«Es gibt zu viele Bestimmungen»vorstadt

20 Jahre Augustin: Jahrgang 2012 – Was wurde aus den Gehsteig-Guerrilleros (GG)?

Acht junge Menschen studierten die Straßenverkehrsordnung hinsichtlich der Benützung von Gehsteigen, aber auch Architektur auf der Uni. Drei von diesen acht gaben Anfang 2012, kurz nach dem die Gruppe GG offiziell aufgelöst wurde, dem Augustin ein Expert_innen-Interview zum Thema Gehsteig. Im Herbst 2015 blickt Theresa Schütz, eine aus dem Trio, erneut auf die GG zurück. Reinhold Schachner zeichnete auf.

Foto: Gehsteig-Guerrilleros

Welche Nachhaltigkeit hat das Projekt GG?

Eine unterschiedliche: Für uns selber ist es natürlich nachhaltig, weil wir dadurch einen anderen Blick auf Planung geworfen haben – wir haben ja alle Architektur studiert. Im Rahmen des Studiums plant man sehr distanziert, und man bekommt nicht so viel Einblick in kritische Stadtforschung bzw. Stadtpraxis. Wir konnten später auf unsere spielerischen Aneignungsformen aufbauen, aber auch Netzwerke bilden. So hat uns z. B. die Agenda Wieden immer wieder kontaktiert, weil wir uns ein Straßen- bzw. Nachbarschaftswissen angeeignet hatten. Wir waren Teil eines Trends, einer weltweiten Reclaim-the-Streets-Bewegung. Unsere Facebook-Seite hat auch gewirkt, denn Leute haben sich ausgetauscht, wo man am Gehsteig sitzen kann.

Später sind einige von uns auf der Uni gelandet (als Lehrende, Anm.), wo wir auch Stadtplanung mit dem Themenfeld urbane Strategien und Taktiken unterrichten, und haben dort also ‹Recht auf Stadt›, was nicht unbedingt im Lehrplan vorkommt, auf die Unis gebracht.

Andererseits konnten die kleinen Eingriffe der GG keine maßgebliche Wirkung erzielen.

Hat sich seit dem Auflösen eurer Gruppe im Jahr 2011 die Situation in Wien hinsichtlich der Gehsteignutzung gebessert?

Wenn man Kulturschaffender ist, weiß man jetzt genauer, wo man was anmeldet, weil sich Initiativen wie ‹dérive› (siehe Kasten) oder die IG Kultur um einen Erklärungsleitfaden für diesen Gesetzesdschungel bemühen. Es gibt auch Bemühungen von der Zwischennutzungsagentur bzw. von der MA 18 (Stadtentwicklung und Stadtplanung, Anm.), direkte Kontakte zu knüpfen, um Kulturvorhaben im öffentlichen Raum möglich zu machen, aber es gibt einfach noch zu viele Bestimmungen.

Auf deiner Website ist von deinem Stipendium in Berlin zu lesen. Handelt es sich um ein Klischee, dass in Berlin die Gehsteignutzung lockerer gehandhabt wird? Hast du Einblicke gewinnen können?

Es ist lockerer, das hängt mit der Stadtstruktur zusammen: Erstens wurde Berlin in einer Ebene erbaut, und vor allem nicht zu Zeiten der Industriellen Revolution, wo alles extrem schnell gewachsen ist. Berlin konnte sich mehr ausbreiten, daher sind auch die Gehsteige viel breiter als bei uns. Also, weniger Platzmangel, weniger Konkurrenz, weniger funktionale Trennung – dann funktioniert es einfacher.

Siehst du für Wien in den nächsten Jahren eine Chance für nicht-kommerzielle Gehsteignutzung, bzw., dass es salonfähig wird, sich einfach mit einem Stuhl auf den Gehsteig zu sitzen. So wie das Radfahren in den letzten Jahren salonfähig geworden ist, und neuerdings sogar das Zu-Fuß-Gehen, wie man spätestens mit der Schaffung der Stelle der Gehbeauftragten der Stadt Wien erkennen konnte?


Ich glaube weniger, dass man es mit Kulturförderprogrammen, politischen Kampagnen oder mit Marketing erreicht. Eher durch eine gesellschaftskulturelle Veränderung, wie durch eine finanzielle Notlage – in der eigenen Geldtasche, aber auch in den Hauhaltskassen der Stadt –, dass mehr auf der Straße passiert, weil man sich nicht länger in Institutionen zurückziehen kann. Wenn also soziale Güter und Orte wegbrechen, dann könnte die Straße diese Funktion wieder übernehmen. Jetzt ist die Straße Funktions- und Verkehrsraum und sicher kein Aufenthaltsort oder Treffpunkt mit Freunden oder Nachbarn.

Dein Wunsch für die Zukunft?

Es sollen sich neue GG bilden. Den Namen könnten wir vermutlich freigeben.

Infos:

Theresa Schütz, u. a. Vorstandsmitglied der IG Kultur Wien und Stipendiatin für Baukunst der Jungen Akademie der Künste – Berlin, bildet gemeinsam mit dem Ex-Gehsteig-Guerrillero Rainer Steurer das Künstlerduo «UNOs | umding+ortsam». UNOs gestaltete die Zentrale der diesjährigen Ausgabe des Festivals «Urbanize!» in der ehemaligen Finanzdirektion der Republik in der Zollamtsstraße. Dieses Festival für «urbane Erkundungen», wie es im Untertitel heißt, wird von «dérive», der Zeitschrift für Stadtforschung, heuer zum sechsten Mal (2.–11. Oktober), u. z. unter dem Motto «Do it together» ausgerichtet und möchte laut Aussendung «kooperative Handlungsansätze auf ihre Brauchbarkeit für die Stadt der Zukunft prüfen».

www.urbanize.at

unos.at



Die IG Kultur Wien schreibt in ihrem Leitfaden zu «Kultur veranstalten in Wien»: «Für Veranstaltungen auf Straßen und Plätzen – dazu zählen nicht nur die Fahrbahnen, sondern auch Fuß- und Radwege und die Gehsteigbereiche – muss zusätzlich zur veranstaltungsgesetzlichen Berechtigung eine Bewilligung der MA 46 (Verkehrsorganisation und technische Verkehrsangelegenheiten) eingeholt werden. Der Antrag muss mindestens vier Wochen vor der geplanten Veranstaltung eingereicht werden. Danach wird eine Ortsverhandlung durchgeführt, und erst nach dieser wird entschieden, ob eine Bewilligung erteilt wird. Die Bewilligungserteilung steht im Ermessen der Behörde.

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