«Es bräuchte einen Kahlschlag»tun & lassen

Florian Skrabal, Geschäftsfüherer und Chefredakteur von DOSSIER (Foto: © Carolina Frank)

DOSSIER schaut bei Korruption in Politik und Wirtschaft genau hin, zeigt Systemversagen auf – und das ganz ohne Werbeeinnahmen. Die Rechercheplattform bietet nun jenen, die sich ein Abo nicht leisten können, kostenlose Mitgliedschaften an. Chefredakteur Florian Skrabal im Gespräch.

 

 

Unabhängiger Journalismus, der den Mächtigen auf die Finger schaut», so euer Leitspruch. Wie finden das die Mächtigen?

Florian Skrabal: Die Mächtigen finden das wahrscheinlich nicht gut, aber die Mächtigen sind nicht unsere Zielgruppe. Unser Journalismus richtet sich an die Menschen. Die Mächtigen sind erst in einem nachgelagerten Schritt relevant, weil sie meist die Möglichkeiten haben, Dinge zu verändern. Erfahrungsgemäß verändern Menschen mit Macht Dinge aber nur, wenn der Druck aus der Bevölkerung beziehungsweise aus der Wähler:innenschaft zu groß wird. Oder wenn ihre eigene Reputation leidet.
Generell ist es bequemer, Dinge im Status Quo zu belassen, als gegen Widerstände oder Hürden aufzubegehren. Das beste Beispiel ist das Gesundheitssystem. Bei der lang überfälligen Reform unterstelle ich dem aktuellen Gesundheitsminister Johannes Rauch mal die besten Absichten. Wer aber Österreichs Gesundheitssystem kennt, weiß, wie viele Interessensgruppen es gibt und wie viele Player mitreden. Alles unter einen Hut zu bekommen und alle an einem Strang ziehen zu lassen, ist wahnsinnig schwer.

Wie reagieren sie, wenn ihr euch im Zuge einer Recherche mit einer Interviewanfrage an sie wendet?

Wenn wir um Interviews ansuchen, bekommen wir diese oft nur schriftlich. So haben die «Interviewten» das Gefühl, ein Stück mehr Kontrolle zu haben, weil sie ihre Antworten im Vorfeld intern abstimmen können. Auch hier geht es letztlich um Interessen, in dem Fall, so gut wie möglich in Medien wegzukommen. Es gibt aber oft nicht nur ein Interesse, sondern mehrere unterschiedlich gelagerte, die eine Person, ein Unternehmen, eine Ministerin oder eine Partei verfolgt. Im Journalismus ist es die Herausforderung zu schauen, wie Interessen gelagert sind und welche Menschen oder Organisationen das Interesse an kritischer, faktengetreuer Berichterstattung teilen. Entlang der Recherche zeigt sich dann, welche Gruppen oder Organisationen das verhindern möchten, weil eben andere Interessen bestehen. Diese müssen natürlich im Sinne der journalistischen Sorgfalt trotzdem kontaktiert und deren Sicht abgefragt werden. Spätestens dann wissen die Personen, dass man über sie oder das Unternehmen recherchiert. Es gibt Profis, die mit kritischer Recherche cooler umgehen und es gibt Menschen, die ausflippen und übers Ziel hinausschießen. Der ehemalige Chef des Multi-Milliarden-Konzerns OMV, Rainer Seele, der in seiner eigenen Hybris lebte, wollte das kleine DOSSIER auf 130.000 Euro verklagen. Peanuts für die OMV, für uns aber potenziell existenzbedrohend. Seele wurde davon abgeraten, uns zu verklagen. Er schlug den Rat aus und so wurde DOSSIER bekannter und das Thema wichtiger, als es vielleicht war. In solchen Situationen zeigt sich, wer Umgang und Erfahrung mit kritischem Journalismus hat. In Österreich sind es nicht so viele, weil es nicht so viel kritischen Journalismus gibt. Vor der Gründung im Jahr 2012 haben wir zu Inseraten der Stadt Wien in der Gratiszeitung Heute recherchiert. Wir haben damals Eva Dichand, die Heute-Herausgeberin, konfrontiert. Sie hat uns nicht nur mit Klage gedroht, sondern davon auch dem Standard erzählt und dort wurde berichtet: «Eva Dichand droht Jungjournalisten mit Klage» – das, bevor wir überhaupt online gegangen sind. Auf Wienerisch würde man sagen, «ein patscherter Zugang zu kritischer Berichterstattung» hat DOSSIER mehr Aufmerksamkeit gebracht. Sowas kommt immer wieder mal vor.

12 Jahre «DOSSIER». Viel hat sich nicht geändert in Österreich. Nervt oder befeuert dich das?

Natürlich gibt es Momente, in denen ich mich ärgere, wenn Reformen nicht angegangen werden oder sich viel zu lange ziehen. Oder wenn der typische österreichische Weg eingeschlagen wird: Vor Kurzem habe ich mich, quasi aus Ärger heraus, für einen der Chefposten des ORF beworben. Die Ausschreibung wirkte wie ein abgekartetes Spiel, wie eine ausgemachte Sache, wer diese wichtigen journalistischen Jobs in Österreich bekommt. Aber auch wenn ich mich mal ärgere, versuche ich kritische Distanz zu bewahren. Die ist für den Job nämlich wesentlich.

Was bräuchte die Medienbranche hierzulande?

