Erschütterung macht nicht nur LärmArtistin

Friede! Martin und Arthur Philadelphy, Musikarbeiter (Foto: Mario Lang)

Musikarbeiter unterwegs … im friedlichen Wien

«Woina» heißt das Album, auf dem Martin Philadelphy, basierend auf einem Gedicht von Thomas Nyx, den Krieg in der Ukraine ins Zentrum seiner Musik stellt.

Der Attersee ist ein Traum! Wie das Wetter, die zurückgekehrte Sommerhitze, ein Luxusproblem. Regen eine willkommene Abkühlung, wie das Schwimmen im See. Die Zeit ist wie angehalten. Das mitgebrachte Musikspuckerl spielt Dylan. «It’s a political world», singt er (der auf dem Backcover einen sehr schönen Strohhut trägt). Die scheint dabei unendlich weit weg. Über einen verkommenen Tiroler Koffer erregen, der privat zeigt, dass er politisch ein unhaltbarer Trottel ist? Ohnmächtig wundern, welch jenseitige, verantwortungs- und visionslose Gestalten uns regieren? Höchstens der Umfang des ländlichen Auto-ismus durchdringt die wohlige Gelassenheit, was da Tag für Tag Autos fahren …

Krieg ist, und alle gehen hin

Es dauert ein bisschen, bis ich den Nerv habe, Woina aufzulegen. «Der Krieg kennt nur einen Sieger: Es ist auch diesmal, es ist dies immer wieder nur die Verneinung des Lebens, der Tod.» Mit diesem Satz beschließt Thomas Nyx seinen im Booklet (unter anderem mit Zeichnungen von Martins Sohn Arthur) zur aufwendig gestalteten CD Woina auf Deutsch, Englisch und Griechisch – Nyx lebt aktuell in Griechenland – zu lesenden Text, mit dem er sich mit dem Ungeheuren, dem so fassungslos und hilflos machenden Krieg zwischen Russland und Ukraine auseinandersetzt. Dabei braucht der Tod, wie ich weiß, weil er Voraussetzung meines Berufes ist, den Krieg gar nicht, um zu «siegen». Er kriegt uns sowieso, alle, immer. Was es umso unerträglicher macht, dass unsere Spezies Krieg führt und die Leben so vieler vor der Zeit, sinnlos, grausam beendet. Urlaub vom Tod gibt es nicht.

Schwäne über Mariupol

Es ist nicht die erste Zusammenarbeit zwischen Martin Philadelphy und Nyx, der 1971 in Tirol geborene Wahlwiener Musiker hat schon früher Texte von Nyx für seine zahllosen Projekte und Kooperationen – mit internationalen und hiesigen Musiker:innen – verwendet. In und mit denen sich der (hauptsächlich) Gitarrist seit Jahrzehnten als hyperkreativer, im Wortsinn spielfreudiger Freigeist allzu einfachen stilistischen Zuordnungen entzieht. Dabei längst einen eigenen, verzweigten und vielfältigen Klangkosmos aufgebaut hat, der beständig, durch die Pandemie vielleicht etwas verlangsamt, weiterwächst. 22 Alben listet Discogs unter seinem Namen. Woina – das russische Wort für Krieg – findet sich noch nicht, wird es doch erst am 8. September im Radio Cafe im Radiokulturhaus erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Martin selbst beschreibt die vom Gedicht Woina inspirierte Musik als «Programmmusik», mit der er in elf Stücken mit elektrischer Gitarre, Stimmen, Samples, Loops und «toys» das so große Thema reflektiert. Im Kern dabei die Solidarität mit den Opfern, die scheinbar auf diesem Planeten unstillbare und so verständliche Sehnsucht, dass Menschen nicht länger politischem Ehrgeiz und wirtschaftlicher Gier geopfert werden. Die entstandene Musik ist dabei erwartungsgemäß kein funky easy listening, aber hoch assoziativ und einen als Hörer mit ihren Spannungsbögen bei sich behaltend, mitziehend und -nehmend. Die ukrainische Hymne wird ebenso paraphrasiert wie der Komponist Tschaikowski, ein russischer Folksong taucht auf und ein bolschewistischer Begräbnismarsch, und kurz hören wir im abschließenden Das Kainsmal den leibhaftigen Vladimir Putin am Klavier, gesampelt. Der so bei etwas mitwirkt, dass sich künstlerisch gegen ihn und sein Agieren stellt. Nach dem ersten Durchlauf von Woina braucht es ein Durchschnaufen, ich tanke Seeblick, tauche die Füße ins Wasser, die hiesigen Schwäne sind unmittelbar nicht in Sicht. «Vier wunderbare Schwanenhälse werden länger und länger am nächtlichen Himmel über ruhiger schwarzer See. Die Schwäne treffen auf Mariupol. Von Mariupol ist nicht mehr viel übrig.» Einmal auf dem Album regiert musikalisch fast ungebrochen die Harmonie, das Stück heißt: Krieg ist und keiner geht hin. In einer (gemachten) gesellschaftlichen Stimmung, in der die sozialen Medien übergehen mit ach so gewieften Hobby-Strategen, Muss-Ja!-Krieger:innen und Aufrüster:innen, ausgediente Soldaten bald das Schulwesen einnehmen sollen, ein so vermeintlich einfacher wie wichtiger Satz. Wir brauchen mehr Musik über, also gegen den Krieg.

 

Thomas Nyx. Martin
Philadelphy: Woina
Edition Nachtvogel
www.philadelphy.at