In der Wiener Secession kam es zu falschen Stundenabrechnungen für geringfügig angestellte Mitarbeiter_innen. Die Basisgewerkschaft «Wiener ArbeiterInnen-Syndikat» rief einen Arbeitskampf aus. Es geht auch um strukturelle Probleme.
TEXT: Magdalena Mayer
FOTO: Michael Bigus
Lea* ist von den letzten Wochen erschöpft. «Der Arbeitskampf ist zeitraubend. Ich habe in diesem Semester kaum studiert», erzählt sie. Trotzdem ist sie zwischen dem Kunststudium und ihrem neuen Job zu einem Gespräch mit dem Augustin über die arbeitsrechtliche Situation in der Secession geeilt. An Leas mittlerweile beendetem Anstellungsverhältnis bei der Trägerin des Ausstellungshauses, der Vereinigung bildender KünstlerInnen Wiener Secession, ist Kritik laut geworden. Auch die anderen geringfügig Beschäftigten aus dem Bereich Kassa-Aufsicht-Shop, in dem sie gearbeitet hat, sind betroffen. Die meisten sind wie sie Studierende, künstlerisch tätig und auf einen sicheren Nebenjob angewiesen. Doch in der Corona-Krise hätten Probleme der Anstellung, die sich vorher schon abgezeichnet hatten, zu einer Misere geführt, schildert Lea. Das Hauptproblem: Waren die Ausstellungsräume im Lockdown geschlossen oder nur halbtags offen, so musste man Minusstunden schreiben und diese später nacharbeiten. Vor allem deshalb hat Lea mit Dezember gekündigt.
Stockende Verhandlung. Bereits zu Beginn des vorigen Jahres hätten die Geringfügigen angefangen, untereinander mehr über ihre Arbeitssituation zu sprechen. Ein Auslöser sei die Stundenkürzung von einem ehemaligen Kollegen gewesen, meint Lea: Er war während eines Lockdowns neu ins Team gekommen und hatte daher von Anfang an Minusstunden geschrieben. Auf Anraten der Geschäftsführung reduzierte er einvernehmlich auf acht Stunden im Monat, bei sonst üblichen 43 Stunden Berechnungsgrundlage. Später kündigte er, der Unmut über dieses Vorgehen blieb. Auch Lea und einer Kollegin sei die Reduktion nahegelegt worden. Gleichzeitig sei es – auch weiterhin, trotz verringertem Stundenausmaß – normal gewesen, Vertretungsdienste zu übernehmen und dafür wiederum Mehrstunden zu machen. Sie und die anderen ahnten, dass nicht alles rechtens ist, und organisierten sich mit der unabhängigen Basisgewerkschaft Wiener ArbeiterInnen-Syndikat, kurz WAS. Im Plenum tauschte man sich über das juristische Rahmenwerk aus. «Minusstunden darf man nur dann schreiben, wenn man seine Arbeitskraft mit Absicht nicht anbietet», kann WAS-Mitglied Lea heute sagen. Zentral dafür ist §1155 aus dem Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch: Auch für Dienstleistungen, die nicht zustande gekommen sind, gebührt dem/der Dienstnehmer_in das Entgelt.
Im Oktober 2021 schrieb das Syndikat eine Auflistung von arbeitsrechtlichen Missständen an die Secession, der Arbeitskampf war verkündet: Darunter die falsche Stundenabrechnung, unrechtmäßig für Lockdowns abgebaute Urlaube und Zeitguthaben – mehr, als laut Corona-Maßnahmengesetz erlaubt war – sowie die unterbliebene Auszahlung von Mehrarbeit.
Die Chronologie der Ereignisse auf der Homepage des Syndikats bietet viel Lesestoff. Bei Gesprächsterminen seien Zusagen gemacht und wieder gebrochen, weiter falsche Berechnungen ausgeschickt worden. Daher rief das WAS im November zur Protestkundgebung, bei der man vor der Secession als ironische Geste ein Transparent mit einem Zitat hochhielt: «Es gibt keinen Arbeitskampf.»
Kein Einzelfall.
