrer, bis der Kuchen aus dem Rohr kommt? Bekommt er auch ein Stück davon?

Egal. In der leeren Versuchsküche sitzen, so wird uns versichert, wochentags mehrere Expert_innen, die über die kostenlose Hotline einlangende Anfragen bearbeiten. Die Dame, die an diesem Samstag Journaldienst schiebt, bekommen wir allerdings auch nicht zu Gesicht.

Dabei hätte ich sie so gern gefragt, wie das so ist, ihren Job damit zu füllen, jeden Tag mehr oder weniger geübten Menschen zu erklären, wie man die Haut oben auf dem Pudding vermeiden kann und warum genau der Gugelhupf verbrannt ist. Die Sache mit der Puddinghaut lässt sich übrigens beheben, indem man gleich nach dem Kochen Frischhaltefolie drauflegt. Wer‘s halt mag.

Woraus besteht Backin?

Beim Kuchen muss erst nach der Type des Herds gefragt werden, bevor ein schlauer Tipp abgegeben werden kann. Immerhin stehen in der Versuchsküche rund fünfzig Herde unterschiedlicher Marken und Typen, die die Bandbreite des Weißwaren-Marktes abbilden. Damit alle gemeldeten Probleme mit dem Oetker-Backpulver und den Backmischungen penibel nachvollzogen werden können. Stelle ich mir für ausgebildete Ernährungswissenschaftler_innen und Köch_innen nicht gerade als Traumjob vor. Aber fragen kann ich sie ja nicht.

Apropos Backpulver.

In Deutschland wird das Produkt ausschließlich unter dem Namen «Backin» vertrieben. Dass es sich dabei um ein Backtriebmittel handelt, wird in Deutschland informativ vernachlässigt. Gar nicht zu reden davon, dass uns während der Führung durch den Betrieb erklärt würde, woraus so ein Backin besteht. Das scheint nicht einmal die Erwachsenen zu interessieren. Hauptsache, es funzt, nicht?

Immerhin wird die Wirkweise demonstriert, indem zwei mutige Kinder ein Experiment durchführen dürfen, bis es sprudelt. Überhaupt wird Zeit geschunden, und Kindern werden Fragebögen in die Hände gedrückt, damit sie diese mit mehr oder weniger Unterstützung der Erwachsenen beantworten und am Ende eine Urkunde in Empfang nehmen können, die ihnen bescheinigt, ein heller Kopf zu sein. Fragen aus dem Publikum kommen zum Großteil von mir. Sind die anwesenden Großen deutscher Herkunft über Oetker so umfassend informiert? Oder so indifferent?

Zum Thema Produktion sehen wir wieder nur Kurzfilme. Die dargebrachten Zahlen gehen großteils im allgemeinen Rauschen unter. Zwei sind mir trotzdem im Kopf geblieben: Bei Dr. Oetker stellen sie täglich 1,7 Millionen Tiefkühlpizzen her. (Wer isst die alle, um Himmels Willen?) Und: Die neue Verpackungsmaschine kann pro Minute 900 Backpulver-Packerl befüllen, also 15 in jeder Sekunde. (Zum Vergleich: Ab 19 sekündlichen Bildern sehen Menschen bereits einen Film ablaufen. Da fehlt nicht mehr viel.)

Ziemlich am Schluss stapfen wir durch eine Landschaft überdimensionierter Produktverpackungen, dürfen uns vereinzelt Rezeptkarten aneignen und werden an historischen Verpackungsmaschinen vorbeigelotst. (Die neue sehen wir, so glaube ich mich zu erinnern, nicht einmal im Film.)

Das nächste Mal mit Milch.

