Vordernberg: Ein Grazer Architekt denkt über den Schubhaftzentrenbau nach
Als zu Beginn des Jahres anlässlich der Eröffnung des Schubhaftzentrums in Vordernberg erste Fotos veröffentlicht wurden, war ich zunächst irritiert. Es waren Aufnahmen, wie man sie als Architekt aus diversen Fachzeitschriften und Magazinen kennt. Abgebildet waren schöne helle Räume, eine angenehme Materialauswahl, sorgfältig überlegte Details. Im Großen und Ganzen eine Architektur, wie es «state of the art» jüngerer, guter Architekturbüros ist. Für gewöhnlich bringt man diese Art der Architektur mit Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern in Verbindung.Hier beginnt die Irritation meiner architektonischen Wahrnehmung – denn das Schubhaftzentrum ist zwar ein Gebäude, das öffentlich finanziert wurde, hat aber eine konträre Funktion zu den zuvor genannten Gebäuden. Im Schubhaftzentrum werden Menschen inhaftiert, die keine Straftat begangen haben und strafrechtlich nicht verurteilt wurden. Damit ist dieses Gebäude ein Gefängnis für Unschuldige, legitimiert durch die sich ständig verschärfenden EU-Asylgesetze. Und nun wird die ästhetische moderne Formensprache zur Repräsentantin der Schubhaft und lässt meine Assoziationen durcheinandergeraten. Schubhaft ist doch schrecklich, oder?
Einfach Stellung beziehen in Zeiten wirtschaftlicher Zwänge
Als 2010 der EU-weit offene, einstufige Realisierungswettbewerb für die Neuerrichtung eines Schubhaftzentrums in Vordernberg ausgeschrieben wurde, begannen recht schnell die ersten Diskussionen. Ein Graben tat sich auf quer durch meinen Freundeskreis von Architekt_innen. Die eine Fraktion berief sich darauf, dass so ein Projekt demokratisch legitimiert sei und dass man auch bei einer so heiklen wie sensiblen Bauaufgabe ein Maximum an Qualität für die zukünftigen «Nutzer_innen» erreichen müsse. Dieser pragmatischen Haltung konnte die Gegenseite nicht folgen, denn im Moment der Wettbewerbsteilnahme würde man Teil eines menschenverachtenden Systems der Abschiebung. Unter verantwortungsvollen Architekt_innen würde sich eine Teilnahme an einem solchen Wettbewerb verbieten. Vielmehr müssten sich Architekt_innen ihrer politischen Verantwortung bewusst sein und dürften durch ihre Arbeit nicht dazu beitragen, inhumane Räume der Repression und Exklusion zu erzeugen.
Die wirtschaftliche Situation vor allem vieler kleiner Büros erleichtert die Entscheidung der Wettbewerbsteilnahme nicht: Viele Büros stehen unter dem wirtschaftlichen Zwang, jeden Auftrag annehmen zu müssen. Allerdings nimmt kein Architekturbüro durch eine Nichtteilnahme an einem Wettbewerb wirtschaftlichen Schaden. Die Anzahl der Architekturbüros, die sich am Wettbewerb beteiligt haben, zeigt, wie sehr vermeintliche wirtschaftliche Zwänge den Blick auf z. B. Asylpolitik verstellen.
Im Nachhinein verwundert vor allem, dass anlässlich des stattgefundenen Wettbewerbs für das Schubhaftzentrum nicht zum Architekt_innenstreik aufgerufen wurde. Ein Streikaufruf hätte es vielen Teilnehmer_innen ermöglicht, ihre Position zu finden, und gleichzeitig hätte eine demonstrative Solidarität unter den Architekt_innen zur Stärkung ihrer Position geführt. Für jede Gewerkschaft wäre ein solcher Streik ein selbstverständliches demokratisches Mittel, um politische Endscheidungen zu hinterfragen, für Architekt_innen ist es das offensichtlich nicht. Natürlich gibt es immer Streikbrecher_innen, aber Veränderungen werden durch die Beharrlichkeit der Streikenden erwirkt.
