Aus der KulturPASSage
Im Wien Museum am Karlsplatz sind derzeit in einer Sonderausstellung zum 40-jährigen Jubiläum des «Falter» Fotografien und alte Artikel aus den Archiven der bekannten und nicht mit dem Augustin verwandten, verschwägerten o. Ä. Stadtzeitung für alternative und widerständige Berichterstattung und Programm zu sehen.
Foto: Christian Fischer/Falter-Archiv
Als Autor wurde Hermes Phettberg vom «Falter» entdeckt. Dort beliefert er seit vielen Jahren den «Predigtdienst», beim Augustin steuert er seine «Fisimatenten» bei (S. 4). Auf dem Foto sehen wir ihn bei einer Aktion 1994
Wobei der «Falter» mittlerweile etwas gezähmt wurde. Die Idee, die Geschichte des «Falters» aus der Perspektive der Fotograf_innen darzustellen, kam von Chefredakteur Florian Klenk. Die Entstehung der Ausstellung wurde durch akuten Platzmangel im Sitzungszimmer der Redaktion und der damit verbundenen drohenden Auflösung des Archivs der analogen Fotos begünstigt.
Entstanden ist die Idee des «Falters» etwa zur Zeit der Arena-Besetzung in Wien (1976). Die damals herausgegebene Arena-Stadtzeitung inspirierte, jedoch wollten die Mitwirkenden keine Parallelkultur gründen, sondern die bestehende Kultur aus einer anderen Perspektive betrachten und gängige Klischees brechen. Das erreichten sie unter anderem durch eine fotografische Gegenbewegung zur üblichen Pressefotografie. Ende 1977 erschien die erste «Falter»-Ausgabe. Die Redaktion wurde als Kollektiv geführt und rief bereits in der ersten Ausgabe die Leser_innen zur aktiven Mitarbeit auf. Ab 1987 erschien der «Falter» wöchentlich und wurde über die Jahre immer professioneller, jedoch passte er sich nicht komplett an die Konkurrenz an und hat sich immer noch etwas Eigenständiges bewahrt.
Die Fotograf_innen des «Falter» waren relativ autark unterwegs, und daher gibt es ganz unterschiedliche Fotos, die auch ohne Artikel wirken, was die Ausstellung auch für Nicht-«Falter»-Leser_innen interessant macht. Am Anfang steht man vor einer Wand aus mehr oder weniger bekannten Lebewesen. Ich mochte die Taube «Walter» sehr gerne, die für den Artikel «Wer Tauben füttert, wird Scheiße ernten» 1998 posierte, und das Foto von Josef Dvorak, dem Tiefenpsychologen und Satanismusexperten 1989, für den Artikel «Satan kehrt zurück». Das FPÖ-Wahlplakat von 1996 mit der Aufschrift «Wien darf nicht Chicago werden!» gehört auch zu meinen Favoriten, denn es zeigt deutlich, wie sehr sich die Partei im Lauf der Jahre entwickelt hat, und lässt auf eine immense «Kreativität» bei der Wahl der Slogans schließen.
Zwischen Ziegenherden auf der Simmeringer Heide aus der Serie «Wien peripher» 94/95, diversen Demonstrationsfotos, Stadt- sowie Menschenansichten und noch mehr Berühmtheiten führt der Weg zu Sitzgelegenheiten, bei denen alte «Falter»-Ausgaben auf Zeitungsständern zum Selbststudium einladen. Relativ mittig platziert befindet sich ein Glasschautisch, der die Geschichte des «Falters» grob umschreibt, dort hat mich besonders Bundespräsident Klestil mit verschiedenen Frisuren-Variationen amüsiert (1992). Filmisch wird auch was geboten, nämlich «Falter»-Werbespots aus dem Kino 1990–98 und die Entwicklung des «Falters».
Eine sehr gelungene, wenn auch kleine Ausstellung mit wirkungsvollen Fotos. Mir ist die detaillierte Hintergrund-Information abgegangen, die man allerdings mit dem Begleitbuch zur Ausstellung, das vom Falter Verlag herausgegeben wurde, käuflich erwerben konnte. Ob das nun Absicht war oder nicht, sei dahingestellt. Es war jedenfalls mit fast 35 Euro das teuerste Begleitbuch, das ich bis jetzt gesehen habe, obwohl man fairerweise erwähnen muss, dass es kein Katalog, sondern eine gute Ergänzung zur Ausstellung ist und ich, zu meiner Schande, dem Konsumteufel erlag. Wenn ich auch vorhabe, das Buch zu teilen, es also wieder zu rekollektivieren. Also nach 40 Jahren doch auch dem schnöden Mammon in Teilen verfallen, der «Falter». Vermutlich hätte er sonst aber auch keine 40 Jahre überlebt, wo andere Falter nur Tage leben.
INFO
Es lebe der Widerspruch! Fotos aus dem Falter-Archiv
Bis 27. 8.
Wien Museum, 1., Karlsplatz 8