Es ist Ihnen erlaubt, jetzt zu sterbentun & lassen

Die letzten Tage begleiten: Ehrenamt im Hospiz

Hände halten, Tränen trocknen, Witze erzählen. Sarah Tanzer, 27, arbeitet als

Ehrenamtliche in der Sterbe- und Trauerbegleitung im Hospiz. Lisa Bolyos (Interview) und Lisbeth Kovačič (Foto) haben sie zum Gespräch gebeten.

Wie bist du dazu gekommen, ehrenamtliche Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleiterin zu werden?

Sterben und Hospiz, das sind Themen, die mich immer wieder angestupst haben. Da war einmal die Mutter einer Freundin, die im Hospiz gestorben ist, als wir noch recht jung waren. Dann habe ich begonnen, für die österreichische Kinderkrebshilfe im Sommer in Nachsorgecamps zu arbeiten, an denen immer wieder auch Kinder im Palliativstatus teilnehmen. Und dann wieder gab es im Soziologiestudium Vorlesungen zum Thema; kurz, ich habe gemerkt, das lässt mich nicht los. Also habe ich irgendwann beschlossen, die Ausbildung zur ehrenamtlichen Begleiterin zu machen.

Gibt es dafür Voraussetzungen?


Man darf in den letzten zwei Jahren keinen Todesfall im nächsten Umfeld gehabt haben – damit soll abgesichert sein, dass man die eigene Trauerarbeit ein Stück weit bewältigt hat und für die der anderen offen ist. Und man muss viel Motivation und Offenheit mitbringen, einfach so zum Spaß macht das niemand. Nicht dass es nicht sehr lustige Momente darin gäbe! Aber es kann auch sehr bedrückend sein.

Eine Übung in der Ausbildung war zum Beispiel: Heute erfährst du, du hast noch bis 31. Dezember zu leben. Wie geht’s dir, was machst du jetzt? Für mich war das Gefühl ganz stark, dass ich einfach zu jung bin. Manche haben eher betont, dass sie wissen wollen, dass die Kinder und Enkelkinder gut versorgt sind – und ich möchte erst mal Kinder kriegen! Ein ganz anderer Ausgangspunkt.


Was machst du mit der Erkenntnis, dass es zu früh sein kann zum Sterben?

Im Ehrenamt selbst habe ich bisher nur ältere Menschen getroffen. Die Jüngste war fünfzig, aber das ist für mich trotzdem eher alt. Das Bewusstsein, dass wir alle sterben müssen und nicht wissen, wann, ist bei mir vielleicht ein bisschen stärker geworden. Die Auseinandersetzung mit dem Tod von anderen und dem eigenen Sterben hat auf jeden Fall das Thema enttabuisiert. Trotzdem würde ich sagen, ich bin im Kopf zwar gut auf vieles vorbereitet, aber dem Herz fällt es deswegen nicht unbedingt leichter.

Wie ist denn das Geschlechterverhältnis unter den Ehrenamtlichen?

Nicht sehr überraschend: In zwei Ausbildungsgruppen zu je 25 Leuten waren insgesamt fünf Männer. Und auch die Altersverteilung ist ungleich, ungefähr fünf Auszubildende waren in meinem Alter, der Großteil fünfzig aufwärts. Mein junges Alter bringt mir in der Praxis immer wieder Anerkennung ein: Dass du dich so jung mit dem Sterben beschäftigst …

Wenn die Ausbildung vorbei ist, fühlt man sich für die Praxis vorbereitet?

Ja, schon ein bisschen. Letztlich erwarten einen im Hospiz auch immer wieder neue Situationen. Ich bin im Hospiz der Caritas Socialis am Rennweg. Man wird dort zuerst von der Ehrenamtlichenkoordinatorin in die Arbeit eingeführt, macht dann alle Schichten einmal mit und lernt von den Ehrenamtlichen direkt vor Ort. Ein Teil der Arbeit ist, den professionellen Betrieb zu entlasten. Wenn zum Beispiel jemand läutet, kann ich hingehen und nachfragen, vielleicht braucht er oder sie eine Ärztin, aber vielleicht auch nur ein Glas Wasser. Oder eine Person, die sich dazusetzt, zuhört, die Hand hält. Dass wir Ehrenamtliche «frischen Wind» ins Hospiz bringen, indem wir Geschichten aus unserem Alltag erzählen, wird von manchen Hospizgästen auch geschätzt.

