Musikarbeiter unterwegs … mit einem Strafzettelkibara entlang der Wien
«Atlantis» nennt die fünfköpfige Band Alpha Romeo und die Winterreifen ihr Albumdebüt. Fünfzehn herzerfrischende und einnehmende Songs.
Text: Rainer Krispel
Foto: Mario Lang
Im Kopf hört der Musikarbeiter gleich assoziativ Donovans Schmachtfetzen vom lost continent, der wie das Album der Band von Wahlwiener_innen mit Linz-Connect heißt. Während ihn das Albumcover an Arthur Lees famose Love erinnert (was beim Gespräch sofort im Internet gegengecheckt wird, «ja, wirklich») fragt ihn eine verhuschte Lebenserinnerung – hatte die Familie tatsächlich einmal zwei Autos jener italienischen Automarke in Betrieb, der die Musiker_innen ihren Namen entlehnen? Und warum gibt es keinen autofreien Tag mehr? Während der internalisierte Musikfunktionär (Spießer!) warnen möchte, «Ja habt’s denn keine Angst, dass die Turiner Großautomobilist_innen wegen Markenschutz lästig werden» (und da hilft womöglich kein statt eines «f» gesetztes «ph»), sieht er sich mit dem Albumabschluss Jo die Wien an einen speziellen Gürtelwürstelstand zurückversetzt, Tränen in den Augen, weil ihm dort eine DJ-Seele von Mensch erstmals Große Dinge von Georg Danzer vorspielte. Also – dieses Atlantis klingt voller und nach viel Leben, von dem die Band mit und zu den Worten von Michael Gutenbrunner (Gitarre, Stimme) vortrefflich zu singen und spielen versteht.
Gemma aussi.
Die Texte und musikalischen Grundgerüste Michaels, der als Alpha Romeo gelegentlich Solo-Auftritte bestreitet, werden bei oft ausgedehnten Jams von der ganzen Band zu Liedern geformt. Das sind Tamara Leichtfried (Klavier, Stimme), Daniela Czurda (Violine, Stimme), Severin Jungwirth (Bass, Klavier, Stimme) und Andreas Mittermühlner (Schlagzeug). Musikmachen und Freundschaft sind hier untrennbar miteinander verwoben. Da ein gemeinsames Adam-Green-Konzerterlebnis beim Frequency 2007/2008, dort eine Schulbekanntschaft, justament in einem Gymnasium, das auch der Musikarbeiter besuchte, ein Einanderwiederfinden in Wien, ein erstes englischsprachiges Trio, dann mit Daniela – Michael: «Ich wollte immer schon wissen, wie diese Musik mit einer Geige klingt» – und Severin, beide ihrerseits Viel- und Gernspieler_innen, Letzterer als Musiklehrer tätig, das heutige Line-up. Ein erster Gig zum 25. Geburtstag des Sängers, heute ist er 28. Die Überlegung, sich, um den Polen der Musik gerecht zu werden, mal Alpha Romeo und die Sommerreifen, mal und die Winterreifen zu nennen (nachdem die «Trüffelsau» beurlaubt wurde), von wegen Melancholie und Euphorie, die sehr unverstellt aus den Liedern klingen. Andreas: «Winterreifen haben mehr Profil.»
Annabella.
Ein weiteres Mosaiksteinchen der Bandgeschichte fügte sich durch Gigs im Chelsea ins Bild, der dortige Tontechniker Manki, von ihrer Musik angetan, unterstützt das Quintett mit Produktion und Management-Inputs. So wurde das schon etwas länger Gestalt annehmende Atlantis als Album ausformuliert und im April dieses seltsamen Jahres 2020 veröffentlicht. Dabei fährt die Band wenige Tage nach unserem Gespräch ins Mühlviertel, um weiter an neuen Liedern zu arbeiten, von denen es «gefühlte tausend» gibt – zweites Album coming up! Wenn sich in Donovans Atlantis die Suche nach der großen Liebe so ausnimmt – «way down below the ocean, where I wanna be, she may be» –, besingt Michi im gleichnamigen Lied eine Annabella, die er im abschließenden Jo die Wien heiratet. «Es hat sie immer wieder einmal gegeben, ich habe sie immer wieder verloren. Ich hoffe, dass ich bald wieder mehr an sie glauben kann.» Schon könnte mensch über die «abstrakte und konkrete Sehnsucht nach der allumfassenden Liebe» sinnieren. Tamara, die auch bei den Dives spielt, merkt an, dass sie ihre Liebe an diese mythische Annabella ja ebenso raussingt und das Michis Songwriting sich zunehmend Richtung Charakterstudien entwickelt. Dass Alpha Romeo und die Winterreifen noch kein Haushaltsbegriff sind, mag unter anderem dem Umstand geschuldet sein, dass Radio Wien eben nicht wirklich Radio Wien ist. Mit ihrer selbst als «upperviennese» definierten Sprache sollten sie aber mehrere Nerven treffen, nicht zuletzt, weil sie aus ihren Freundschaften und ihrer geteilten Lust an der Musik eine Energie ziehen, die ansteckend ist. Und es wird ohnehin viel zu wenig von der Liebe gesungen. Und zu ihr. Oder, wie hier, gar mit und aus ihr.
Alpha Romeo und die Winterreifen: Atlantis
(Eigenverlag / Manki Biznez)
instagram.com/alpharomeo_music