Es reicht nicht, die Macht zu kritisierenArtistin

Schuberths Roman-Debüt «Chronik einer fröhlichen Verschwörung»

Ein siebzigjähriger Gesellschaftskritiker lernt im Zugabteil ein siebzehnjähriges Mädchen kennen. Eine ungewöhnliche Freundschaft entwickelt sich. Der Alte weiht die Junge in seinen Plan ein, den voraussehbaren Erfolg eines kommenden Erfolgschriftstellers zu vereiteln. Robert Sommer über Richard Schuberths Roman-Erstling «Chronik einer fröhlichen Verschwörung».

Alles muss getan werden, dass der Jungliterat das Buch über die KZ-Überlebende Klara Sonnenschein nicht schreibt – das Buch über die Geliebte des Philosophen. Der Alte gewinnt das Mädchen für seine Verschwörung gegen den Literaten. Aber der Alte ist, wie alle Romanfiguren, machtlos gegen seinen Erfinder, Autor Schuberth. Dieser unternimmt, was seine erfundene Person verhindern will: Er lässt Klara selbst ausführlich zu Wort kommen.

Spannende Geschichten mit überraschendem Ende finden sich oft in Büchern, denen es an Gedanken mangelt. Wer süchtig nach Gedanken ist, mag sich angewöhnt haben, das Narrativ zu missachten, weil das nur ablenkt von den Ideen, die in einem Buch sprießen. Die «Chronik einer fröhlichen Verschwörung» lädt ein, in beides einzutauchen: in die Handlung – und in die Haltungen der Handelnden.

Die Freund_innen guter Gedanken, der originellen Sprache und des zu einem Höhepunkt tendierenden roten Fadens, also die drei Haupttypen von Lesenden, werden mit diesem Buch gleichermaßen bedient. Schuberths Hauptpersonen sind derart beladen mit seinen – von früheren Augustin-, Standard- und anderen Essays her bekannten – Ideen, dass man sie zunächst gar nicht für fähig hält, eine elektrisierende Geschichte zu konstituieren.

Ich verhalte mich ungerecht zur Romanhandlung, indem ich mich begnüge, sie in der Einleitung in ein paar Sätzen zusammenzufassen, obwohl sie einigermaßen dramatisch verläuft und die Lesenden sogar dazu bringt, Sympathien, die sie in der ersten Hälfte mit gewissen Protagonist_innen (Ernö Katz und seiner jungen Freundin Biggy) hatten, zu verwerfen und jenen Figuren, die vermeintlich nur verlogen und publicitysüchtig waren, am Schluss Beifall zu zollen (z. B. dem literarischen Jungstar René Mackensen). Ich will mich auch nicht mit der Ästhetik des Romans auseinandersetzen; dass Schuberth ein Meister der Sprache ist, fällt sowieso gleich auf, zum Beispiel, wenn er «Mundgeruch» definiert: morgendlicher Moderdunst, der sich zumeist schon nach dem ersten Jahr einer festen Zweierbeziehung übers gemeinsame Bett breitet und gespenstisch von deren Ende kündet.

Ich will vom Meister der Sprache wissen, ob aus seiner Sicht in der Handlung selbst, die zu einem überraschenden Ende gelangt, eine Idee steckt oder ob der «Krimi» nur dem Zweck dient, die versammelten Gedanken zu transportieren. Ich, der ich auf Handlungen nicht heiß bin, nehme Ernö und die anderen als Sprechblasenbläser wahr, und die Sprechblasen sind voll mit Kurzfassungen von Schuberths Essays. Ich liebe kluge Sprechblasen mehr als lebendige Figuren. Eine Mega-Sprechblase, aus dem Kopf der geheimnisvollsten Figur des Romans (Klara Sonnenschein), enthält das wichtigste Manifest des Werkes. Es tritt in Form eines Briefs der früheren Geliebten des Professors auf, ihren Selbstmord ankündigend. Aber dazu weiter unten.

Richard Schuberth zum Zusammenhang zwischen Erzählung und Haltung: «Ich habe lange Zeit narrative Romane, die ich als Jugendlicher geliebt habe, missachtet. Mich interessierten zunehmend Gedanken. Und zunächst auch Sprachexperimente. Auch treffende Beschreibungen. Für gute Narrative gibt’s ja den Film. Jetzt sehe ich das als Affirmative Action. Der Markt boxt ein literarisches Artensterben durch: nur noch knappe Sätze und nachvollziehbare Handlungen. Aus diesem Grund gehört reflexive Prosa gefördert.»

Dennoch habe er seine Meinung geändert: «Eine gut komponierte Handlung hat schon einen großen künstlerischen Wert und ist der bloßen Kolportage von Haltungen und Reflexionen überlegen. Schon allein der Bewegung wegen. Eine Handlung bietet nicht nur die Möglichkeit, die Gedanken in der Praxis zu beobachten, sondern sie wachsen zu sehen. Sie bleiben somit keine fertigen Statements, sondern sind in ständiger Veränderung begriffen, werden angefochten, ausgehandelt, überwunden, neu formuliert, in neue Kontexte gestellt. Und das auch unabhängig von den Handlungsträgern, denn ich glaube, in meinem Roman führen sie auch ein Eigenleben, wie Geister und Feenwesen, wie Nestroys gute Fee Fortuna und der böse Geist Lumpazivagabundus beobachten sie das Geschehen, greifen ein und necken es. Nur dass sie bei mir ständig die Rollen tauschen.»