Hattest du anfangs auch Hemmungen?

Wenn man sich unsicher ist, ob etwas passt oder nicht, muss man nachfragen. Kann ich mich zu Ihnen setzen? Wie nahe kann ich jemandem kommen? Das ist eben ein großer Unterschied, ob es die eigene Oma ist oder eine vorerst fremde Person. Aber es ist auch wichtig zu fragen: Was kann ich in der Situation bieten und wie ist es für mich fein und richtig?

Im Hospiz ist man heute nicht mehr sehr lange. Wirst du da für einzelne Menschen auch zur individuellen Bezugsperson?


Die meisten Ehrenamtlichen sind an einem bestimmten Tag in der Woche dort; und oft ist es so, dass man die gleiche Person nicht mehrmals trifft, weil sie beim nächsten Mal schon verstorben ist. In der mobilen Hospizbetreuung ist das ganz anders, da betreut man eine (oder mehrere) Patient_innen über einen längeren Zeitraum individuell. Für welche Art von Ehrenamt man sich engagieren will, hängt letztlich von einem selbst ab. Ich wollte gerne auf der Station meine ersten Erfahrungen sammeln, weil ich mich dort sicher fühlte und von vielen verschiedenen Menschen lernen konnte.

Wieso geht man ins Hospiz, wenn man im Krankenhaus bleiben könnte?

Das Hospiz ist für die meisten der letzte Weg, und das kann viel Trauer bedeuten, aber auch viel Erleichterung: Ich darf jetzt da sein, brauche mich um nichts mehr zu kümmern, kann vielleicht noch ein paar Dinge erledigen, aber ich muss mit den großen Fragen nicht mehr hadern. Ich muss mich nicht mehr anstrengen zu überlegen: Was könnte ich noch dagegen tun? Eher kann ich mich meinen letzten Wünschen widmen. Hospize und auch Palliativstationen im Krankenhaus haben ein weniger strenges Protokoll. Da kann man schon mal außertourlich ein gewünschtes Essen zubereiten oder ein Bier zum Frühstück servieren. Und sie haben auch einen anderen Auftrag als der normale Gesundheitsbetrieb, in dem es darum geht, möglichst lange alle kurativen, also heilenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Im Hospiz hingegen ist es erlaubt, das nicht mehr zu tun, dann geht es darum, Schmerzen und Symptome zu lindern und zu schauen, was Lebensqualität bis zuletzt für den konkreten Menschen bedeutet.

Mit Leuten über ihren Tod sprechen stelle ich mir nicht einfach vor.

Das Sprechen über den Tod variiert von gar nicht bis makaber und lustig. Da waren zum Beispiel zwei Männer um die siebzig, die haben darüber gelacht, dass sie jetzt wüssten, dass man das Geld nicht mitnehmen kann, wenn man stirbt, da­rauf hat der eine gemeint, er könnte sich ja ein Loch in den Knochen bohren und da noch sein Geld reinstecken. Aber dann gibt es auch ganz andere Momente, etwa mit einem Mann, dessen Metastasen sich in kurzer Zeit so stark ausgebreitet haben, dass er plötzlich im Rollstuhl sitzen musste und sein Enkelkind nicht mehr wie gewohnt vom Kindergarten abholen konnte. Da war die Trauer sehr stark, und das Sterben hat gar nichts Lustiges, es ist einfach nur ein kommender Verlust.


Und wie lernst du mit der Trauer der anderen umzugehen?

Es braucht gar nicht viel. Ich höre zu, ich versuche zu kommunizieren. Aber es gibt im Hospiz auch professionelle psychologische Betreuung für die Sterbenden und für die Angehörigen, die kann und muss ich nicht übernehmen. Meine Rolle ist vielmehr: Da ist ein Mensch, dem man erzählen kann, wie traurig man ist, welche Ängste und Sorgen da sind. Natürlich macht mich das auch traurig, es berührt mich, und dieser besagte Mann hat sich direkt bei mir entschuldigt: Ich will Sie nicht belasten! In solchen Situationen muss man gemeinsam einen Weg finden, der passt.

