Es beanspruchte alle restliche EnergieArtistin

Comic – Formen des Widerstands

Drei jüngst erschienene Comics beschäftigen sich mit Formen des Widerstands gegen die Nazis – im Ghetto, als Partisan_innen, im Todeslager. Über die Rolle von Frauen, reale Biografien in den Bänden und wie sie deren Darstellung versuchen, berichtet Martin Reiterer.

«Es ist nicht so schwer, einen Willen zu brechen, einem Menschen alles zu rauben.» Francisco Aura Boronat war noch nicht 18 Jahre alt, als er 1936 gegen das Franco-Regime in den Widerstand zog. Er ist fast hundert Jahre alt geworden.
Nach Aufenthalten in französischen Flüchtlingslagern und dem vergeblichen Versuch, die Schweizer Grenze zu übertreten, wurde Boronat mit Tausenden anderen republikanischen Spanier_innen schließlich in Tierwaggons nach Mauthausen deportiert. «Nach unseren Erlebnissen glaubten wir, alles aushalten zu können.» Dem war jedoch nicht so: Schläge, Schreie, Hundegebell, Hunger, Kälte und kaltblütige Erschießungen setzten den Gefangenen auf eine bisher ungekannte Weise zu.
Boronat stand dem Medium Comic ursprünglich skeptisch gegenüber, erklärte sich dann aber bereit, am Comic Mauthausen mitzuarbeiten, den sein Landsmann Jordi Peidro realisierte. Kurz nach Fertigstellung der deutschsprachigen Ausgabe von Mauthausen starb mit ihm Ende 2018 einer der letzten Zeug_innen, die als republikanische Spanier_innen das Konzentrationslager überlebt hatten. Von 7.000 wurden mehr als 4.200 ermordet.

Überleben als Widerstand.

Was darin zum Ausdruck kommt, sind der beispiellose Sadismus und die Gewaltausbrüche der SS und der von ihr eingesetzten Kapos. «Ich werde immer gefragt: Konntest du wirklich keinen Widerstand leisten?» Doch allein Gesten des Widerstands wurden mit drakonischen Strafen erwidert. «Zu überleben war schon genug.» Es beanspruchte alle restliche Energie.
Die von Aura Boronat beschriebenen Aktionen des Widerstands, von Fluchtversuchen bis zu der Erschießung eines Kapos, enden für die Widerständigen mit dem Tod. Umso erstaunlicher ist es, dass es trotz alledem in verschiedenen jüdischen Ghettos, in Warschau, Vilnius und Białystok und sogar in Konzentrationslagern Formen von organisiertem und bewaffnetem Widerstand gab. Zwei weitere Comics aus demselben Wiener Verlag, dem bahoe Verlag, beleuchten unglaubliche Beispiele.
In Jan Karski. Zeuge der Shoah zeichnen die Italiener Marco Rizzo und Lelio Bonaccorso die Lebensgeschichte des polnischen Offiziers Jan Kozielewski mit seinem späteren Decknamen Karski während des Zweiten Weltkriegs nach. Gleich zu Kriegsbeginn gerät er in russische Gefangenschaft. Anders als tausenden Offizieren, die von den Sowjets 1940 in der Nähe des Dorfes Katyn hingerichtet wurden, gelingt ihm die Flucht. Karski schließt sich den Partisanen in Polen an und erfüllt geheime Kurierdienste zwischen den Widerstandskämpfer_innen und der Exilregierung in Frankreich. Im September 1942 wird er mit zwei führenden Persönlichkeiten des jüdischen Widerstands in Verbindung gebracht und mit einem Auftrag betraut, der einzigartig ist.

Verteidigung des Ghettos.

Zweimal begleitet Karski unter Lebensgefahr die jüdischen Widerstandskämpfer_innen durch das Warschauer Ghetto, um als Zeuge einem noch ahnungslosen Ausland zu berichten, wie groß die Verzweiflung der Menschen hinter den Vorhöfen der Vernichtungslager ist. Was er dabei sieht, wird er nie mehr vergessen: verhungernde Menschen, verwesende Leichen auf den Straßen, in Trance spielende Kinder. Zugleich bezeugt er die Entschlossenheit der jüdischen Partisanen: «Wir wollen uns nicht wie Tiere abschlachten lassen. Wir werden eine Verteidigung des Ghettos organisieren.»
Um als Augenzeuge die Absichten der Nazis, die vollständige Vernichtung der Juden und Jüdinnen, zu bekunden, lässt sich Karski zudem in das Durchgangslager Izbica einschleusen. Über mehrere Seiten zitiert der Comic aus Karskis Mein Bericht an die Welt: Geschichte eines Staates im Untergrund, der 1944 auf Englisch erschien. Zuvor hatte er bereits an jüdisch-polnische Vertreter im Exil und schließlich an Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt berichtet, «what I saw» – was er gesehen hatte. Claude Lanzmann hat in sein neuneinhalbstündiges Filmdokument Shoah (1985) Karskis Augenzeugenbericht aufgenommen. Der Comic Jan Karski. Zeuge der Shoah (2018) ruft dessen unschätzbaren Einsatz in Erinnerung.

