Ewige Zweitevorstadt

Pionierinnen mit Helm und Mundschutz

Die Mitglieder des American-Football-Teams Danube Dragons Ladies spielen in den abgetragenen Trikots ihrer männlichen Kollegen. In der Liga versuchen sie seit Jahren am Lokalrivalen, den Dacia Vikings, vorbeizukommen. Mareike Boysen (Text) und Nina Strasser (Fotos) haben herauszufinden versucht, was Spielerinnen und Trainer antreibt.

In der Kantine des SV Aspern am Biberhaufenweg 18 ist seit Stunden kein Getränk mehr über die Theke gegangen. In der Luft liegen Zigarettenqualm und Ö3, an der Wand hängt ein signiertes Trikot David Alabas, des berühmtesten Nachwuchsspielers des Vereins. Der vierjährige Enkel der Wirtin ist auf der Sitzbank darunter eingeschlafen. Es ist kurz nach acht an einem Mittwochabend im Oktober. Während die Flutlichtanlage die Freistoßübungen des dezimierten heimischen Oberliga-Teams begleitet, finden sich am Rand des Fußballplatzes nach und nach 13 Frauen mit breit ausstaffierten Schultern, Helmen und Mundschutzen ein. Vom Training, das für halb neun angesetzt ist, sollen die Danube Dragons Ladies nach Ansicht des heute dreiköpfigen Coaching-Staffs keine Minute versäumen. Die Play-offs stehen an, und es geht schon wieder um alles.

«Es hat viel zu lange geheißen: Wenn du erfolgreich sein willst, gehst du zu den Vikings. Wenn du Spaß haben willst, kommst du zu uns», sagt Head Coach Thomas Köller, nachdem er die Captains der Untereinheiten mit der Anleitung des Aufwärmens beauftragt hat. Seit Gründung des Dragons-Frauenteams im Jahr 2012 gilt dieses als zweitbestes der Division, durchaus mit Abstand zur restlichen Konkurrenz aus Salzburg, Schwaz, Telfs und Budapest. Den 16. Ladies Bowl im Jahr 2015 verlor man ausgesprochen knapp an die Lokalrivalen. Ein Liga-Duell vor zwei Wochen hingegen fand mit 0:46 ein deutliches Ende. Köller will das nicht hinnehmen: «Wir haben uns im Spiel genug Chancen erarbeitet, aber sie alle wieder zerstört», sagt er. «Im Grunde haben wir uns eher selbst geschlagen, als uns schlagen zu lassen.»

Der schwierigere Weg.

Mit dem Ziel der spielerischen Effizienzsteigerung entwarfen Köller und seine Kollegen im Taktikteam einen Drei-Jahres-Plan, der Athletik als notwendige Grundlage definierte. Im zweiten Jahr allerdings habe ihn die Geduld verlassen, sagt Köller. «Ich bin zu schnell zum Spiel übergegangen. Das hat uns den Plan komplett verhauen.» Die Spielerinnen im Alter zwischen 16 und 54 Jahren werden nun angehalten, auch außerhalb der relativ kurzen Saison regelmäßig im Fitnesscenter zu trainieren. Dass es mit den gemeinsam eingeübten Crossfit-Übungen nicht jede gleichermaßen ernst nimmt, zeigt sich im Training spätestens bei den Strafliegestützen. Ein Missstand, der sich positiv umdeuten lässt: «Ich würde nicht zu den Vikings coachen gehen», sagt Köller, seit 16 Jahren Teil dessen, was er die Dragons-Familie nennt. «Klar kann ich Spielerinnen auf einem hohen Niveau entwickeln, aber wo ist die Herausforderung dabei?»

Ähnlich formuliert es Bianca Reischer, Spielerin mit der Rückennummer 33, Captain und Quarterback, außerdem Offense Assistant Coach bei den Herren. Die 31-Jährige ist als ehemalige Torfrau des Frauenfußballnationalteams an sportliche Erfolge auf hohem Niveau gewöhnt. «Ich setze mich ungern ins gemachte Nest», sagt Reischer über ihre Position bei den Danube Dragons Ladies. «Uns wird nicht langweilig, denn wir haben weiterhin ein Ziel, auf das wir hinarbeiten.» Die Frage danach, wie sie zum Football gekommen seien, beantworten der Head Coach und sein Quarterback durchaus unterschiedlich. «Es ist der beste Sport der Welt», sagt Reischer. «Man braucht Hirn, Disziplin und Teamgeist – alles, was einen Menschen sozial ausmacht. Außerdem grenzen wir niemanden aus, sondern können jede Körperstatur gebrauchen. Jede hat beim Football eine Aufgabe zu erfüllen, und jede ist wichtig.» Köller nennt seinen Erstkontakt mit dem Sport «den klassischen»: Eine Cheerleaderin sei dafür verantwortlich.

Weder Party noch Catering.