Kann ein Schubhaftzentrum baukünstlerisch wertvoll sein?
Das derzeitige Asylrecht und die Abschiebepraxis werden von einer Vielzahl von Personen und unterschiedlichen Institutionen kritisiert. Flucht ist kein Verbrechen, dennoch werden Menschen, die sich kein Verbrechen zuschulden kommen ließen und lediglich auf der Flucht aufgegriffen wurden, «angehalten», um abgeschoben werden zu können. Für die Inhaftierung von Unschuldigen kann kein gutes Gebäude gebaut werden, möge es architektonisch noch so gekonnt und gelungen sein; denn es gibt keine richtige Architektur innerhalb einer grundsätzlich falschen Bauaufgabe, genauso wie es eben «kein richtiges Leben im Falschen» gibt. Es ist also irrelevant, welche baukünstlerische Qualität ein Gebäude wie ein Schubhaftzentrum hat.
Die stattgefundene Diskussion über den durchgeführten Wettbewerb stimmt mich wenig optimistisch, was die politische Solidarität und Verantwortung unter den aktiven Architekt_innen betrifft. Diesem Beruf ist es offenbar förmlich eingeschrieben, immer wieder mit Auftraggeber_innen, Machthaber_innen, Geldgeber_innen kooperieren zu müssen. Verlässlich gelangt man so zur Grundsatzfrage «ja oder nein».
Zunehmend sind aber kritische Stimmen aus der jungen Generation der Absolvent_innen des Architekturstudiums zu hören. Ihre Position ist zwar eine einfachere, weil sie noch nicht den wirtschaftlichen Zwängen eines selbstständigen Architekturbüros unterliegen. Trotzdem oder gerade deswegen sind diese Stimmen und Meinungen interessant und sollten ein größeres Gehör finden. Stellvertretend dafür wäre z. B. Alexander Poschner zu erwähnen, der sich im Rahmen seiner Diplomarbeit an der Grazer Architekturfakultät mit den Themen Asyl, Migration und Städtebau und der politischen Verantwortung der Architektur bzw. der Architekt_innen beschäftigt. Er fordert eine Asylpolitik, die Menschen nicht in totalen Institutionen wegsperrt, sondern eine sinnvolle Integration in dezentralen Modellen der Versorgung und Betreuung asylwerbender Menschen ermöglicht. Als historisches Beispiel wird unter anderem die «Auflösung» einer solchen totalen Institution in Italien der 1970er Jahre genannt. Durch die Auflösung von Anstalten für psychisch Kranke im Zuge einer Reform der italienischen Psychiatrie konnten die ehemaligen Patient_innen unter voller Akzeptanz der Bevölkerung in das soziale Leben reintegriert werden.
Was leistet das Schubhaftzentrum Vordernberg?
Eine Funktion, die das sogenannte Vorzeigeprojekt in Vordernberg mit seiner zeitgenössischen Architektursprache im Dienste einer «humanen Abschiebepraxis» gut erfüllt, ist es, das schlechte Gewissen des österreichischen Staates und seiner Bevölkerung zu lindern. Die sogenannte Kreativwirtschaft soll dabei ästhetisch aufwerten, was gesellschaftspolitisch falsch ist. Durch seine vermeintliche Schönheit untergräbt das Gebäude gleichzeitig die Diskussion über Asylpolitik und liefert damit einen Beitrag zur Legitimierung des Status quo. Auf diese Weise entsteht dann der absurde Architekt_innenenwettbewerb «Wer macht das schönste (beste) Abschiebegefängnis».
Wir können das Schubhaftzentrum aber auch als Anlass dafür nehmen, fachintern wieder mehr und konsequenter über Inhalte anstatt über Form nachzudenken. Denn es geht auch in der Architektur darum, Haltung einzunehmen, Position zu beziehen, Verantwortung wahrzunehmen.
Burkhard Schelischansky
Burkhard Schelischansky ist selbständiger Architekt in Graz und betreibt gemeinsam mit anderen das Architekturbüro SUEDOST