Musikarbeiter unterwegs … Hernals, Währinger Park, Los Angeles
Als Bruch veröffentlichte der Wahlwiener Philipp Hanich das Album The Fool und eine Single, beide phantastisch. Fettkakao, Label der 7“, beglückt uns dazu mit den Cliquey Bitches aus L. A., notwendige internationale Perspektive.
Text: Rainer Krispel
Foto: Mario Lang
Bei der Übergabe der LP erzählte Bruch, der unter richtigem Namen als Maler künstlerisch arbeitet, von der «höflichen Stimmung» bei seiner Albumpräsentation, die unter Coronabedingungen Ende Oktober im Fluc gerade noch stattfand. Zur immer unwirklicheren Wirklichkeit dieser Tage passt es, dass die Musikarbeiter, als sie Philipp zwecks weiterem Informationsaustausch und Lichtbild vor dessen Atelier im 17. Bezirk treffen, auf der anderen Straßenseite einen Menschen in voller Gesundheitsschutz-Montur aus einem Krankenwagen klettern sehen – Corona live!
Lass uns diesen Dreck ausschwitzen. Effizient eingesetzte elektronische Musikmittel (gestartet ist Philipp in Munich als Hip-Hopper), großes Gefühl für den Zauber der Wiederholung und einfacher Tonfolgen, seine Stimme und famose englische Lyrics – so schafft Bruch auf The Fool eine ungleich anziehendere Unwirklichkeit. Als genau richtig gefüllte, verführerische Psycho-Jukebox verlocken die zwölf Songs zum Eintauchen und Verharren in eine schräge, verblüffend erkenntnisreiche Welt, in der die richtigen Fragen gestellt werden – «This is real? Is it real? Is it really real?» (Fool The Fool) – und sich weiterführende Antworten und Feststellungen häufen. Wie «I’ll die in the arms of a lover or I won’t die» (Let’s Sweat The Crap Out), oder «So we ate the big boys and we drank the priest» (Big Boys). Obacht! Gefahren und Drohungen schlafen nie: «Come on over here … and I’ll show you what my name means» (Bruch). Als eben dieser Bruch setzt der angenehme Zeitgenosse Philipp Hanich, geboren 1980 in München, seit 2010 einen schon ein wenig durchgeknallten, edgy Prediger mit Alan-Vega-Faible frei, der uns, weil er eben keinen bullshit preached und auch die eigenen Brüche (sic!) ausweidet, zwingend auf seine Seite zieht – «it used to be individual to be individual» (Individual). Ich will dein Brüchiger sein! Was (nicht nur) live eine Wucht ist. Schade, dass solche Elektro-Predigten vor Gemeinde bis 2021 warten müssen. Als selbstständiger Künstler, der unter anderem mit Anna Pühringer das Label Cut Surface betreibt, geht es Hanich derzeit fast verblüffend gut. Durch diverse Fonds sind knapp 1.000 Euro fix im Monat da, das ewige MultiGeldAuftreibTasking fällt weg, «auf einmal fängst du an, freier zu denken!»
Reckless Border Ignoring. Beim Rundendrehen – sich austauschendes Gehen wird ein Hort der Subversion! – mit Andi Dvorak von Fettkakao im Währinger Park wünschen wir uns übereinstimmend weniger (geistige, selbstgenügsame) Enge im hiesigen Musikbetrieb. Die Andi seit 15 Jahren (!) mit seinem Label ohnehin aufweitet, wo und wie es nur geht. Aktuell hat er am Tag vor unserem Spaziergang bei Austro Vinyl in der Steiermark die Scorpio Scorpio-EP – rosa Vinyl, yeah, Pinksters ’n’ Punksters of all Genders – von Cliquey Bitches abgeholt. Ist die Bruch-Single mit wunderbarem Adverts-Cover (vom Cast Of Thousands-Album der Punk Londoner) ein treffendes Argument für konzentrierte Tonträger, die Singles-Liebhaber Dvorak favorisiert, fackeln auch diese sechs Songs der «punky-pop Supergroup» von Alice Bag, Allison Wolfe und Seth Bogart nicht lange. All killer no filler, wie das im Musiksprech so schön heißt. Erstaunlich, dass sich für diese Aufnahmen aus dem Jahr 2018 in den USA kein Label fand, zumal alle drei Protagonist_innen einiges am Laufen haben und hatten. Alice Bag, Jahrgang 1958, ist als Sängerin der Bags eine feministische US-Punk/Hardcore-Ikone und hat erst im April ein Solo-Album veröffentlicht, Wolfe sorgte mit Bratmobile und dem Ladyfest immer wieder für queer-feministische Musik-Ausrufezeichen, Bogart ist als multidisziplinärer Künstler von subversiver Kreativität. Was dieses Trio gemeinsam macht, strotzt vor tanzbarer Energie, mit New Wave Spirit in später 2010er-Auslegung. Zu sagen/singen haben Cilquey Bitches genug, mit Dude, No üben sie lustvolle Kulturkritik: «I can’t believe what I heard: A thousand white boys lined up for that shit.» Hitplatte, listen globally, dance locally!
Bruch: The Fool
(Cut Surface / Trost)
Kohlhaas / I Surrender
7“-Single (Fettkakao)
cutsurface.com/artists/bruch
Cliquey Bitches: The Scorpio, Scorpio, EP (Fettkakao)
fettkakao.com/artists/cliquey-bitches