Ich glaube, Österreichs Medienbranche ist von Klientel- und Interessenspolitik geprägt. Es gibt zu viele Verflechtungen zwischen dem politischen und dem medialen System. Viele Zeitungen wurden künstlich über öffentliche Inserate und über öffentliche Förderungen am Leben erhalten. So hart das klingt: Es bräuchte einen Kahlschlag, damit neue Medien entstehen und ihren Platz finden können. Österreichs größte Tageszeitung, die Kronen Zeitung, betreibt das größte Privatradio und eine der reichweitenstärksten Webseiten im Land. Das funktioniert unter anderem, weil es öffentliche Inserate gibt; weil mit öffentlichem Geld die Marktführerin gefördert wird. Es ist bizarr, dass Marktführer:innen überhaupt gefördert werden. Daran sieht man aber deutlich, dass das System nicht funktioniert. Der Medienmarkt in Österreich gibt Neuem keinen Platz. Und leider verlangt die Bevölkerung auch nicht danach, weil es gemütlicher ist, sich mit dem Bekannten zu begnügen. Man ist es nicht gewohnt, dass es etwas anderes geben könnte, als in der Früh die Kronen Zeitung aufzuschlagen. Da kommt sehr viel zusammen. In anderen Ländern gibt es viele innovative Medienprojekte, in Spanien, Frankreich oder Deutschland zum Beispiel. Dort sind die Konsument:innen auch eher bereit, für Inhalte zu bezahlen, es gibt Innovationsanreize und Förderungen und eben Platz. Bei uns gibt es das nicht.

Finanziert wird eure Redaktion durch die 5.500 Mitglieder, Preisgelder, Förderungen, Spenden, Aufträge anderer Medien und Weiterbildungsangebote. Wie weit im Vorfeld sind die Ausgaben finanziert?

Leider nicht weit. Wir sind stolz darauf, wie stark wir seit der Gründung gewachsen sind.
Von damals 3.000 Euro auf das 150-fache, nämlich 450.000 Euro, die wir jetzt als Budget zur Verfügung haben. Mit den Jahren sind aber auch die Strukturen und Ausgaben gewachsen. Bei der Gründung gab es keine nach Kollektivvertrag angestellte Journalist:innen, kein Büro, keine Diensthandys. Das alles haben wir heute, daher ist alles sehr knapp bemessen. Am Ende des Jahres laufen wir um unser Überleben. Wir teilen die Arbeit innerhalb des Teams auf. Wir wechseln uns mit Community-Betreuung, Vertrieb- und Versanddienst ab. Nach all den Jahren sind wir aufgrund unserer Reputation und dem Vertrauen der Community etwas flexibler und stärker geworden, was die Finanzierung angeht, aber es ist und bleibt ein stetiger Kampf.
Jetzt gibt es zwar auch die neue Qualitätsjournalismus-Förderung. Wir bekommen sie nicht, weil man dazu viermal im Jahr ein Printprodukt herausgeben muss. Wir haben es mit unseren Ressourcen letztes Jahr aber nur auf drei Ausgaben geschafft. Dann kommt es schon mal zu Gesprächen innerhalb der Redaktion, in denen wir fantasieren, ob wir es so wie manche Boulevardmedien machen sollen: Da werden Förderungen abgehholt, etwa die Digitaltransformations-Förderung, und zwar so, dass man einen «innovativen» Newsletter herausbringt – schon greift man 50.000 Euro Steuergeld ab. Wenn man bereit ist, sich zu verbiegen, hätten wir dieses Jahr auch eine vierte Ausgabe geschafft, aber auf einem Qualitätsniveau, das wir eigentlich nicht wollen, einfach per copy/paste. Natürlich machen wir das nicht. Ich möchte damit aber vermitteln, dass wir uns selbst dabei ertappen, an Dinge zu denken, die wir nicht gutheißen. Das Gute ist, dass wir ein kleiner Schwarm sind und solche Gedanken durch den internen Diskurs gleich wieder vom Tisch kommen. Aber das System hat genau diesen Effekt. Ich weiß, dass einige Verleger:innen überlegen, wie sie ihr Produkt mit dem geringstmöglichen Aufwand so anpassen können, damit sie die höchstmögliche Förderung abgreifen. Und das kann es wohl nicht sein.

Und trotzdem bietet ihr nun Soli-Mitgliedschaften an, für Menschen, die sich unabhängigen Journalismus nicht leisten können.

Aufgrund der Teuerung mussten wir dieses Jahr erstmals unseren Mitgliedschaftsbeitrag von 52 auf 65 Euro anheben – ein massiver Sprung, das ist uns klar. Und als Kündigungsgrund nennen uns Menschen meistens, dass sie es sich nicht mehr leisten können. Ich verstehe das. Bevor ich mir nichts zu essen kaufen kann, spare ich am Zeitungs- oder Medienabos. Aus dieser Notwendigkeit, selbst teurer zu werden, gleichzeitig aber auch mit dem Wissen, dass die Leute sich weniger leisten können, haben wir uns gefragt, wie wir diese Last verteilen können. So sind wir auf die Soli-Mitgliedschaft gekommen. Vermögen ist in der Gesellschaft leider ungleich verteilt. Wir bieten deshalb unserer Community an, Mitgliedschaften zu finanzieren, für jene, die es sich gerade nicht leisten können. Momentan sind ungefähr 30 Soli-Mitgliedschaften verfügbar. Ich kann nur sagen: Take it!

Einen Nachweis braucht es nicht.

Das finden wir vermessen. Warum sollen wir daran zweifeln, wenn jemand sagt, er oder sie braucht Unterstützung. Es passiert Menschen mit wenig Geld viel zu oft, dass sie von unserem System hinterfragt und sogar als «Sozialschmarotzer» dargestellt werden. Über die reichen Sozialschmarotzer, die Steuern hinterziehen, über die reden wir viel zu selten. Dabei geht es bei denen um richtig viel Geld.

Für alle, die an dem Journalismus von DOSSIER ­interessiert sind, sich eine Mitgliedschaft aber nicht leisten können: einfach eine E-Mail an
mitgliedschaft@dossier.at schreiben.

www.dossier.at