Das Testament


Die Handlung sei also auch, aber nicht nur, Vehikel für die essayistischen Ambitionen. «Natürlich war auch ein didaktischer Anspruch dabei. Menschen lustvoll ins kritische Denken hineinzuverführen, das aber nicht auktorial von oben herab kommt, sondern sich selbst reflektiert und immer wieder auch gehörig auf die Schnauze fällt. Es handelt sich ja nicht um einen Krimi, Plot wäre der richtige Begriff. Weil die Verschwörung verläuft ja irgendeinmal im Sande, da Biggy die Seiten zu wechseln droht – vom alternden Achtundsechziger dem Schein nach zum Erfolgsliteraten, letztlich aber zur wahren Hauptfigur – der Feministin und Femme fatale Klara Sonnenschein.»

Zum oben erwähnten Abschiedsbrief: Ich habe diese paar Buchseiten, das Testament der Klara Sonnenschein, zur inhaltlich und formal gelungensten Passage erkoren. Hauptgedanke: Es genüge nicht, die Macht zu kritisieren oder, wie Marx anregte, gegen die Verhältnisse zu kämpfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, verächtliches Wesen sei. Ihr Vater habe sie gelehrt, «die Dinge nicht zu unterscheiden, um sie zu beherrschen und zu katalogisieren, sondern um jedem einzelnen das Recht seiner Besonderheit beizumessen (…) Jedes Benennen ist in seinem Ursprung Herrschaft über das Benannte.»

Diese Überlegungen ermuntern auch zur Tugend, Schubkastendenken und Kategorisierungen stets zu hinterfragen; weil neben der uns eingetrichterten Ordnung der Dinge können ganz andere Ordnungen gültig sein. Der Kaiser von China soll – das fand ich nicht bei Schuberth, sondern bei Alberto Manguel – folgende Kategorien von Biografien über berühmte Menschen festgelegt haben: weise Männer, Sklaven, Lebemänner, Tyrannen, Ärzte, Kalligraphen, übernatürliche Wesen, große Trinker, bedeutende Bogenschützen, Witwen und Witwer, die sich nicht wieder verheiraten, sonstige. Wie riskant dagegen die bekannte Einteilung der Gesellschaft in Prekariat, Proletariat, Kleinbourgeoisie, Großbourgeoisie, Adel und dergleichen. Kropotkin und Bakunin hätten hier keinen Platz – so desinformierend können Identitäten sein.

Der Kampf gegen das Prinzip der Identität zieht sich durch das gesamte Schaffen Schuberths. Die sogenannte österreichische Identität hatte er schon in seinem Dramolett «Sevgi & Turgut» auf die Schaufel genommen:

SEVGI: Und was, Papa, sind die kulturellen Unterschiede zwischen uns Çiçeks und dem Czischek von der Siebenerstiegen?

TURGUT: Na zum Beispiel … (denkt angestrengt nach) … na zum Beispiel wissen wir nicht, in welcher Richtung Mekka liegt, und er nicht, an welchem Tag die Glocken nach Rom fliegen.

SEVGI: Heißt das, dass wir richtige Österreicher werden, wenn wir aufhören, nicht mehr zu wissen, in welcher Richtung Mekka liegt, und dafür lernen, nicht zu wissen, an welchem Tag die Glocken nach Rom fliegen?

TURGUT: Ich glaub schon. Aber du vereinfachst alles. Bei der österreichischen Kultur geht es schon um mehr, gel? Das ist so kompliziert, dass es die oft selbst nicht wissen. Ja? Uralte Volkskultur, das lernt unsereiner in fünf Generationen nicht.

SEVGI: Zum Beispiel?

TURGUT: Jodeln, übern Durst trinken, alte Leute ins Altersheim stecken, der Life Ball und der Feminismus.

Etwas, das es nicht gibt, kann ohne Zweifel aus Gründen der revolutionären Polemik konstruiert werden. Obwohl er Nationalcharaktere selbst als Negativstereotypen stets ad absurdum führt, lässt auch Richard Schuberth sich gelegentlich zur Beschreibung «typischer Österreicher» herab, deren Charaktermerkmale so dahinfantasiert gar nicht sind. Im Roman lesen wir die Fortsetzung von Turguts Liste der rotweißroten Essentials. Wir lesen, dass es sich bei den Ösis um Wesen handelt, die ihr «Mittäter- und Wegschauerdrecksleben mit Kreuzworträtseln, Fernsehen und Nachbarnausrichten» ausfüllen. Dabei gäbe es so unterhaltsame Verschwörungsromane …

Richard Schuberth: Chronik einer fröhlichen Verschwörung

Zsolnay 2015, 480 Seiten, 23,60 Euro

Lesung: Montag, 11. Mai, 19.30 Uhr

RadioCafé im RadioKulturhaus

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