Erschreckende Unkenntnis der Materietun & lassen

Mehr ATA statt weniger ATA!

Die Einführung des außergerichtlichen Tatausgleichs zunächst im Jugendstrafrecht und – am 1. Jänner 2000 – auf für Erwachsene galt als einer der wichtigsten und zukunftsträchtigsten Schritte der Justizpolitik der letzten Jahre. Die von ÖVP und FPÖ geplante Einschränkung des ATA stößt bei den zuständigen Einrichtungen auf Unverständnis.In ihrem Regierungsprogramm haben sich ÖVP und FPÖ für den Justizbereich 20 Reformpunkte vorgenommen. Geplant sind größere Wohnrechtsänderungen, etwa die Anhebung der Friedenskronenmieten. Für Bürger, die sich bei Gericht nicht fair behandelt fühlen, soll ein neues Beschwerderecht kommen. Im Paket nicht enthalten sind die vorab diskutierte lebenslange Überwachung von Rückfallstätern und die Senkung der Volljährigkeit von 19 auf 18 Jahre. Dafür soll der außergerichtliche Tatausgleich (ATA) eingeschränkt werden, dessen Ausweitung erst im Jänner 2000 in Kraft getreten ist.

Beim ATA hat der Täter die Möglichkeit, durch Wiedergutmachung straffrei zu bleiben. Er wurde zuerst im Jugendstrafrecht eingeführt, weil eine gerichtliche Verurteilung für Jugendliche eine Einbahn in eine negative Zukunft gleichkommt. Der ATA-J (Jugend) ist eine pädagogisch wertvolle Maßnahme, die es ermöglicht, straffällig gewordene Jugendliche durch die Konfrontation mit dem Opfer und dem ihm zugefügten Unrecht von weiteren Straftaten abzuhalten. Und das bei Straffreiheit.

Spitzenreiter der ATA-J-Delikte sind Körperverletzung und Sachbeschädigung, gefolgt vom Diebstahl. Die Rückfallquote ist gering, von den Jugendlichen werden sechs Pozent nach einem außergerichtlichen Tatausgleich wieder straffällig. Bei Gefängnisstrafen ist die Rückfallwahrscheinlichkeit deutlich höher. Außerdem: „Die Konfrontation des Täters mit dem Opfer im Beisein eines pädagogisch geschulten Sozialarbeiters, der die Rolle des Konfliktreglers übernimmt, ist eine wesentlich intensivere Art der Konfliktlösung als ein mechanisch ablaufendes Gerichtsverfahren, bei dem das Opfer höchstens als Zeuge auftritt“, weiß Marianne Löschnig-Gspandl vom Institut für Strafrecht.

Ab 1992 lief ein Modellversuch, der auch Erwachsenen den Zugang zum außergerichtlichen Tatausgleich sichern sollte, diesmal mit der Zusatzbezeichnung „E“ wie erwachsen. 1992 wurden gerade 700 erwachsene Verdächtige betreut, 1998 waren es schon fast 3500. Und in 70 Prozent der Fälle kam es zu einer Einigung zwischen Opfer und Täter.

Bereits 1997 hätte der ATA-E vom Parlament beschlossen werden sollen. Doch vor allem die Forderung der ATA-Dienststellen, den Strafrahmen anzuheben, war den Abgeordneten anscheinend schwer verständlich zu machen. Im Gesetzesentwurf hob man die Strafobergrenze von drei auf fünf Jahre an: Dadurch hätten zumindest auch Einbrüche außergerichtlich bereinigt werden können. Die Kameradschaft der Exekutive Österreichs (KdEÖ) sah darin einen „Angriff auf die Sicherheit der Bevölkerung und der Exekutive.“ Sie glaubte, damit könnten Zuhälterei und Suchtgiftdelikte über Entscheidung des Staatsanwaltes von einer Verfolgung ausgenommen werden und strafbare Handlungen wie „Unzucht mit Unmündigen oder Schändung“ würden nach Geldstrafen oder durch Außergerichtlichen Tatausgleich nicht mehr verfolgt.