Was unterscheidet die Rolle der Ehrenamtlichen von jener der Angehörigen?

Die Beziehung ist viel weniger eng, was es oft leichter macht, über gewisse Dinge zu reden. Man kann über Beziehungen und Partner_innen reden und mir erzählen: Ich muss mich noch von ihr verabschieden, oder: Der will gar nicht, dass ich geh.

Unfair! Wieso ich? – Ist das ein häufiges Gefühl?

Das kommt schon immer wieder vor, und ich kann das gut nachvollziehen. Zum Beispiel habe ich eine Ärztin kennengelernt, die selbst im Hospiz liegt, und deren Kinder in meinem Alter sind. Dann denke ich auch: Das ist traurig und blöd. Und es darf dort auch sein, dass es blöd ist und keinen Spaß macht, und man trotzdem sagt: Es ist jetzt so und wir machen was draus.


Du arbeitest in der Kinderkrebshilfe und im Hospiz – ist das manchmal auch zu viel des Sterbens?

Ich hab schon viel mit dem Sterben zu tun, aber auch sehr viel mit dem Leben. Diese Balance brauche ich. Ich bin ausgebildete Erlebnispädagogin und mache Outdoortrainings mit Kindern und Jugendlichen und arbeite dann wieder im Hospiz. In manchen Momenten ist sich das alles überraschend ähnlich: Es geht um Beziehungsaufbau, Vertrauen, herausfinden und hören, was es im Moment braucht, und den Mut, weiterzugehen.

 

Info zur Ausbildung:

www.igsl-hospizbewegung.at

www.kardinal-koenig-haus.at

 

Susanne Pásztors Roman über Sterbebegleitung

Und dann sagt eine, sie würde nun gehen

Fred ist neu, das heißt: Karla ist sein erster Fall. Wie soll er da wissen, wie das geht? Wie man Vertrauen herstellt, eine Beziehung aufbaut, über die nahe (und kurze) Zukunft spricht? Und dann noch mit so einer störrischen Person wie Karla.

Fred ist wahrscheinlich um die fünfzig, er lebt als alleinerziehender Vater mit seinem 13-jährigen Sohn zusammen, die Mutter tritt nur in Form von Postpaketen mit esoterischem Inhalt in Erscheinung (obgleich sie, als Karla nicht aufhört nachzufragen, doch ein paar Kompetenzen zugestanden bekommt). Karla wird sterben, das weiß sie und daraus macht sie kein Geheimnis. Aber anders als Fred es in seiner Ausbildung gelernt hat, freut sie sich nicht sonderlich über ihren mobilen Sterbebegleiter. Und mobil, das ist auch nur eine Berufsbezeichnung – keine von Freds Top-Zehn-Charaktereigenschaften.

Dann ist da noch Rona, die im gleichen Haus wohnt und sich mitunter wie eine Sexarbeiterin kleidet (aber hui, es stellt sich heraus, sie ist gar keine!), und Klaffki aus dem Erdgeschoss, der einen ganz anderen Stil hat als die intellektuelle Karla, und der sich trotzdem in ihr Herz einnistet. Gemeinsam werden sie eine kleine Sterbebegleitungs-Gemeinschaft, von der Karla sich zwar keineswegs an der Hand nehmen, aber letzten Endes doch sehr gern unterstützen lässt.

Mit Tempo, Unvorhergesehenem und sprühendem Witz ist «Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster» nicht gesegnet. Äußerst gut gelungen ist jedoch, wie die Autorin – wahrscheinlich aus eigener Erfahrung – von der Supervision in der Sterbebegleitung erzählt, von den selbstbewussten und unsicheren Entscheidungen am Weg zum Lebensende und davon, dass man zum Schluss durchaus nicht jeder alles verziehen haben muss.

Susanne Pásztor:

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

Kiepenheuer & Witsch 2017

286 Seiten, 20,60 Euro