Erzwungener Umzugtun & lassen

Immo Aktuell

Die Kunst- und Kulturräume in der ehemaligen Traktorfabrik in Floridsdorf sind nun Geschichte. Ein klassisches Problem von Zwischennutzungen: Immobilienverkauf zwecks Profitsteigerung – Mieter_innenschikanen inklusive.
Text: Barbara Eder, Illustration: Much

Es gibt keinen Grund, sich an diesem Ort verloren zu fühlen, der vom Blickpunkt der Zentrumsbewohner_innen gern als «Lost Place» bezeichnet wird: Floridsdorf ist keineswegs eine Wüste und das Areal der alten Traktorfabrik nur 15 Gehminuten von der U6-Endstation entfernt. Neben der verkehrstechnisch günstigen Lage ist es die Substanz, die an den ehemaligen Produktionsstätten des Landmaschinenunternehmens Clayton & Shuttleworth fasziniert: Deckenkonstruktionen aus Stahlbeton lassen die Räumlichkeiten zugleich massiv und offen wirken; wer hier arbeitet, funktioniert Industriearchitektur aktiv um. Es sind historische Hallen, die im Nationalsozialismus als Zwangsarbeitslager dienten, für die sich nach Verstaatlichung und späterem Verkauf jedoch kaum jemand interessierte.
Kein Wunder, dass die Wiener Agentur Kreative Räume (KRW) auf das Areal in der Louis-Häfliger-Gasse 12 aufmerksam geworden war. Als «Service- und Beratungseinrichtung im Bereich der Leerstandsaktivierung und Zwischennutzung» äußerte diese Interesse an einer Kooperation mit dem Eigentümer. Auf Vermittlung von KRW konnten ab September 2017 die ersten Kulturschaffenden das Gelände für sich nutzen. Als Gründer des dazugehörigen Creative Cluster Floridsdorf fungierte der österreichische Künstler und Architekt Karim El Seroui. Bis Dezember 2019 waren 45 bis 50 Künstler_innen und Kreative vor Ort tätig, die Akademie der Bildenden Künste mit dem Stipendiat_innenprogramm ArtStart ebenso vertreten wie die Stadtlabor-Initiative von Kulturstadträtin Kaup-Hasler. Vom längst beschlossenen Eigentümerwechsel erfahren haben alle Beteiligten anscheinend spät. Für Hermann Wieser, Geschäftsführer der TLH12 Immo GmbH, der für ein Statement nicht erreichbar war, stand aber wohl schon seit längerem fest, dass aus dem «Creative Cluster» ein «Gewerbe Cluster» werden soll – voraussichtlich Büroräumlichkeiten im großen Stil.

Mieter_innenvertreibung.

Um mehr als das Doppelte des ursprünglichen Werts habe Wieser das unsanierte Gebäude im September 2019 an die Factory 21 GmbH & Co KG verkauft – und rund 30 Mieter_innen mit drastischen Mitteln zu vertreiben versucht, wie Karim El Seroui dem AUGUSTIN berichtet: «Das Abstellen von Strom und Fernwärme zählt ebenso dazu wie Sachbeschädigungen, Einbrüche und Sachentwendungen durch gezielt eingesetzte Schlägertrupps.» Infolge von Wiesers «Ausmietungskrieg» seien über 90 Klagen gerichtsanhängig. Einbrüche, Verwüstungen und Einschüchterungsaktionen zogen Polizeieinsätze nach sich, wie weitere Mieter_innen bestätigen. Abseits der Profitabilität für den Eigentümer gibt es nicht einmal auf dem Papier Gründe für den erzwungenen Umzug. Ein Passus im Mietvertrag bescheinigt den Mieter_innen vermutlich sogar unbefristetes Mietrecht, was derzeit Gegenstand mehrerer Gerichtsverhandlungen ist. Vor Ort haben die Kulturschaffenden Beiträge zur lokalen Stadtteilarbeit geleistet. Trendige Cafés und schicke Restaurants – dies stellte Wiesers Zweitfirma Lyon Immobilien laut Homepage in Aussicht – sind aber nicht gefolgt. Und auch die Unterstützung durch den Floridsdorfer Bezirksvorsteher für das Projekt blieb von Beginn an beschränkt.
«Kennst Du The African Space Program?» Nach dem Auftritt der Band Cherem e ­Chuzpe in der Traktorfabrik verwickelt mein Sitznachbar mich in ein Gespräch über Free Jazz. Er ist einer von rund vierzig Besucher_innen des Abschlusskonzerts, das Klangkünstler Christian Tschinkel gibt, Eintritt: frei. Als einer der Wenigen, die bis zuletzt ausgeharrt haben, muss Tschinkel sein Akusmonautikum demnächst absiedeln. Es ist nicht so, dass Tschinkels Akusmatik, die neue Dimensionen des Hörens durch im Raum verteilte Soundquellen eröffnen will, vor Ort nicht auf Anklang gestoßen wäre. Im Gegenteil: Avantgarde für die Massen wäre andernorts vielleicht gar nicht erst möglich gewesen.