Frauen im Widerstand.

Es gibt Nahtstellen, die Karskis Geschichte auch mit Thomas Fatzineks Comic Der letzte Weg verbinden. Dieser setzt ein, als die Nazis 1941, gleich nach Ankunft in Wilna/Vilnius, die Juden aus ihren Wohnungen vertreiben und ins Ghetto sperren. Wenig später taucht eine junge Frau auf, die mit einer Gruppe zu einem angeblichen Arbeitseinsatz in das nahe gelegene Ponar, tatsächlich aber zur Erschießung in den Wald gebracht wurde. Durch Zufall konnte sie entkommen. Ihr Bericht wird zum Weckruf: Hinter dem, was die Nationalsozialisten als «Umsiedlung» zu verschleiern versuchten, verstecken sich die grausamen Tatsachen der Deportationen in die Lager des Todes. Mit Rückgriff auf sozialistisch-zionistische Jugendorganisationen wie der Hashomer Hatzair formieren sich daraufhin die jüdischen Gefangenen. Teils noch minderjährige Frauen erfüllen als «Verbindungsmädchen auf der arischen Seite» Schmuggel- und Kurierdienste. Ihr unfassbarer Mut ist aus der Verzweiflung entstanden, aber nicht weniger aus der Entschlossenheit, sich «nicht wie die Schafe zur Schlachtbank führen» zu lassen.
«Ponar bedeutet Tod» heißt es in dem Warnruf von Abba Kovner, einem der Gründer der Widerstandsgruppe des Wilnaer Ghettos, der durch die Partisaninnen an die benachbarten Ghettos von Białystok und Grodno weiterverbreitet wird: «Wir werden kämpfen bis zum letzten Atemzug.» Zu ihren leuchtenden Figuren gehören Chaika Grossmann, die 1996 verstarb, und Chasia Bornstein-Bielicka, gestorben 2012, auf deren Berichte sich Fatzinek für Der letzte Weg stützt.¹ Mit gefälschten Arierinnennachweisen verrichten sie untertags Dienste für SS-Männer und bringen des Nachts Waffen ins Ghetto. Wer ertappt wird, wird hingerichtet.
Ihr Netz reicht bis Warschau, in den Wäldern von Wilna und Białystok knüpfen sie Kontakte zu russischen Partisan_innen. Trotz ihrer Erfolge stößt der Widerstand an bittere Grenzen: Das perfide System der Nazis setzte Judenräte und jüdische Polizei ein, die sich durch den Schein eines Verhandlungsspielraums täuschen und zur Kollaboration nötigen lassen. Ein großer Teil der Menschen in den Ghettos ist zudem vollkommen geschwächt, sodass sie nicht einmal mehr in der Lage sind zu fliehen, geschweige denn sich am Aufstand zu beteiligen. Wenigen Dutzend Jugendlichen gelingt die Flucht an den Tagen des Aufstands im August 1943. Ihr Mut und ihre Beherztheit leuchten aus dem Dunkel jener Zeit. Doch diese Beispiele bewaffneten Widerstands können andere, indirekte Formen des Widerstands keineswegs schmälern, zu denen passive Verweigerung genauso gehörte wie Solidarität und schließlich Selbsthilfe: die volle Konzentration auf das eigene Überleben, die sich gegen dieses Systems des Todes richtete.
Mauthausen, Karski. Zeuge der Shoah und Der letzte Weg verbindet neben ihrer Zeugenschaft die Darstellung im einem besonderen Medium. Während Peidros und Bonaccorsos Comics koloriert sind, zeichnet Fatzinek, der bereits Hermann Langbeins Bericht über Formen des Widerstands in Auschwitz als Linolschnitt umgesetzt hat, in Schwarzweiß. Dabei fällt in Peidros Mauthausen die Einfachheit der Zeichnungen auf, die sich oft auf Konturen und Gesten beschränken. Dagegen wirken Bonaccorsos Bilder wie Gemälde, mit Text gerahmte Gemälde des Grauens. Fatzineks Zeichnung und Lettering schließlich befremden eher durch protokollarische Rauheit. Die Schatten in den Gesichtern verleihen seinen Skizzen des Widerstands eine lichte Hintergründigkeit. Die Frage, wie eine Darstellung des von den Nazis verursachten Grauens möglich ist, beantworten die drei Comics auf je unterschiedliche Weise, welche die Auseinandersetzung mit ihnen verdienen.

Bild: Widerstandskämpferinnen arbeiteten mit gefälschten Ausweisen für SS-Männer. Aus: Thomas Fatzinek, Der letzte Weg

1 Chaika Grossman: Die Untergrundarmee. Der jüdische Widerstand in Białystok. Ein autobiographischer Bericht. Fischer TB, 1993
Chasia Bornstein-Bielicka: Mein Weg als Widerstandskämpferin. dtv, 2008
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