Für das Kind bleibt der Besuch in der Puddingfabrik dennoch als Highlight in Erinnerung. Erstens hat es sich eigenhändig unlimitiert Vanillepudding aus dem zugegeben imposanten Puddingomat – eine drei Meter hohe gelbe Puddingform – ziehen dürfen. Zweitens hat es sich selbstverständlich als heller Kopf erwiesen. Und drittens gab es am Ende eine Verkostung von Pizza und Baguette, frisch aufgebacken. Mit einer Einschränkung: Die Schoko-Pizza strich ich dem Kind von der Auswahlliste. Man muss nicht bei allem mitreden können.

Der Pudding ist uns beiden einigermaßen im Magen gelegen. Mir wird ja schon beim Anblick des Mini-Rührwerks übel, mit dem das weiße Pulver mit heißem Wasser in 44 Sekunden zu einer gelben Masse gerührt wird. Aber selbst das Kind vermerkt: «Das nächste Mal machst du uns aber wieder einen richtigen Pudding. Mit Milch.»

Bei der Verkostung sammelt die Oet­ker-Mannschaft dann, ohne uns das gröber auf die Nase zu binden, wichtige Daten. Wir dürfen unser Geschirr nämlich nicht selbst wegräumen. Was als Spaß präsentiert wird, beschert dem Unternehmen wertvolle Informationen: Von welcher Sorte Pizza wird am meisten nachgefragt? Wo bleiben Reste zurück, und welche Teile der Pizza? Wie groß ist eine durchschnittliche Portion? Wird mit den Händen gegessen oder mit Besteck?

Die zehn Euro haben das Kind und ich jedenfalls locker verfressen. Außerdem gibt es für jede_n Teilnehmer_in am Ende eine Tasche mit Produktproben. Also haben alle, die im angeschlossenen Shop die zu Apothekerpreisen angebotenen Waren nicht erwerben, doch einen kleinen Preisvorteil.

Meine Frage nach dem Pistazienpudding wurde übrigens ebenfalls beantwortet, mit einem für die Oetker-Dame selbst überraschenden Ergebnis. Österreich ist nämlich weltweit das einzige Land, in das der Pistazienpudding überhaupt noch geliefert wird. Allerdings unter der Zweitmarke «Flana», die wir sonst auch nicht kennengelernt hätten. Und hier hat es der Pudding mit Pistaziengeschmack – ein kleiner, aber wesentlicher Unterschied – im Jahr 2017 tatsächlich zum Pudding des Jahres geschafft. Na schau.

 

Backpulver wurde bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden. Allerdings hat es lange Zeit niemand geschafft, die beiden enthaltenen Komponenten daran zu hindern, vorzeitig miteinander zu reagieren, bevor sie noch im Teig gelandet waren. Erst um die Jahrhundertwende ist es dem Bäckersohn Dr. August Oetker im Hinterzimmer seiner Apotheke gelungen, Speisestärke als eine Art Trennmittel beizugeben.

Außerdem, und das wird als seine eigentliche Leistung gefeiert, hat er die Portionsgröße von 20 Gramm eingeführt, die einen Teig mit einem halben Kilo Mehl zu einem akzeptablen Kuchen werden lässt. Wenn sonst nix schiefgeht.

Merkt also auf, ihr Köchinnen und Köche: Das Backpulver kommt als Letztes in den Teig, weil es durch die Feuchtigkeit sofort mit der chemischen Reaktion beginnt. Wer erst den Teig anrührt und ihn dann eine

halbe Stunde stehen lässt, bevor er oder sie ihn ins Rohr schiebt, hat auftriebsmäßig schon verloren.

Bevor die Findigen unter den Chemiker_innen sich mit künstlichen Backtriebmitteln beschäftigten, hieß es: Viele, viele Eier verwenden und den Teig, damals noch händisch ewig rühren, auf dass der Kuchen flaumig werde. Das kenne ich aus den Aufzeichnungen meiner Urgroßmutter. Hier glaubte ich erst an einen Lese-

fehler aus der Kurrentschrift, als ich von einer Torte mit 16 Eiern las, deren Teig man (meist frau) «eine Stunde schlagen» sollte. Da greife ich dann lieber doch hin und wieder zur Chemie.

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