Es geht um die Wurscht, aber nicht nurvorstadt

Gschäftl-Report (5. Folge)

Der Standort ist ungewöhnlich. Ausgerechnet am Gürtel, einen Straußeneiwurf von der Ecke zur Nußdorfer Straße entfernt, hat eine der letzten drei Fleischhauereien des neunten Bezirks überlebt. Arthur Fürnhammer (Text) und Mario Lang (Fotos)

warfen einen profanen Blick hinein.

Direkt daneben liegt die Auge Gottes Apotheke. Und das war es dann auch schon mit namhaften Geschäften in der Gegend. Auch auf der gegenüberliegenden Seite der vierspurigen Gürtelfahrbahn ist die Nachbarschaft nicht gerade illuster. Ein paar stylische Gürtellokale, die ungefähr dann aufsperren, wenn die Fleischhauerei zusperrt, und dazwischen die Glashütte – eine Hütte, für jene, die schon untertags gern ins Glasl schauen.

Von einer Flaniermeile zu sprechen, wäre also übertrieben. Andererseits bringt die fast direkt gegenüber liegende U6-Station Nußdorfer Straße hin und wieder Laufkundschaft vorbei. Und dann wären da noch die Autofahrer_innen. Im gefühlten Minutentakt, also bei jedem Ampelrot, bleiben Dutzende Autos direkt auf Höhe der Fleischhauerei stehen. Und wer weiß, vielleicht sind Autofahrer_innen auch treue Fleischesser_innen. Wem es egal ist, dass das Auto das Klima anheizt, der oder die wird aus Umweltgründen wohl nicht zum Vegetarismus konvertieren, auch kein schlechtes Gewissen bekommen ob des enormen Wasserverbrauchs und ob der vielen Methangase, die beim Furzen der Kühe frei werden und daher aufs Schnitzerl verzichten wollen. Wie auch immer: So schlecht ist die Lage der Fleischerei Mader unterm Strich gar nicht. Das Geschäft wirbt quasi für sich selbst. Und so sieht es auch der Chef, Herr Mader senior. Für ihn ist das Geschäft nur noch «Aushängeschild». Längst beträgt der Gassenverkauf nur mehr 30 Prozent des Umsatzes. Der Rest wird über die Belieferung der Gastronomie erzielt.

Dass es für einen Fleischhauer im Jahr 2018 nicht leicht ist, dürfte niemanden überraschen. Das zunehmende Verschwinden der fleischlichen Nahversorger aus dem Stadtbild ist kaum zu übersehen. Dementsprechend eindeutig fällt auch Maders Antwort auf die Frage aus, wie denn die allgemeine Geschäftssituation sei: «Mühsam!» Die Erklärung liefert der Fleischselcher, der als Letzter im Bezirk Würste noch selbst zubereitet, gleich mit: «Der Konsument hat keine Zeit zum Leben. Da sind die Leasingraten und Telefonverträge wichtiger. Anstatt dass er was Gescheites kauft, kauft er lieber die Sonderangebote. Es ist doch gescheiter, ich kauf zwei Stück Schnitzel, die ich essen kann, als drei Kilo, die ich sowieso nicht essen werde.»

Zu schnelllebig ist die Zeit also. Eher hetzt man dem lieben Geld hinterher, um sich vermeintlich wichtige Dinge wie Autos oder Handys leisten zu können, anstatt sich ab und zu mal was Ordentliches zu kochen und dafür auch etwas Geld auszugeben. Von guter Ware könne bei der Hauptkonkurrenz – den Supermärkten – nämlich keine Rede sein. Mader: «Die Leute wissen heute gar nicht mehr, wie etwas schmecken kann. Weil was die im Supermarkt vertreiben, ist ja nicht, wie es schmecken soll, sondern so wie es halt ist.»

Kavalierspitz!?

Der Fleischhauer, der 1975 seine Meisterprüfung abgelegt und das Geschäft im Jahr darauf von seinen Eltern übernommen hat, ist sich sicher: Im Allgemeinen werde heute weniger und schneller gekocht. Man nehme sich nicht mehr die Zeit, Traditionen würden nicht mehr gepflegt und dadurch gehe Wissen verloren. Mader: «Wer macht denn heute noch zum Muttertag einen Kalbsnierenbraten? Das war früher Tradition.» Heute würden die Leute lieber drei Stunden im Restaurant auf ihr Essen warten, bevor sie sich selbst was kochen. Insgesamt wüssten die Leute also immer weniger, was sie überhaupt kochen könnten, geschweige denn, wie es richtig zuzubereiten wäre. «Einen Kavalierspitz, den kennt ja heute keiner mehr», meint Mader. Auch Spezialitäten wie Fledermäuse (Fleisch von der Darmhöhle des Rinds, das vom Beckenknochen ausgelöst wird) oder Schweinsbackerl (besonders geeignet als Einlage für deftige Gerichte wie Suppen oder Eintöpfe) werden zunehmend zur Rarität.

