Grace Marta Latigo, Autorin, Performance-Künstlerin und Augustin-Kolumnistin, lebt seit 42 Jahren in Österreich. Als Menschenrechtsaktivistin und NR-Wahlen-Ausgeschlossene blickt sie auf vier Jahrzehnte strukturellen Rassismus zurück.
Ich bin wütend. Ich bin auf diese Wahlen echt sauer. Die Wahrheit ist brutal: 40 Jahre andauernde Verleumdungspolitik gegen Migrant:innen jeder Generation. Wir hatten nie eine reale Chance, Teil des Ganzen zu werden.
Meine ersten Erfahrungen in Projektarbeit hatte ich 1991 in einem Jugendzentrum. Das ganze Team war unglaublich progressiv und antirassistisch, wenn ich es mit dem, was heute los ist, vergleichen darf. Das Engagement war authentisch, wir waren sehr idealistisch. Je erfolgreicher wir in unserer Arbeit aber waren, desto weniger Geld erhielten wir, bis gar keines. Die Grenzen des veralteten Jugendarbeit-Systems waren ärger als die Berliner Mauer. Also gründete ich zusammen mit einer anderen Schwarzen Frau den Verein «Allround International – Kultur gemischt», um außerhalb des Systems agieren zu können. Das Ziel: durch Kultur Pädagogik entkriminalisieren und professionalisieren. Eine Lawine ging los. Wir wurden – ohne es zu ahnen oder zu wollen – zu einem Konkurrenzprojekt. Es wurde dreckig, sehr dreckig. Wir sind verleumdet worden. Das Projekt wurde vier Jahre hintereinander bei Förderungen abgelehnt.
Anfang der 1990er wurden die Aufenthaltsgesetze geändert und allein in Wien ca. 10.000 hier lebende Menschen illegalisiert. Meine Familie war davon betroffen. Ich erlebte zum ersten Mal in einem Gericht den Unterschied zwischen inländisch und migrantisch. Wir, «Allround International – Kultur gemischt» und die Jugendzeitschrift Echo, haben unermüdlich versucht, mit der Stadt Wien über neue Strukturen in der Jugendarbeit mit Migrant:innen zu verhandeln. Abgelehnt. Schon damals warnten wir vor einer Ghettoisierungspolitik. Keine Reaktion. Ich war damals «papierlos», in meinem Pass ein fetter Stempel: «Unerwünscht». Kein Schmäh! Es hat mich nicht daran gehindert, mein Engagement auszubauen.
Ich ging «ins Exil» nach Linz. Dort unterstützte ich den ugandischen Verein United Culture of Africa (UCA) in der Projektarbeit. So konnte ich zum ersten Mal die von der Caritas unterstützten Flüchtlingsheime inspizieren. Eine Schande! 10-Quadratmeter-Zimmer mit vier Betten, pro Schlafplatz 2.000 Schilling (145,35 Euro; an heute inflationsangepasst wären das 269,81 Euro). Wer das Geld dafür nicht hatte, landete auf der Straße. Ich stellte die christliche Nächstenliebe infrage.
Die Menschen waren da, und es erwartete sie zukunftstechnisch: nichts! Dem wollten wir entgegenwirken. Es wurden uns erste antirassistische Veranstaltungen genehmigt. Maiz und andere NGOs für Migrant:innen wurden gegründet und damit wehte ein neuer Wind mit einer unglaublich starken migrantischen Frauenpower, die so ziemlich jede Rathaus-Etage durcheinandergewirbelt hat. Es bewegte sich was. Und nicht zu vergessen: das Lichtermeer!
Vieles schien in die richtige Richtung zu gehen. Bis zum Mord an Marcus Omofuma 1999 und Antritt der schwarz-blauen Regierung. Viele bekamen Überlebenspanik, der Kampf um Ressourcen wurde eröffnet, die migrantischen Anliegen nach hinten verschoben. Ich weiß nicht, wie aus unseren österreichischen Unterstützer:innen plötzlich unsere Chef:innen wurden. Ich glaube, nachdem es Geld gab. Wir machten weiter, die Subventionen gingen an neu gegründete österreichische Organisationen, denen wir als Statist:innen dienten. Ich nicht.
In dieser extrem aufregenden Zeit waren wir Hunderttausende bei antirassistischen Demonstrationen gegen Schwarz-Blau, Rassismus wurde sichtbar und viele sprachen darüber. Es war dringend. Verändert haben wir jedoch wenig. Wir Afrikaner:innen wurden mit dem größten Vorurteil konfrontiert: «Alles Drogendealer». Wir wurden verleumdet, gejagt, in der Öffentlichkeit ausgezogen und nach Drogen durchsucht, zerschlagen.
Nach meiner Rückkehr aus Oberösterreich kämpfte ich erfolgreich um mein Visum. Sehr performativ. Ich fokussierte meine Arbeit auf Antirassismus und Frauen. Mädchenhandel war meine schwerste und schmerzhafteste Arbeitserfahrung. Und noch immer keine Strukturen in der Arbeit mit Migrantinnen. Der politische Umgang mit Frauen und Kindern auf der Flucht war – und ist – brutal. Wir machten staatliche Stellen darauf aufmerksam, dass wir mehr Therapeut:innen brauchen für Menschen, die vor Krieg fliehen und unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Die Antwort: Nein! Das war vor 20 Jahren. Gleichzeitig wurden Gelder für idiotische Integrationsarbeit ausgegeben.
Es passierte sehr viel und nichts. Migration wurde zunehmend zum «Unternehmen Migration». In einem Manifest ersuchten wir die österreichischen Kolleg:innen, die Arbeit uns zu überlassen. Nein. Trotz alledem machten wir uns weiterhin bemerkbar. 2010: erster Transnationaler Migrant_innen-Streiktag. Der Ruf nach Strukturänderung wurde lauter, Demos zu Normalität und Quotenmigrant:in ein Trend. 2015: die neue sogenannte «Flüchtingswelle». Der Rest ist Geschichte.
Ich bin Grace Marta Latigo, ich liebe Wien, mein zweiter Nachname ist «Abgelehnt». Jemand sagte mir einmal: Wenn du Demokratie willst, musst du Demokratie wählen. Ich darf nach 42 Jahren nicht wählen. Menschin dritter Klasse.