Die Premium Dancers, offizielle Cheering-Einheit der Danube Dragons, beschränken ihre Einsätze auf die Spiele der Herrenmannschaft. Deren Trainings- und Heimspielstätte ist die Sportanlage Stadlau, während die Damen ihre Gegnerinnen für gewöhnlich im Bundessport- und Freizeitzentrum Südstadt in Maria Enzersdorf empfangen. «Bei den männlichen AFL-Teams findet Party statt», sagt Peter Jeschko, Defense Coordinator der Ladies. «Als Zuschauer kann ich mein Würstel essen, es gibt einen Platzsprecher und Musik. Das ist bei den Damenteams nicht so, denn dort fehlt das Geld.» Ein Halbsatz, der in den Gesprächen immer wieder fällt: Dass Österreich bei internationalen Frauen-Turnieren keine Chance habe, sei der Geldfrage geschuldet. Über die abgetragenen Trikots der Herrenmannschaft müssten die Ladies glücklich sein, denn neue hätte man sich sowieso nicht leisten können. Als Coach im Damenbereich zahle man drauf statt zu verdienen. Ein Budget für die Damenmannschaft, sagt auch Teammanager Christian Weichhart, sei de facto nicht vorhanden: Gerade einmal 3000 Euro kämen jährlich durch einen Sponsor, Vater einer der Spielerinnen, zustande.

Für die anstehende Auswärtsfahrt zu den Schwaz Hammers Ladies in Tirol rechnet Regina Waiß, Center und Captain im Team, mit einem Selbstbehalt von 60 bis 80 Euro pro Spielerin. Der Jahresmitgliedsbeitrag liege bei 350 Euro, die Kosten für die Erstausrüstung seien ähnlich hoch. «Hin und wieder sollte man sich außerdem neue Schuhe und Handschuhe kaufen», sagt sie. So verwundert es nicht, dass der Großteil der 23 festen Teammitglieder dem gut situierten Bürgertum entstammt. Waiß ist als Schätzmeisterin im Dorotheum tätig, viele ihrer Mitspielerinnen sind Studentinnen oder Akademikerinnen, zwei von ihnen tragen Doktortitel. «Mir gefällt, dass es beim Football sehr um Respekt geht», sagt Waiß, «dem Können der anderen, den Referees und, sofern es welche gibt, den Zuschauern gegenüber. Als Captain bedankt man sich, um zu zeigen, dass man zwar einen harten Sport spielt, aber das Gegenüber auch als Person wahrnimmt.» Die Kapitänsbinde, die Waiß in den Spielen trägt, ist regenbogenfarben.

Defense! Offense! Let’s go!

Dass das Zusammengehörigkeitsgefühl im Team weit über das ritualisierte Ausschreien von Einheiten und Aufforderungen hinausreicht, bestätigt jede der befragten Spielerinnen. Einige tragen auf der linken Brust die Wappen der Hogwarts-Häuser Gryffindor, Hufflepufff und Ravenclaw. Einstudierte Spielzüge hat man gemeinsam nach Superheldinnen wie Cat- und Wonderwoman benannt. Seit man vor einigen Monaten eine Spielerinnengemeinschaft mit den Graz Giants angemeldet hat, finden sich bei jedem Match unter den grünen Helmen der Danube Dragons auch drei orangene. Head Coach Köller weiß, dass hier von allen Beteiligten Pionierarbeit geleistet wird. «Wir stehen noch am Beginn der Entwicklung von Damen-Football in Österreich, aber die Branche wächst international», sagt er. «In den letzten Jahren haben wir gegen Teams aus Prag, Brünn und Mailand gespielt. Und es werden immer mehr.» Als wäre es Absicht, verspricht die Danube-Dragons-Website auf der Unterseite «Ladies Football» seit vielen Monaten: «Coming soon.»

«Heute haben wir uns auf die Defense konzentriert und die Spielzüge der zukünftigen Gegner simuliert», sagt Joe Yun, Coach der Special Teams, in der letzten Phase des Trainings. Zur Vorbereitung standen Videoaufnahmen zur Verfügung. In den Wochen vor den Play-offs für den österreichischen Ladies Bowl wird dreimal wöchentlich trainiert, etwa 30 unterschiedliche Spielzüge müssen sitzen. «Wir verlangen von unseren Spielerinnen eine hohe Trainingsbeteiligung», sagt Yun. «Wegen unserer geringen Kadergröße müssen wir aber immer wieder ein Auge zudrücken.» Eine Besonderheit im Training von Frauenmannschaften kann Kollege Köller, der auch als Wide Receivers Coach bei den Herren tätig ist, schnell benennen: «Frauen fragen viel mehr nach», sagt er. «Da wird erst einmal diskutiert, warum etwas so zu machen ist und nicht anders.» Daher habe Köller seinen Trainingsstil angepasst: «Ich erkläre inzwischen viel besser, sogar bei den Herren. Von anderen Vereinen weiß ich, dass Playbooks ausgegeben werden, die exekutiert werden müssen. Wir wollen, dass die Spielerinnen verstehen, warum sie etwas tun.»

Als Köller das Training um kurz vor zehn für beendet erklärt, ist die Kantine des SV Aspern längst geschlossen. Die jungen Fußballer haben nach zwei Feierabendbieren vor etwa einer Stunde ihre individuellen Heimwege angetreten. Eine Party findet hier, in einem abgelegenen Winkel der Wiener Donaustadt, also nicht mehr statt. Nachdem sich das Flutlicht um Punkt zehn ausgeschaltet hat, sind die Danube Dragons Ladies ihrem wichtigsten Ziel, Mitte November im Finale der Play-offs zu stehen, wieder ein Stück nähergekommen. Wie das Spiel gegen die Dacia Vikings ausgehen wird, kann keine Statistik mit Sicherheit voraussagen. Play-offs, das weiß jede und jeder, haben ihre ganz eigenen Regeln.

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