Letztens bekam Mader Besuch von einem Kunden, der ein dreiviertel Kilo Tafelspitz verlangt hat. Das hat ihm der Fachmann verweigert: «Weil des nix wird. A Tafelspitz is guat, wenn der eineinhalb Kilo hat. Kleinere Stücke würden im Wasser ausdürren.»

Nicht nur das Ess- und Kochverhalten der Konsument_innen hat sich in den letzten Jahrzehnten geändert. Natürlich blieb auch der Druck durch die Konkurrenz der Supermärkte nicht folgenlos. Maders Geschäftsmodell hat sich dadurch komplett gewandelt: «Früher waren wir Bedarfsdecker, heute sind wir nur noch Gustospezialisten. Wir haben vor sechs aufsperren müssen, weil der Maurer seine Jause haben wollte. Heute gehen die Arbeiter zum Billa oder zum Türken. Auch die Jugoslawen sind um sechs gekommen und haben sich ein Stelzerl mitgenommen für die Jause. Das ist heute vorbei.»

Exotisches.

Schon vor 30 Jahren, ausgelöst durch die BSE-Krise, begann Mader daher seine Produktpalette um exotische Fleischspezialitäten zu erweitern. Wer heute bei Rot neben seinem Geschäft zu stehen kommt, wird es auf einer der vielen Tafeln lesen können: Hier gibt es Fleisch von Krokodil, Rentier, Känguru und Strauß. Mader ist heute Österreichs führender und Wiens einziger Spezialist für «Exoten». «Jede Woche kommt einer rein und will ein Krokodil», berichtet Mader, der sein Fleisch aus Simbabwe bezieht. Warum die Menschen Krokodilfleisch wollen, weiß auch er nicht genau. Geschmacklich sei es nicht unbedingt seines. Es eigne sich gut zum Grillen und schmecke im Übrigen nach dem Futter, das den Krokodilen verabreicht wurde, nämlich entweder Fisch oder Huhn. Das Fleisch vom Känguru, vom Rentier und vor allem vom Strauß mag er schon eher. Straußenfleisch kommt ihm auch deshalb entgegen, weil es keine langen Transportwege hinter sich hat. Mader bezieht es von Straußenfarmen aus der Steiermark und aus Niederösterreich. Wie übrigens auch alles herkömmliche Fleisch von regionalen Schlachthöfen rund um Wien geliefert wird. Neben Fleisch vom Strauß verkauft der findige Fleischer aber auch dessen Eier. Zu Ostern sollen die so begehrt sein, dass er gar nicht weiß, wo er sie alle herbekommt. Er würde sogar das ganze Jahr hindurch welche verkaufen, ist er überzeugt. Doch der Strauß ist zwar ein flugunfähiger Vogel wie die Henne, unterscheide sich von dieser in einem Punkt. Mader: «Der Strauß ist stur, der legt im Winter keine Eier.» Und importieren möchte er sie nicht.

Der 63-jährige Andreas Mader hat mit seiner Fleischerei bis heute überlebt, weil er sich spezialisiert hat, weil er gute Kontakte zur Gastronomie hat und weil ihm langjährige Stammkund_innen die Treue halten. Aber wie wird es mit dem Betrieb, an dessen Standort schon vor hundert Jahren erstmals eine Fleischerei aufgemacht hat, weitergehen? «Wenn ich morgen einen Lottosechser mache, sperre ich übermorgen zu.»

Und wenn nicht? «Wenn nicht, muss ich mich noch zwei Jahre durchplagen und schauen, dass ich das alles an den Mann bringe.» Mader hat einen Sohn, einen gelernten Koch, der im Betrieb mithilft. Er könnte das Geschäft von seinem Vater übernehmen, so wie es dieser 1976 selbst gemacht hat. Doch der Senior ist skeptisch: «Wieso soll der 70 Stunden arbeiten wollen?» Dass es ein anderer übernimmt, sei ebenfalls unwahrscheinlich, weil die behördlichen Auflagen in den letzten Jahren derart überhandgenommen hätten. «Wir haben zum Beispiel keine Anlieferung über die Gasse, sondern über den Hauseingang, das wollen die alles nicht mehr. Das geht bei mir nur, weil ich eine bestehende Bewilligung habe. Wenn ein Fleischer zusperrt, ist es zu 99 Prozent vorbei», resümiert Mader.

Weihnachtskarpfen.

Noch hat er also zwei Jahre, wenn ihm kein Lottosechser dazwischenkommt, und mit ihm die zwei anderen Fleischhauer, die bei ihm angestellt sind und die in der betriebseigenen, hofseitigen Wurstfabrikation mithelfen. Und bis dahin weiß er, dass er nur überleben kann, wenn er sich immer etwas Neues einfallen lässt. Deshalb gibt es zum Beispiel in seiner Fleischerei auch Fisch, vor allem zu Weihnachten. Nur Insekten kann man bei ihm trotz des aktuellen Modetrends noch keine kaufen. Und Schnecken müssen auch nicht sein, meint Mader, denn: »So schlecht geht’s uns noch nicht.»

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