Mit diesem Zitat hatte die Geschäftsführerin der Secession, Annette Südbeck, zuvor in einer Aussendung Vorwürfe teilweise zurückgewiesen. Bizarr, konterte das WAS. Bei einer mit Fördermittel unterstützen Institution, insbesondere einem etablierten Ort politischer Gegenwartskunst, sei es eine Frage der Prioritäten, Mitarbeiter_innen angemessen einzustellen und zu bezahlen. Auch in Leas Augen zeigt ihr Arbeitskampf ein strukturelles Problem auf. Etwa zu wenige und falsche, nämlich zu viele geringfügige, Anstellungsverhältnisse. «Das ist kein Einzelfall im Kulturbetrieb», weiß sie aus eigener Erfahrung und von anderen Stellen, die wegen hoher Fluktuation und Flexibilität eben oft geringfügig sind. Aber einfach geringfügig Beschäftigte sind in der Pandemie weder in das Kurzarbeit-Modell noch in den Härtefallfonds einbezogen. Ein Umstand, der bereits 2020 Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl dazu veranlasste, generell auf Absicherungsmaßnahmen für sie zu drängen. «Eine Lösung für diese Personengruppe fehlt bis heute in allen Maßnahmenpaketen völlig», bekräftigt Caroline Krammer von der Arbeiterkammer auf Nachfrage.
Secessions-Geschäftsführerin Annette Südbeck arbeitet seit 2014 in ihrer Position, vor 20 Jahren startete sie selbst an der Kassa. Ihre Geschäftspolitik betrifft ein kleines Team von 31 Angestellten. Von zuvor sechs geringfügig Angestellten im Publikumsdienst kündigte 2021 auch eine dritte. Eigentlich habe sie alle halten wollen. «Die Bereitschaft, einen Arbeitgeber bei laufenden Gesprächen in dieser Form öffentlich zu diskreditieren, finde ich befremdlich», sagt sie über das Wirken des Syndikats. Grundsätzlich stimmt sie zu, dass der Kunst- und Kulturbereich nicht gut finanziert und bezahlt ist. Ein enormes Gehaltsgefälle wie andernorts gäbe es aber in der Secession nicht. Im Budget unterscheidet sie sich dadurch von anderen Häusern, dass Förderbeiträge von Stadt und Bund (dazu kommen private Sponsor_innen) nur ein Drittel ausmachen – den Rest erwirtschaftet man selbst, davon rund die Hälfte mit Eintrittsgeldern und im Shop. Während der Pandemie blieben Besucher_innenströme aus, was einen Spendenaufruf erforderte. «Dank des Unterstützungsfonds für Non-Profit-Organisationen sind wir noch hier.» Ständig seien neue Vorgaben und Präventionskonzepte zu bewältigen gewesen, rekapituliert sie und räumt ein: «Es sind Fehler gemacht worden, zu denen stehe ich, und die beheben wir. Wir haben immer gesagt, wir zahlen alle bestehenden Ansprüche aus.» Damit bezieht sich Südbeck auf Fehler bei der Stundenverrechnung und übersehene Durchrechnungszeiträume.
Bessere Kommunikation.
Sie hätte sich interne Lösungsgespräche unter Einbeziehen des Betriebsrats gewünscht. «Es hat sich niemand von den betroffenen Mitarbeiter_innen vorher an mich gewandt», gibt sie sich überrascht. Auf Angestelltenseite habe es Unzufriedenheit mit der Betriebskommunikation gegeben, beschreibt Lea. Sie selbst empfand Mitarbeiter_innengespräche als intransparent. So habe man externe Hilfe, eben das WAS, bevorzugt. Mit dem WAS, so sagt das Syndikat, spricht die Secession nach zwei Gesprächsterminen Ende 2021 derzeit nicht, doch hat sie neu berechnet und vor Weihnachten ein Angebot einiger Tausend Euro Gehaltsnachzahlung ausgeschickt – vier der sechs Personen stimmten zu. «Diese Berechnung war wieder in etlichen Punkten falsch», heißt es von der Rechtsunterstützung des WAS, das betreffe vor allem Sonntags- und Mehrarbeitszuschläge, die anteiligen Weihnachts- und Urlaubsgelder für Mehrstunden.
Derzeit rollt die Gewerkschaft die letzten Jahre auf und wird die Secession noch ein weiteres Mal über fehlende Gehaltsbestandteile informieren. Zudem beobachtet man schon erkämpfte Verbesserungen. Sie betreffen auch die Gesprächskultur. Neben einer Einladung vom neuen Vorstand um Präsidentin Ramesch Daha wurde auch ein Jour Fixe für alle wiedereingeführt. Südbeck bestätigt: «Dass es zu Problemen kam, nehmen wir jetzt zum Anlass, uns die Mitarbeiter_innenstruktur und den Publikumsdienst anzuschauen und neu zu strukturieren. Wir wollen dabei auch den Input der Mitarbeiter_innen berücksichtigen.» Nachhaltige Änderungen erhofft sich ebenso Lea, auch wenn sie nicht mehr dort arbeitet. Und so wie von der Geschäftsführung wegen der Eskalation eine persönliche Enttäuschung zu vernehmen gewesen sei, so würde sie für die Betroffenen noch eine klare persönliche Entschuldigung wünschen.
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