Musikarbeiter unterwegs … in der Wiener Punkgeschichte
So der schöne Titel einer Filmdokumentation. Worüber? Über Punk in Wien von 1977 bis 1988. Gestaltet hat diese andere Stadtgeschichte Thomas Reitmayer. Text: Rainer Krispel, Foto: Mario Lang
«Es leben doch ned alle ewig (…) live fast, die young ist schon leiwand, aber nur so lange lustig, bis dann wirklich einer young died, mehr oder weniger.» So rekapituliert Thomas den Beginn des Projekts 2012. Angestoßen durch den Tod seines Freundes Sherriff, dessen Persönlichkeit die Verwendung des Unworts «Szene-Urgestein» ausnahmsweise erlaubt. «Wer Sherriff nicht kennt, hat Punk verpennt», möchte mensch reimen, wird der Legende des Punk- und Charaktermenschen mit attitude, der den Planeten wegen einer Grippe verlassen hat, damit aber nicht einmal annähernd gerecht. Wenn sein symbiotischer Freund Gillette – für einen aus Linz Zugereisten entstand bei einschlägigen Wiener Konzerten im alten Flex oder der Arena der Eindruck, dass erst gespielt wird, wenn die beiden anwesend sind – im Film sinngemäß sagt, dass alles anders ist, seit Sherriff nicht mehr da ist, ist dies nicht der einzige Moment, in dem Subkulturgeschichte einfach Menschengeschichte ist. Noch mehr, weil Gillette am Tisch mit Lörkas interviewt wurde, dem nicht minder legendären (unter anderem) Pöbel- und Dead-Nittels-Musiker, der im Mai 2017 ausgecheckt hat.
Doch mehr als Beislanarchie.
Reitmayer, als echter Wiener 1974 geboren, ist als Jungpunk mit 14 in die Szene eingestiegen. Hat ´87 Hüsker Dü gesehen, ´88 war er in der besetzen Ägidi, und hat dort die US-Band R(ich)K(ids on)L(sd) erlebt. Mit am nachhaltigsten, neben den internationalen Bands (und einer musikalisch unironischen, inhaltlich dissidenten Metal-Liebe), prägte ihn ein Tape der Wiener Band Extrem und ein Brief von deren Drummer Peter Zinner aus dem Nebenbezirk. Die lokale Punkgeschichtsaufarbeitung verlief nicht friktionsfrei, zwei Partner der ersten Film-Phase hatten ein grob anderes Punkverständnis. Angenehmer verlangsamte die Geburt einer Tochter das Fertigstellen des Films. «Du scheißt da sicher nicht drauf», wusste die Kindsmutter dennoch zur Sache zu sagen, Paul Poet hievte dringlichkeitserzeugend den noch unfertigen Film in die von ihm co-kuratierte Reihe Punk Cinema im Filmarchiv Austria. In deren Rahmen wurde Es is zum Scheissn im Oktober zweimal mit großem Zuspruch gezeigt. Gute Geister wie Harald Rau oder Patrick Spanbauer hatten dazu das Ihrige getan. «Der Harry (Gründungsmitglied Die Böslinge, Anm.) weiß halt alles. Was er nicht weiß, ist nicht passiert.» Unter anderem legte er die Rutsche zu Ilse E. Hoffmann, Bassistin der Frauen-Punkband A-gen 53. So entstand ein verblüffend unmittelbarer und verblüffend «kompletter» Film, der eine Wandlung Wiens spürbar nachzeichnet. Die graue, fade, tote Stadt bekommt Farbe. Hausbesetzungen, Drogen- und Rauschkultur, Musik und Lebenshunger schafften und behaupten Freiräume. Der im Stuttgarter Raum lebende Punkliebhaber und -schreiber Kalle Stille über den Film: «Eine Liebeserklärung an die kleine Wiener Szene hätte nicht besser montiert werden können. (…) Das eigene Habitat (oder eben nicht) erzählt viel mehr über den, der gerade vor der Kamera steht. Sehr schön, dass (…) die Chronologie ohne Jahreszahlen nachvollziehbar ist. Manche Leute bekommen endlich ein Gesicht, manchmal teigig, manchmal tragisch, aber das bringt die Geschichte einfach so mit sich. Ein paar Leute würde ich sofort zu einem Bier einladen, Erwin zum Beispiel, andere zu einer Cola, weil die Leber nicht mehr mitmacht. Andere bauen riesige Türme, wo früher keine waren. Auch der Frauenanteil schimmert durch.» «Ein Film gegen das Vergessen», sagte ein begeisterter Zuschauer.
Punk und Brösel.
Eine wegen des großen Erfolges kurzfristig angesetzte dritte Vorführung des Films musste abgesagt werden. Ein Szene-Protagonist, der Material zur Verfügung stellte, hatte plötzlich diverse Einsprüche und drohte mit rechtlichen Schritten. Thomas Reitmayer sieht das gelassen. Fast als ob solcher «Ärger» – da dampfte es kurz im sozialen Netzwerk! – dem Film noch mehr Relevanz verleiht. Es geht schließlich um Herzblut, um (wildes) Leben, eben um eine Kultur, die sich dem Kontroversen (auch) verschrieben hat. Möglicherweise wird umgeschnitten, möglicherweise entsteht aus dem Material – «es gibt Fotos und Flyer im fünfstelligen Bereich» – ein Buch. Die Vaterschaft und das (eben nicht) Erwerbsleben beschäftigen den klassischen Selbstermächtiger (autodidakter Graphiker etc.) hinreichend, und vielleicht entwickelt Es is zum Scheissn – womöglich sind auf Rechnern «dort draußen» Kopien? – ein Eigenleben. Ein wichtiger Film ist er so oder so. Gegen Ende der 67-minütigen Doku gibt Heiland, Sänger und Gitarrist von Extrem, der ganzen Punkgeschichte folgende Perspektive: «Sein eigenes Hirn zu benutzen, ganz, simpel. Das ist, was uns von den Affen unterscheidet.» Und Chuzpe singen dazu über die Schlusscredits «Was vom Punkrock übrig blieb».