Eine Hochzeit mit Botschaft:
Es gibt Zeiten, so wie diese, die es besonders gut vertragen, wenn für die Liebe selbstbewusst und laut eingestanden wird. Davon sind Nina und Christian überzeugt. Was liegt da also näher, als aus ihrer Hochzeit eine öffentliche Kundgebung für die Liebe zu machen!? Birgit Müller (Text) und Anna Pultar (Fotos) mischten sich unter die Festgäste.
Eine halbe Stunde, bevor alles losgeht, passiert es doch: «Ich habe irrsinniges Lampenfieber», sagt Nina, und ihr Gesicht sieht aus, als versuchte sie zu lächeln. Heute ist der Tag, von dem sie und Christian bis vor kurzem gar nicht wussten, dass es ihn einmal geben wird: der Tag ihrer Hochzeit. «Ich war eigentlich immer gegen Heiraten», sagt Nina und lacht.
Doch dann kam dieses Happening, für das sich das britische Konzeptmusik-Duo KLF vor rund einem Jahr kurzzeitig wiedervereinte – als Fortsetzung ihres 23 Jahre zurückliegendenMeisterstücks: Die Musiker, laut The Guardian «die größten Provokateure des Pop», verbrannten damals eine Million Britische Pfund. Mit der Asche arbeiteten sie im August 2017 weiter und inspirierten Nina und Christian dazu, ihre eigene Bestattung gemeinsam zu planen. Eine kuriose, eine ganz eigene Geschichte. Doch: «Da hat der Prozess begonnen, der uns klargemacht hat, dass wir heiraten müssen», sagt Christian.
Einen Heiratsantrag brauchten sie nicht, denn längst hatten sie ihre gemeinsame Zeit von hinten zu erzählen begonnen: Erst der Tod soll sie scheiden können. Bis dahin ist Liebe. Und diese muss gefeiert werden. «Wir haben wirklich viel darüber nachgedacht: Warum wollen wir heiraten? Und vor allem wie?», erinnert sich Nina. Unkonventionell, urban sollte es sein. Und eine Botschaft, Liebe, transportieren. «Was in der EU, was in Österreich politisch gerade passiert, ist jeden Tag in unseren Köpfen», sagt sie. «Und dann hat es mich geärgert, weil wir irgendwann in die Planung einer normalen Hochzeit hineingeraten sind», mit angemieteter Location und Kellner_innen und Blumenschmuck und Band. Also: alles abblasen, zurück zum Wesentlichen kommen. Vier Wochen vor dem Hochzeitstermin. «Das war wie ein Befreiungsschlag», sagt Christian. Beide lächeln, als sie sich hinlegen.
Ehebett und Totenbahre.
Im nächsten Moment öffnen sich die Flügeltüren zur Ladefläche des weißen Transporters, der auf dem Wallensteinplatz steht. Auf dem Fahrzeug klebt ein großes goldenes Herz, «Christian und Nina» steht darin. Längst haben sich die Gäste des Paares auf dem Platz versammelt, bunt und exzentrisch gekleidet. Frauen, die Männer lieben. Frauen, die Frauen lieben. Männer, die Frauen lieben. Männer, die Männer lieben… Viele halten Schilder oder Banner in die Luft. «Liebe wird aus Mut gemacht», steht auf dem einen. «Heteronormativ, du Beidl», auf einem anderen. Seifenblasen. Musik. Lachen. Und ein metallenes Doppelbett, das im Transporter erspäht werden kann, sich langsam aus der Horizontalen in die Vertikale bewegt – den offenen Fahrzeugtüren zugewandt. Passant_innen mischen sich unter die Hochzeitsgesellschaft. «Kann man hier etwas gewinnen?», fragt ein kleines Mädchen einen der Gäste. Er lacht. «Nein, kann man nicht», sagt er. Ob er da nicht ein bisschen geflunkert hat?
Dann sehen endlich alle, wer da im Bett liegt: Nina und Christian, bis unter das Kinn mit weißen Laken bedeckt, ihre Gesichter verhüllt von weißen Masken. Das ist der Moment, in dem die Grenzen verschwimmen: Ehebett und Totenbahre. Leben und Tod. Intimität und Öffentlichkeit. Konvention und Individualität.
«Ihr seid keine Zuschauer. Ihr seid aktiver Teil einer Kundgebung – für die Liebe», sagt Stephan. In seinem früheren Leben war er Clown, war Schauspieler, hat Festivals und das Theaterhaus Dschungel Wien gegründet. Und vor allem: So oft schon hat er mit Christian über die Welt diskutiert, bis aus Abenden Morgen wurden. Wer sonst sollte das Paar also trauen, als dieser enge Freund. «Gegen die Angst», fährt Stephan fort. «Für die Liebe», skandieren Gäste und Passant_innen. «Gegen die Bigotterie.» – «Für die Liebe!» «Gegen die Romantik.» – «Für die Liebe!»
An roten Bändern, die unter den weißen Betttüchern hervortreten, ziehen die Gäste das Paar sachte aus dem Bett, inmitten ihrer Zeremonie. Die Tücher fallen von ihnen herab. Da steht es also: das Brautpaar. Eine Passantin lächelt, macht ein Foto. Eine Gruppe Jungs, beim Herumstreunen in die Trauung geraten, wedelt mit kleinen Herz-Fahnen, die ihnen einer der Gäste in die Hand gedrückt hat.
Unten passiert was.
«Sie werden ihre Identität nicht aufgeben, sie bleiben, was sie sind – sie benennen sich, wie sie sind. Und wir nennen sie, wie sie sind», sagt Stephan. «Sie vereinigen sich und bleiben mit uns». Der Moment der Eheschließung. Christian und Nina stehen sich gegenüber. Bräutigam und Braut. Performance und Realität. Dass das alles durch echte, reale Liebe zusammengehalten wird, das scheinen alle begriffen zu haben, die an diesem Samstagnachmittag zusammenstehen.
Einer von diesen allen ist Passant Roland, der mit seiner kleinen Tochter Vanessa die Zeremonie mitverfolgt hat. «Ich find das extrem kreativ», sagt der Vater. Er wohnt am Wallensteinplatz, hat aus dem Fenster gesehen, dass «unten etwas passiert», wie er sagt. «Das hab ich aber nicht erwartet». Er lacht. Mit etwas Abstand zur Menschentraube steht ein Rabbi, lächelt. Leider dürfe er nicht mitfeiern, sagt er, denn es ist Sabbat. Dem Brautpaar gratulieren möchte er natürlich trotzdem.
Währenddessen tanzen Christian und Nina ihren ersten Walzer als Eheleute. Gäste und Passant_innen tanzen mit ihnen, bemerken vielleicht gar nicht mehr, dass der Tanz eines der wenigen konventionellen Hochzeitsrituale dieser Eheschließung ist. Denn auch wenn sie ein ganz privates, kurioses, unbekanntes Gesicht trägt, haben alle verstanden: Sie sind der Liebe begegnet.