Musikarbeiter unterwegs ... mit Attwenger auf den Punkt und weiter
Mit ihrem achten Album legen Markus Binder und Hans-Peter Falkner ein präzises Meisterwerk vor: «spot».
Als über Musik schreibender Mensch, der an zahlreichen «Promo-Tröpfen» hängt (Zitat Harald Tautscher/Lotus Records, der Attwenger und ihr Label Trikont in A betreut), konnte ich «spot» schon vor einiger Zeit ins heimische Musikspuckerl schieben. Instant-Hit: «einfamilienhaus», eine 25-sekündige Vignette von nicht zu unterschätzender gesellschaftspolitischer Sprengkraft. «einfamilienhaus – i hoit di ned aus» liest sich der ganze gedruckte Text.
Foto: Mario Lang
Take that, Wüstenrot-Bauspar-Terror! Das aufgefaltete CD-Booklet ziert auf einer Seite ein Gemälde von Thomas Paster. Wir sehen Markus Binder (sitzend) und HP Falkner (liegend), ihr Instrumentarium (Akkordeon, Verstärker, Schlagzeug, Teppich) um sie herum drapiert, auf Wasser, Wellen und Himmel schauen. Beide tragen Hut. «einfamilienhaus» ist einer von 11 Jingles (von 24 bis 65 Sekunden Dauer), die mit 12 Stücken/Liedern (von 2 Minuten, 18 Sekunden bis 2 Minuten, 43 Sekunden Dauer) «spot» ausmachen, in «intensiven Arbeitsperioden» von Sommer 2013 bis Oktober 2014 aufgenommen, gemischt und produziert. Wobei Binder und Falkner mit partieller Unterstützung (Mario Stadler, Ollmann, Urbs) den Großteil der Arbeit selbst erledigt haben. Es scheint naheliegend, dass die medial-reflektierende Zunft «spot» in Beziehung zum 1991 erschienenen Attwenger-Debüt «Most» setzen wird. Vermag dessen formelle Klarheit und thematische Vielfalt doch zu verblüffen und erstaunen, einen so in den Sog dieses in der vermeintlichen Strenge frei um sich wuchernden «Attwengerns» zu ziehen, wie das sonst nur beim erstmaligen Auftauchen einer Musik passiert. «Die Dirty Old Bastards hams wieder einmal geschafft», wird beim Interview im Hotel Intercontinental der Autor und Musikliebhaber Franz Dobler zitiert. So wurde dessen Reaktion auf «spot» von Eva Mair-Holmes, die gemeinsam mit Achim Bergmann das seit 1971 bestehende Label Trikont führt, an Attwenger weitergegeben. Hotel Intercontinental? Dort finden, in wahrlich würdigem, eigentümlich zeitlosem Ambiente, bei herrlich gedämpftem Raum-Sound, in Sichtweite einer umwerfend bestückten Bar (ähnlich reich und wirkmächtig wie das künstlerische Gesamtvokabular des Attwenger-Vierteljahrhunderts) die Mediengespräche zum neuen Album statt. Es wären nicht Attwenger, würden sie sich nicht genau hier mit Frankfurtern stärken. Jeweils mit Kren und scharfem Senf.
des is des ende von da wöd wie ma sie kenan
Zeitnah zum Erscheinen von «spot» am 13. März und der bei Erscheinen dieses Augustin schon hinter der Welt liegenden Album-Präsentation im WUK tags darauf spielten die Herren Binder und Falkner als ihr «akustisches» Alter Ego Die Goas beim Akkordeonfestival im Schutzhaus Zukunft ein umwerfendes Konzert. Witz und Klarheit einer aus dem regional Tradierten selbstbewusst in die heutige Welt gehenden und wirkenden Musik findet sich auf «spot» auf vielen zusätzlichen Ebenen wieder. Elektronik, inhaltliche und tatsächliche sowie Text-Samples, generell Sound und dialektischer Dialekt-Wortklang als Stilmittel von Liedern wie «kana daham» (spielt das Alternativradio), «schmafu» («der Linzer und oberösterreichische track of choice», sagt Binder), «aussi», «oida» (erinnert den Musikarbeiter an Billy Swan und hat ein schönes Video – suchmaschin it!) oder die köstliche R.E.M.-Paraphrase «wöd» (mit dem Weltwort: «bewegungsüberlegung») verleihen mit den gar nicht so fragmentarischen luftigen Einschüben wie «japaner» (herrlich «wienerisch») oder «i bin froh» dem Album die Anmutung einer zwingenden «Best Of»-Sammlung bestehend aus, kurioserweise, lauter neuen Stücken. Die Leichtigkeit mit der das daherkommt, ist eine Freude für sich, gleichzeitig ist diese Musik keine Insel, sondern durchzogen von Reflexionen, «wie man denn lebt, um so eine künstlerische Hervorbringung möglich zu machen» (Binder) und weiteren weiterführenden Gedanken. Definitiv keine Musik ohne «Wöd», sondern mitten in ihr und aus ihr heraus. Die intensive Vorbereitung hört mensch «spot» an, dabei blieb der Studio-Prozess des Umsetzens qso offen, dass wos passieren derf und soi» (HP Falkner). Das Zeitreisen-Gedankenspiel, was denn das Duo Binder-Falkner des Jahres 1991 zu «spot» sagen würde, fällt positiv aus. Wobei es schon diese Zeit, diese Jahre brauchte, um künstlerisch auf diesen Punkt zu kommen.
Wobei «spot» natürlich beileibe keinen Endpunkt oder Abschluss darstellt, sondern eine heutige Verortung. Neben der bevorstehenden ausführlichen Bespielung des österreichischen und deutschsprachigen Raums mit und zu «spot» haben Binder & Falkner gute Lust, Europa mit ihrer Musik wieder zu verlassen, «Komplett-Asien», «Komplett-Südamerika», Äthiopien oder Brasilien sind potenzielle Reiseziele. Hans-Peter Falkner: «Ein Aufruf – Europa verlassen!»
Attwenger: «spot» (Trikont/Lotus Records)
www.attwenger.at
Live: 12. 6. 2015, Uni-Campus