Musikarbeiter unterwegs … Funpunk, Liedermacherei, Hollerhof
Der jüngste Tonträger des Stimmgewitter Augustin: Eingespielt mit dem Duo Hirsch Fisch, ist er eine Hommage an Dietrich und Konrad Kittner. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto)
Der Hollerhof, sagt dessen Homepage (hollerhof.at), ist das südöstlichste Anwesen Österreichs. Er befindet sich in Radkersburg in der Steiermark, betrieben von einer Stiftung, die der kulturellen Förderung und der Bewahrung des Lebenswerks von Dietrich und Christel Kittner gewidmet ist. Deren Vorsitzender, Ernest Kaltenegger, auch als Grazer KPÖ-Politiker bekannt, lud das Stimmgewitter Augustin auf den Hollerhof zur Umsetzung eines Projekts im Sinne der Widmung der Stiftung ein. Von jeher dem kooperierenden Arbeiten verpflichtet, zog das Stimmgewitter (Ernst, Hömal, Maria, Mario, Martin, Rikki: Stimme) das Duo Hirsch Fisch, Norbert Trummer (Ukulele) und Johnny Schwimmer aka Klaus Tschabitzer (Dobro, Gitarre) sowie Thomas Pronai als Tonmeister und Produzent hinzu. Bei den Aufnahmen, die im August 2018 im Hollerhof stattfanden («vorherrschender Eindruck: Natur und Ruhe», noch einmal die Homepage) setzte sich dieser bei einem Lied auch ans Klavier.
Das Herz eines Boxers. Dietrich Kittner, dessen Werkzeuge «die Sprache und das Lachen» waren, spulte zu Lebzeiten mit Unterstützung von Christel ein ungeheures Pensum als klar links positionierter Satiriker, Kabarettist und Liedermacher ab. Von zwischen jeweils 190 bis 220 Auftritten pro Jahr in den Jahren 1966 bis 1996 ist zu lesen, meist in seinem Geburtsland Deutschland. Kittner lebte seit 1990/91 in seiner österreichischen Wahlheimat nahe Bad Radkersburg, wo er 2013 verstorben ist, seine Frau Christel verließ den Planeten 2014. Jetzt hat Kittners umfangreiches Werk – er spielte 30 Soloprogramme – sicher einiges zu bieten, ein Albumtitel wie Sehr geehrte Drecksau klingt schon oberflächlich vielversprechend, noch näher fühlte sich der neu zusammengekommene Hollerhofer Kreativverband dem Werk Konrad Kittners, Sohn von Christel und Dietrich, der mit der Band Abstürzende Brieftauben und deren Funpunk große Erfolge feierte. Konrad, der 2006, 44-jährig mit Herzversagen aus dem Leben schied, und sein Partner Mirco Bogumil brachten als Duo Alben wie Im Zeichen des Blöden (1990) oder Der Letzte macht die Tür zu (1991) bis in die deutschen Albumcharts (Bogumil belebte die Band 2013 wieder). Jetzt ist Funpunk keine unproblematische Musik, weil das ständige Lustig!-Diktat schon ordentlich nerven kann, samt der Anmutung, es mit den Liedern sich dumm stellender Kinder zu tun zu haben, andererseits (dem Autor sind der Toten Hosen Opel Gang oder Was´n hier los von Die Mimmi´s nachdrücklich verinnerlicht) schließt das nicht aus, das im Genre doch schöne Lieder zu finden sind. Die Wahl fiel auf Ede vom Hinterhof (der «sehr viel alleine ist» und ausgelacht wird), Text und Musik von Konrad Kittner, sowie Das Herz eines Boxers, von den Brieftauben selbst gecovert, im Original in den 1930ern unter anderem von Max Schmeling eingesungen. Ein Hirsch-Fisch-Original komplettiert den kleinen Liederreigen.
Der Dinosaurier. Hirsch Fisch, Stimmgewitter und die Brieftauben teilen eine (gebrochene, schräge) Schlageraffinität, was einen grundsätzlichen und notwendigen Zugang zum Material erlaubte, das wir jetzt auf der CD zu hören bekommen. Die lakonischen musikalischen Humanisten von Hirsch Fisch und jener Chor, der noch mehr mit den Herzen als mit den Stimmen zu singen scheint (jenes und jene des unlängst verstorbenen Martin Österreicher sind dabei letztmals zu hören), das Stimmgewitter, wirken dabei wenigstens so traumhaft zusammen wie zuletzt das Stimmgewitter mit dem Kollegium Kalksburg, wobei das Ergebnis künstlerisch natürlich anders ist. Vielstimmigkeit ist hier vielleicht nicht im streng musikalischen Sinne zu hören, aber Ede, der Boxer und sogar der Dinosaurier werden zu Liedern, die uns davon hören lassen, was wir alles so durchmachen, wir Menschlein, und wie wir versuchen, uns und unsere Würde dabei zu behaupten oder zu erringen, ob im Hinterhof, im Boxring oder in einer Natur, in einer Umgebung, für die wir – und sie für uns – eigentlich nicht wirklich gemacht sind. Was wiederum nicht schlecht zu Dietrich Kittner passt. Dessen Kunst handelte wohl ziemlich genau davon und vom politischen Kampf darum. Am Grabstein der Familie Kittner, von Christel, Dietrich und Konrad, ist ein roter Stern zu sehen. Als ich das im Zuge der Recherche für diesen Artikel gesehen habe, hat es mich seltsam berührt, traurig und tröstlich zugleich. Vielleicht sollten wieder mehr rote Sterne leuchten, und wir (wir!) rennen in ihrem Licht raus aus dem Hinterhof, steigen aus dem Boxring und überrennen mit Sauriern an unserer Seite die Paläste der Geschissenheit. Und schau, da oben fliegt ein Tauberl!
Stimmgewitter Augustin & Hirsch Fisch singen Taubenlieder und treffen einen Dinosaurier
CD, Lili Records
Livepräsentation: 30. 4., Weinhaus Sittl
www.stimmgewitter.org
www.schwimmer.at