Im Justizministerium unter Nikolaus Michalek sah man den Grund für die Proteste der KdEÖ in einer „erschreckenden Unkenntnis“ der Materie. Der ATA sei kein Angriff auf die Sicherheit, sondern vielmehr eine europaweit bereits übliche Verbesserung der Stellung der Opfer von Verbrechen. Doch auch bei der ÖVP-Justizsprecherin Maria Fekter stießen die Pläne Michaleks auf Widerstand. Auch sie sah beim ATA den Opferschutz zu wenig berücksichtigt.

Im August 99 versuchte die FPÖ den Wählern mit der Kampagne „Keine Gnade für Drogenhändler“ Angst zu machen: Die Diversion (Begriffserklärung: siehe Kasten) des Strafrechts habe zu einer „schleichenden Entkriminalisierung“ von Drogendelikten geführt. Nur in einem solchen Klima könnten auch immer wieder die „unverschämten“ Forderungen nach einer Drogen-Liberalisierung gestellt werden. Die FPÖ, so der damalige Klubobmann Jörg Haider entschlossen, wolle all dem endgültig „einen Riegel vorschieben“.

SPÖ und ÖVP reagierten empört auf diese Vorwürfe. SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim ließ verlauten, die Aussagen des FP-Klubomanns seien „populistisch“, „unseriös“ und bar „jeglicher Sachkenntnis“. „Die FPÖ versucht Politik mit PR-Themen zu machen“, schimpfte auch ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat. Und Maria Fekter betonte mit einem Mal, daß es beim ATA nicht um Entkriminalisierung ginge, sondern um Schaffung zusätzlicher Reaktionsmöglichkeiten der Justiz.

Mit 1. Jänner 2000 trat der ATA-E endlich in Kraft. Für Hannes Jarolim war die Diversion „einer der wichtigsten Schritte der letzten Jahre in der Justizpolitik“. Doch noch im selben Monat verlauteten Susanne Riess-Passer und Andreas Khol, dass ihre Parteien übereingekommen wären, den außergerichtlichen Tatausgleich zurückzunehmen. Beide Regelungen gingen FPÖ und ÖVP zu weit, da der Opferschutz zu kurz käme. Täter sollten dafür öfter zu gemeinnützigen Arbeiten herangezogen werden.

Der Präsident des Wiener Jugendgerichtshofes, Udo Jesionek, erwiderte, die Diversion diene „zu 90 Prozent dem Opfer. Opferschutz zu fordern und gleichzeitig die Diversion abschaffen zu wollen ist, als ob ich zur Hebung der Verkehrssicherheit Alkohol- und Geschwindigkeitsbeschränkungen aufhebe.“ Auch über „gemeinnützige Arbeiten“ ließe Jesionek gerne mit sich reden verwies aber auf die „leeren Werkstätten in Gefängnissen, weil es dort einfach keine Arbeit gibt.“

Andreas Zembaty, Sprecher der Bewährungshilfe (Trägerorganisation des außergerichtlichen Tatsausgleichs), kann und will zur momentanen Situation nicht viel sagen, da es derzeit bloß Bestrebungen gebe, die Einschränkung des ATA in einer Enquete-Kommission zu behandeln. „Sollte es dort aber zu Debatten über Rückzieher im Strafvollzug kommen, werden wir uns als Experten mit jahrzehntelanger Erfahrung massiv zu Wort melden“. Zembaty weist darüber hinaus auf „die enorme Wandlungsfähigkeit der FPÖ“ hin: Der ehemalige Justizminister Harald Ofner etwa sei für den ATA-E gewesen.


Was ist Diversion?

Unter Diversion versteht der Gesetzgeber „alle Formen staatlicher Reaktion auf strafbares Verhalten, welche den Verzicht auf die Durchführung eines Strafverfahrens oder die Beendigung eines solchen ohne Schuldspruch und ohne förmliche Sanktionierung des Verdächtigen ermöglichen“.

Grundsätzlich ist dabei immer Schadenswiedergutmachung zu leisten, in Form von gemeinnützigen Leistungen, Geldbußen oder dem außergerichtlichen Tatausgleich. Dabei erarbeiten Täter und Opfer unter Mitwirkung eines Konfliktreglers eine Vereinbarung, die Maßnahmen von der Schadensgutmachung bis zu persönlichen Dienstleistungen enthält. Zentrales Anliegen ist die Wiederherstellung des durch die Tat gestörten Rechtsfriedens.

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