Es ist normal, verschieden zu seintun & lassen

Wann kommt Ende der Sonderschulen?

Der „Fall Gross“ hat auf den Spiegelgrund aufmerksam gemacht, und damit auch – verallgemeinert – auf das Prinzip der Aussonderung behinderter, auffälliger, unangepasster, von den Nazis als „asozial“ bezeichneter Kinder aus der Regelerziehung. Die Idee, dass man „normale“ von „anormalen“ Kindern trennen müsse, wirkt jedoch weiter – etwa in Form des österreichischen Sonderschulwesens. Das ist der eigentliche Spiegelgrund-Skandal 2000 (was den Skandal um die Hofierung des NS-Spiegelgrund-Arztes Dr. Gross durch die hohe Nachkriegspolitik nicht verniedlichen soll).Kürzlich organisierten Diözese, Caritas und Uni in Innsbruck ein Symposium zur Behindertenintegration. Einen inhaltlichen Schwerpunkt setzte dabei die Berliner Erziehungswissenschafterin Jutta Schöler. Sie forderte ein Ende der Sonderschulen in Österreich und Deutschland: „Es ist eine Schande, dass Eltern überhaupt um eine gemeinsame Erziehung der Kinder kämpfen müssen.“ Dass es ohne Sonderschulen geht, zeigen andere Länder. Beispiele sind laut Schöler Italien und Schweden. Und diesen Ländern gelte es nachzueifern. Auf diesem Weg hinken die deutschsprachigen Länder hinterher. Das hängt besonders in Deutschland und Österreich noch mit der nationalsozialistischen Ära zusammen. Hinzu kommt, dass die deutschsprachigen Länder auf ein Schulsystem setzen, das auf einem starken Auswahlverfahren gründet.

Schölers Thesen: In einer nichtaussondernden Schule lernen die Kinder: Es ist normal, verschieden zu sein! Allen Kindern sollen dieselben Chancen des Zugangs zu Bildungsangeboten gegeben werden. „Nach meinem Anspruch ist es falsch, bereits vor Beginn der Schule Kinder in Kategorien einzuordnen, nach denen entschieden wird, welche Erfahrungen welche Kinder machen dürfen und welche nicht. Kein Lehrer/keine Lehrerin kann vorhersagen, welche Lernangebote ein einzelnes Kind annimmt und welche nicht. Gerade in der integrativen Erziehung haben Kinder mit Beeinträchtigungen in den vergangenen Jahren Dinge gelernt, die ihnen an der Sonderschule nicht angeboten worden wären. Sie lernen Sozialverhalten und Kulturtechniken, für die sie von einem Erwachsenen nur schwer zu motivieren gewesen wären. Sie lernen vielleicht nur deshalb, weil sie das tägliche Vorbild haben, das ihnen ganz selbstverständlich näher steht als jeder Erwachsene.“

Das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung werde häufig in der Form verstanden und praktiziert, dass sie nur zu dem hohen Preis der einseitigen Anpassung gestattet wird. Das Kind hat sich trotz seiner Sehschwäche, seiner Bewegungsbeeinträchtigung oder seiner Lernstörungen an die Normen der Regelschule anzupassen. Dagegen sei der Anspruch zu erheben, dass auch die Menschen, welche zu Behinderten erklärt wurden, ein Recht auf ihre eigene Kultur haben. Am deutlichsten werde dies am Beispiel der Akzeptanz der Gebärdensprache. In einer Integrationsklasse wäre die Gebärdensprache nach humanistischem Anspruch ein gleichberechtigtes Kommunikationsmittel neben der Lautsprache.

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