EspressiDichter Innenteil

Wenn der Tag sich zerlegt und die Minuten in verschiedenen Gefühlen durch den Körper ziehen. Wenn der Zeiger der Uhr in die Seele sticht und die Einsamkeit bewusst macht. Wenn das Herzklümpchen aufgeregt klopft und niemand kommt. Und jeder, der käme, nur auswärts der Seele sitzen dürfte. Wenn im Handy blaue Botschaften aufleuchten und Stimmen nur die eigene hörbar machen, die tief liegt unter sich selbst.

Der Kaffee, das Ritual wie bei den alten Männern im Süden. Wo disputiert wird, damit man lebendig bleibt. Die Tischchen viereckig mit schmalem Abstand voneinander. Heiß heute, damit beginnt der Kontakt. Die Dame ist über neunzig, spuckt Brösel beim Sprechen, manche bleiben an der Lippe hängen. Die gelbe Plakette mit den drei schwarzen Punkten. Darf ich mich zu ihnen setzen? Es folgen Wellen der Äußerung, während ich die goldgerahmte Brille, die Goldringe am Finger, das längliche Goldkreuz am fein gewellten Brustausschnitt betrachte. Den hellbraunen Pelz. Sie bleibt lange sitzen, sie wird gern angesprochen, diesmal. Dann begleite ich die blinde Frau mit den wuchernden, braunen Haaren, die ein Modegeschäft geleitet hat, zum Bus.

Abwaschwasser, sage ich laut

Ein bleicher, wässrig-beiger Kaffee in einer Porzellanschale. Abwaschwasser, sage ich laut. Die Trommeln aus der Radiobox an der Decke übertönen mich. Weghören denke ich, die zwingende Stimme der Nachbarin, die ihre scharfen ss wie eine Schlange speit und die Vokale mit Gewalt hinunter oder hinauf drückt. Ich versuche mich zu konzentrieren. Im Kopf Schichten von Unsagbarem. Je mehr ich in mich hineinhorche, desto weniger kommt heraus. Meine Wut klammert sich an die ss der Nachbarin, an die Trommeln, die nicht aufhören. Die Orchidee am Fenster kümmert sich nicht darum, sie hält sich dem Licht hin und schimmert rosa. Ich denke an die Magnolien, die so früh verblühen. Ich erlebe nichts, denke ich. Wenn ich auf einen Knopf in meinem Inneren drücke, wie auf eine Zahnpastatube, so würde ich meinen Geist doch nicht putzen können. Der Kopf ist verstopft wie die Nase. Bei diesem Espresso kann der Geist nicht klar werden, sage ich zur Kellnerin, die meine Tasse fortträgt.

Das Gespräch beginnt beim Kaffee

Ziellos kehre ich bei McDonald’s ein. Der kleine schmächtige Nachbar. Das Gespräch beginnt beim Kaffee. Wo er am besten und günstigsten ist. Die feinen Unterschiede im Personal und dem Ambiente. Eine Frau mit Wollschal um den Kopf und schmutzigen Füßen in Sandalen, sie trinkt aus einem großen Becher, einen halben Liter. Der Mann mit Brille und wenigen Haaren auf dem klein gewordenem Kopf, still sitzt er bei seiner Melange. Er warte auf seine Therapie. Die hab ich auch, sage ich. Wir tauschen Erfahrungen aus. Nach längerem Zuhören streife ich seine Vergangenheit, den Alkohol und die Jahre in Haft, und ich erfahre, dass es manchem Langzeitinsassen im Mittersteig besser gehe als heraußen.

Ein edles Lokal. Ich bin voll Gier. Die Espressotasse mit schäumender Milch, die muss ich haben. Der Ober geht mit einem Tablett mit Kuchenstücken und bietet es den Gästen der Reihe nach an. Unser Tisch kommt zuletzt. Wieder nimmt er eine Erdbeerschnitte. Mit unruhigem Auge folge ich dem zweiten Ober, der mit dem Tablett mit Kaffeetassen an mir vorbeigeht. Ich blicke ihn barsch an. Deute. Der Ober geht vorbei. Sadist, sag ich. Ich folge nicht mehr dem Gespräch, die Augen jagen die Erdbeerschnitten, deren letzte auf den Tisch gegenüber gereicht wird. Ich hasse den Ober, der mir den Rücken kehrt. Es dauert, bis ein neues Tablett gebracht wird, auf dem zwei Erdbeerschnitten liegen. Wieder wird ein anderer Tisch bedient. Ich springe auf, gehe zum Ober, danke, rufe ich, und setze mich mit dem Diebstahlsgut.

Am Kreuzungspunkt des Verkehrs findet sich immer ein Fluchtcafé. Die Verkäuferin lächelt mich an. Es gibt nur einen Tisch. Eine zierliche Frau über neunzig mit einem grauen Hut. Sie nippt an ihrer Melange. Die Hausbesorgerin mit ihrem Regiment. Mittagsruhe, Abendruhe, es wird darauf hingewiesen, überall steht es geschrieben, jetzt hat sie meinen schönen Drehstuhl auf die Straße gestellt, den hab ich zur freien Entnahme geben wollen. Eine böse Hexe, die rächt sich für ihr Leben. Ich habe Gesang unterrichtet am Raimundseminar, in die Wohnung sind meine Studentinnen gekommen, da war immer etwas los. Ich schaue sie erwartungsvoll an. Sie kippt die Tasse, trinkt in einem Zug aus. Nicht mehr auszuhalten hier. Ich werde ausziehen. So ein schönes Gespräch hat man selten, danke!