Misswirtschaft bei den Wiener Linien
Die Mobilität der Wiener_innen wäre ohne U-Bahn nicht gewährleistet. Ihre Finanzierung teilen sich Stadt und Bund. Dass sowohl in Sachen Finanzgebarung als auch bei den Kontrollmechanismen einiges im Argen liegt, beanstandet jetzt der Rechnungshof. Martin Birkner über eigenartige Geschäftspraktiken, kreative Mittelverwendung und die Selbstgefälligkeit der Stadtregierung.
Illu: Much
Die Wiener Linien scheinen besonders anfällig zu sein für auffällige Geschäfte. Bereits in den 1990er-Jahren wurden U-Bahn- und Straßenbahngarnituren an US-amerikanische Investoren verkauft und zurückgeleast. Diese Cross-Border-Leasing-Geschäfte ließen die US-Investoren Steuern «sparen» und die Wiener Linien an den erzielten Gewinnen mitnaschen. Expert_innen, aber auch der Rechnungshof kritisierten diese Deals, bei denen das letztliche Risiko bei den Wiener Linien blieb. Darauf hin wurden sukzessive die Deals wieder rückgängig gemacht. Eine breite Debatte, warum eine Stadtverwaltung auf internationalen Finanzmärkten aktiv wurde und ohne Konsultation der Bevölkerung Gemeindeeigentum verscherbelt, fand aber auch damals nicht statt.
Geld fürs Museum
Viel gelernt scheinen die Wiener Linien nicht zu haben aus den dubiosen Geschäften der Vergangenheit. In einem soeben erschienenen Bericht des Rechnungshofes werden nämlich erneut Finanzgebarung, Mittelverwendung und mangelnde Kontrolle bei der Wiener U-Bahn moniert. In seinem Bericht lesen wir von «Umgehung der Vorschriften der Finanzverfassung» oder der Umwidmung von eigentlich für den Netzausbau gewidmeten Geldern für das Verkehrsmuseum. Der Bund, der die U-Bahn mit 78 Millionen jährlich mitfinanziert, hat darüber hinaus kaum Mitspracherecht über das verwendete Geld. Auch beim Ankauf der innerstädtischen E-Busse ortete der RH Unregelmäßigkeiten. Im Großen und Ganzen zeigt sich das übliche Bild: willkürliche Verwendung von Steuergeld, keine Mitsprache der Bevölkerung, kaum Kontrolle. Die SPÖ sollte sich also nicht wundern, wenn ihr die Wähler_innen in Scharen davonlaufen.
Wien ist bekannt für seine relativ gute öffentliche Verwaltung. Die Müllabfuhr funktioniert, es gibt kaum Stromausfälle, und auch der öffentliche Verkehr ist gut ausgebaut und zuverlässig. Das unterscheidet die Stadt von vielen anderen Metropolenregionen. Dies hat wohl auch mit der Stabilität und Kontinuität der führenden Regierungspartei zu tun – und mit der Tatsache, dass viele öffentliche Dienstleistungen nicht oder zumindest nicht so richtig privatisiert wurden. Die Schattenseiten sind mangelnde Transparenz in personellen und finanziellen Belangen, die «Verhaberung» mit den politischen Entscheidungsträgern, mangelnde Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bevölkerung sowie die Arroganz und Selbstgefällgkeit beim Einsatz von Steuergeldern. Seitdem die Grünen an der Stadtregierung beteiligt sind, fehlt auch die oppositionelle Kontrolle «von unten». Die real existierenden Oppositionsparteien weisen zwar auf real existierende Missstände hin, dies jedoch entweder, um damit politisches Kleingeld zu machen, oder um ihre eigenen noch neoliberaleren Gegenvorschläge zu lancieren. Ginge es nach FPÖ, ÖVP und den Neos, würden mehr oder weniger schnell die sozialen Dienstleistungen der Stadt privatisiert und somit dem «freien» Markt überlassen. Zu welchen sozialen Verheerungen das führt, ist aus anderen Ländern und Städten nur allzu gut bekannt. Darauf baut Bürgermeister Häupel gerne seine Argumentation auf, um Missstände, aber auch Gebührenerhöhungen kleinzureden, ganz unter dem Motto «Seid´s froh, dass es ist, wie es ist, auch wenn´s ein bisserl teurer ist. Die Alternative dazu ist Privatisierung, die Macht der Konzerne und somit die Verschlechterungen der Leistungen.» Geld für den Einbau der allgegenwärtigen Überwachungskameras scheint jedoch genug da zu sein, obwohl dies nachweislich nichts an der – ohnehin äußerst geringen – Kriminalitätsrate geändert hat …
Gegen das «realpolitische» Entweder-Oder
Mit diesem Entweder-Oder sollten wir uns allerdings nicht abspeisen lassen. Denn erst jenseits von realsozialdemokratischer Freunderlwirtschaft und dem ach so freien Markt liegt die Chance von echter Mitbestimmung, transparenter und demokratischer Mittelverwendung und mutiger Politik im 21. Jahrhundert: kostenloser öffentlicher Verkehr, ein Ende des allgegenwärtigen Überwachung und der Vertreibung «unerwünschter» Personen aus dem öffentlichen Raum, Experimente mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, Rücknahme und Demokratisierung der ausgegliederten Bereiche der Verwaltung, eine Wohnbauoffensive, die ihren Namen verdient. Es gäbe so viel zu tun – und es wäre auch umsetzbar in einer der reichsten Städte Europas. Allein, dazu bräuchte es eine wechselseitige Dynamik von sozialen Bewegungen und echter Oppositionspolitik in den Gremien der Stadt. Stellt euch das mal vor!