Europa ist nicht rosigArtistin

Es ist keine Lösung, wenn dein Kind in Europa seinen Körper verkaufen muss...

Kunst spricht, meint Joanna, die über Zwangsprostitution aufklären möchte. Sie drehte einen Film gegen Frauenhandel und zeigte ihn in Nigeria. Ein Spielfilm und ein Buch sind in Planung.

Du hast vor kurzem einen Spielfilm gegen Frauenhandel produziert. Wie kam es dazu?

Über die Familie und Freunde meines Exmannes hatte ich viel Kontakt zu nigerianischen Mädchen und fand heraus, dass viele dieser jungen Frauen, die zu uns zu Besuch kamen, auf der Straße als Prostituierte arbeiten. Immer wieder gab es ein Drama und sie weinten, dass sie es nicht machen wollen. Die Mädchen erzählten mir, was sie alles machen müssen. Ihre gelebte Normalität bedeutet Menschenhandel. Als mein Exmann sich mit Hilfe eines Mädchen bei Gericht hat scheiden lassen, ohne dass ich davon wusste, entschied ich mich, etwas dagegen zu machen. Ich hatte immer das Bild dieser trauernden jungen Frauen im Kopf. Weil niemand auf die hört, weil sie nicht darüber reden können, was mit ihnen passiert ist, und nicht Deutsch sprechen, wollte ich versuchen denen eine Stimme zu geben. Aber ich konnte nicht alles heraus kriegen, denn, als die merkten, dass ich mit so etwas nicht einverstanden bin, haben die mir viel verheimlicht. Ich machte Probleme, ich rief seine Familie in Afrika an. Ich redete mit vielen Nigerianerinnen darüber, aber ich stand einfach völlig alleine da. Das ging bis zu dem Punkt, an dem ich gedacht habe, wenn das für so viele in Ordnung ist und nur für mich etwas Schlechtes – vielleicht stimmt etwas nicht mit mir.

War es nicht gefährlich, gegen die Geschäfte mit dem Frauenhandel anzukämpfen?

Wenn man diese Damen sieht, wie sie leben und wie sie mit Hilfe von Voodoo eingeschüchtert werden, denkt man nur, oh Gott, wie kann ich denen helfen. Was kann ich dazu beitragen, dass dieses ganze Geschäft nicht mehr funktioniert. Solange ich in Österreich lebe, ist es nicht so gefährlich, denn hier fürchten sich die Leute vor den europäischen Strukturen. In Nigeria kannst du als Zuhälter Polizisten bezahlen, um das Geld von den Opfern zu holen. Hier funktioniert das nicht. Bei der Präsentation meines Films vor Schülerinnen in Nigeria stand plötzlich mein Exmann an der Rezeption des Hotels, wo wir wohnten. Ich hatte Angst, denn ich war verantwortlich für ein ganzes Fernsehteam von Am Schauplatz mit drei ORF-Leuten, meinen jetzigen Mann und mein Baby. Mein Exmann ist nie bestraft worden, er lebt in Österreich und fährt viel nach Benin. Die Anzeige wegen Betrug wurde nicht verfolgt.

Viele osteuropäische Frauen machen vor Gericht Anzeige gegen Organisationen. Aber etwas gegen einen geliebten Ehemann zu machen, ist das nicht vielleicht noch schwieriger?

Voodoo und die Drohungen gegen die Familien wirken sich anders aus, als Gewalt und direkte Bedrohungen mit Waffen. Ich glaube, unsere Landsleute haben mehr Angst vor Voodoo als vor einer Pistole. Obwohl das nicht das einzige Druckmittel ist. Der Vertrag, den die Mädchen machen müssen, läuft und funktioniert über psychischen Druck. Die Mädchen sagen, bitte, ich will nicht sterben, ich will nicht verrückt werden… Ich bin nicht direkt betroffen gewesen, aber indirekt schon. Er glaubte, dass ich, wenn ich nach Österreich komme, die Madame von vielen Mädchen sein werde und sie auf den Strich schicken und das Geld für die Familie holen. Das konnte ich nicht machen. Ich liebte ihn am Anfang, aber nach so vielen Ereignissen, tat mir diese Liebe weh und sie verschwand. Ich sollte nicht arbeiten, ich sollte nicht deutsch lernen, sondern zu Hause bleiben und ein Kind bekommen. Als er heraus fand, dass es mit mir ein bisschen schwierig wird, denn vielleicht bin ich auch zu stolz, verschwand er. Plötzlich. Ich kam nach Hause und er war nicht mehr da. Ich hatte nicht einmal einen Euro zum Essen.

Setzt dein Film bzw. Kunst nicht schon sehr viel Verarbeitung voraus?

Schon in Nigeria arbeitete ich als Schauspielerin und als Regisseurin. Ich habe diese Sucht, die Leute aufzuklären. Kunst spricht, man kann Botschaften übermitteln. Mein Ziel ist es, einen richtigen Spielfilm zu machen. Mein Bundesland, Edo State, ist sehr vom Frauenhandel betroffen. Wir wollen die Realität in Europa zeigen. Es ist nicht alles so rosig hier, es liegt kein Gold auf der Straße. Du kriegst nicht sofort eine Arbeit. Rassismus und Diskriminierung spielen eine Rolle. Menschenhandel, Prostitution, Drogenverkauf in Nigeria redet niemand darüber. Davon weiß man in Afrika nichts. Man sieht nur, jemand geht nach Europa, kommt zurück und ist reich. Die Filmindustrie präsentierte das immer so. Was dazwischen passiert, zeigt keiner. Ich will die Realität zeigen. Dass die Leute nicht alles glauben, was ihnen erzählt wird, dass sie immunisiert werden gegen die Versprechungen der FrauenhändlerInnen, den Lügen der SchlepperInnen. Wir sagen nicht, komm nicht nach Europa, das ist nicht das Ziel. Sogar im reichen Nigeria gibt es viel Armut. Aber dein Kind nach Europa zu schicken, damit es hier seinen Körper verkauft, damit du leben kannst, ist kein Ausweg und keine Lösung.

Ein Interview von Kerstin Kellermann

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